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03.09.2011


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Antikriegstag 2011

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung in Tübingen am 1. September 2011

Liebe Freundinnen und Freunde,

Lothar Letsche (in Tübingen)



- Es gilt das gesprochen Wort -



Am Ende jenes Krieges, der am 1. September 1939 mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen begann, musste Deutschland von den Alliierten der Anti-Hitler-Koalition vom Naziregime befreit werden.

Für alle deutschen Regierungen der folgenden Jahrzehnte, in Ost und West, galt der Grundsatz, dass von deutschem Boden nie mehr ein Krieg ausgehen darf. Weder die Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren noch die Integration der alten Bundesrepublik in die NATO, was die entsprechenden Reaktionen der anderen Seite nach sich zog, konnten verhindert werden. Deutsche Regierungen hatten auch keine Macht über das, was die Besatzungsmächte von ihren Dienststellen, Kasernen und Flugplätzen auf deutschem Gebiet unternahmen. Trotzdem gab es für ihr eigenes Handeln immer ein Tabu, eine Grenze: Von deutschem Boden darf nie mehr ein Krieg ausgehen. Auch in den deutschen Einigungsvertrag von 1990 hat dieser Satz Eingang gefunden. Er hat nach meinem Verständnis Verfassungsrang.

Unsäglich ist dagegen verstoßen worden: bei der Zerschlagung Jugoslawiens, in Afghanistan. Da waren und sind die deutsche Außenpolitik und die Bundeswehr am Anzetteln und Führen von Kriegen beteiligt. Wenn heute der deutsche Außenminister im Zusammenhang mit Libyen von einer "Kultur der militärischen Zurückhaltung" spricht, klingt immerhin noch etwas von diesem Verfassungsgrundsatz an.

1956 wurde im Wald bei Karlsruhe ein Kernforschungszentrum eingerichtet, ursprünglich mit Reaktor und allem drum und dran. Später wurde die Nuklearforschung heruntergefahren, es blieb das Forschungszentrum Karlsruhe, betrieben mit Steuermitteln der Bundesrepublik Deutschland in der rechtlichen Form einer GmbH. Von Anfang an war die Geschäftsgrundlage dieser GmbH: "Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke". Undenkbar wäre gewesen, dass ausgerechnet in Deutschland wieder geforscht worden wäre, wie man Atomwaffen baut.

Diese Zivilklausel wurde auch eingehalten. Durch ein hoch entwickeltes System der Mitbestimmung haben nicht zuletzt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungszentrums darüber gewacht, dass Projekte mit militärischem Anwendungsbezug nicht durchgeführt wurden.

Diese Mitbestimmung ist mittlerweile abgeschafft. Das ehemalige Forschungszentrum wurde mit der Universität Karlsruher Universität zum "Karlsruher Institut für Technologie" KIT verschmolzen. Doch auch für den Campus Nord des KIT gilt weiterhin eine Zivilklausel. Im KIT-Gesetz, das der Landtag von Baden-Württemberg 2009 verabschiedet hat, ist sie verankert.

Ich erzähle das deshalb so ausführlich, weil manchmal behauptet wird, kontrollierten Festlegungen auf eine friedliche, zivile Ausrichtung der Wissenschaft würden die Wissenschaftsfreiheit unzulässig einschränken. Nein, das tun sie nicht. Ein sehr angesehener Verfassungsrechtler hat in einem Gutachten ausführlich nachgewiesen, dass es im Grundgesetz der Bundesrepublik und in vielen Einzelvorschriften so etwas wie eine "Friedensfinalität" gibt. Damit meint er eben jenen Grundsatz, von dem ich vorhin gesprochen habe: Von deutschem Boden darf nie mehr ein Krieg ausgehen.

Wir meinen, auch Forschung und Lehre an einer Uni müssen diesem Grundsatz entsprechen.

Die GEW hat hier in Tübingen schon vor über 20 Jahren gefordert, dass die Uni eine entsprechende Selbstverpflichtung eingeht. Erreicht wurde es erst Ende 2009, als die Studierenden im Bildungsstreik diese Losung in ihren Forderungskatalog aufnahmen. Jetzt steht in der Grundordnung der Universität Tübingen folgender Satz:

"Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen."

Allerdings, was abläuft, stellt dieses Anliegen auf den Kopf. Ein "Militärstratege", wie ihn das Schwäbische Tagblatt nennt, der Chef der "Münchner Sicherheitskonferenz" Wolfgang Ischinger bekam im Dezember 2010 den Status eines Honorarprofessors verliehen und hielt im Mai 2011 eine "Antrittsvorlesung". Gegenwärtig führt er für Studierende im Studiengang "Friedensforschung und Internationale Politik" ein "Seminar zur internationalen Krisendiplomatie" durch, bei dem u. a. auch ein Besuch des Bundesverteidigungsministeriums auf dem Programm steht.

Ischingers Aussage, dass "Krieg immer nur das geringere Übel" sein könne, ändert nichts daran, dass dieser Diplomat Kriege propagiert, mit vorbereitet und jungen Menschen an der Universität als ein "normales" Instrument internationalen "Krisenmanagements" vermitteln will. Das dient nicht friedlichen Zwecken. Kriege vergiften das Zusammenleben der Völker und zerstören in großem Stil die natürlichen Lebensgrundlagen.

Damit sind wir beim Wortlaut und beim Nerv der hier geltenden Zivilklausel.

Die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im Tübinger DGB-Arbeitskreis finden, dass ein solcher Kriegsbefürworter nicht in die Uni reingeholt und zum Hochschullehrer geadelt werden sollte, und sie ihm diesen Titel deshalb wieder aberkennen soll.

Bestimmte Kräfte legen es offenbar darauf an, NATO-,Sicherheitspolitik", Kriegsvorbereitung und Kriegsführung im Stil des Herrn Ischinger und der Bundeswehr als mit einer Zivilklausel vereinbar auszugeben. Aber in Wirklichkeit verkehrt das alles ins Gegenteil, wofür wir uns eingesetzt haben

Noch ein weiterer Vorgang ist beunruhigend.

Seit Mitte Juni wissen wir dank einer Bundestagsanfrage, dass die Universität Tübingen seit 2002 bis heute im Durchschnitt jedes Jahr 170.000 aufgrund von Drittmittelaufträgen des Verteidigungsministeriums erhält. Um welche Forschung es sich dabei handelt, wurde nicht mitgeteilt. Das ist unter Geheimschutz gestellt worden.

Aufgrund früherer Bundestagsanfragen der LINKEN wissen wir, welche Themen in Frage kommen. Es geht um Chemikalien, die zivil bei Düngemitteln und militärisch bei Nervengasen vorkommen.

Also entweder es handelt sich um solche Forschungen, die für militärische Zwecke geeignet und deswegen unter Geheimschutz gestellt sind. Dann muss diese Forschung wegen Unvereinbarkeit mit der Zivilklausel beendet werden.

Oder die Geheimschutzverfügung ist nicht berechtigt. Dann muss sie durch eine Intervention der Universität Tübingen aufgehoben werden.

Der DGB-Arbeitskreis hat die Uni Tübingen aufgefordert, auch dazu Stellung zu beziehen.

Die jetzigen Regierungsparteien in Baden-Württemberg, GRÜNE und SPD, haben in ihren Wahlprogrammen deutliche Aussagen gemacht, dass sie Zivilklauseln für die Unis wollen. Zahlreiche Gruppen und Einzelpersönlichkeiten haben das zum Anlass genommen, der Wissenschaftsministerin Theresia Bauer am Antikriegstag einen Brief zu schreiben. Wir erwarten, dass das im Landeshochschulgesetz und auch im KIT-Gesetz für den KIT Campus Süd - die Uni Karlsruhe - umgesetzt wird.

Beunruhigend finde ich allerdings, was die Ministerin in einer kürzlichen Radiosendung erklärt hat: sie wolle "nicht als Gesetzgeber die Vorgaben machen, was das richtige Forschungsprogramm ist und was nicht".

Aber genau um solche Vorgaben geht es doch, im Sinne einer zivilen Orientierung. Die Wahlaussagen - auch von Frau Bauer - gingen in diese Richtung. Wir erwarten, dass bald eine klarstellende Erklärung kommt und die grün-rote Koalition nicht schon in so einer Frage vor den entsprechenden Lobbies einknickt oder gar umkippt.

Der Kampf für eine zivile Orientierung von Forschung, Lehre und Studium an der Universität Tübingen und anderswo verdient auch weiterhin eure Aufmerksamkeit und braucht eure Unterstützung! Ich danke euch.



E-Mail: lothar (Punkt) letsche (at) online (Punkt) de
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