Antikriegs-
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05.09.2011


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Antikriegstag 2011

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung in Duisburg am 1. September 2011

Liebe KollegInnen, verehrte Damen und Herren!

Jürgen Widera (in Duisburg)



- Es gilt das gesprochen Wort -



Kapitän Timmermans,

vermutlich sagt der Name Euch nichts - außer den KollegInnen von HKM.

Denn dieser Kapitän Timmermans begegnet uns immer bei den Projektwochen "HKM zu Gast bei Freunden".

Ein Projekt, das die Jugend- und Auszubildendenvertretung von Krupp-Mannesmann für ihre Azubis organisiert. Seit mittlerweile vier Jahren fährt das gesamte 2. Ausbildungsjahr in die Niederlande und besucht insbesondere das Befreiungsmuseum in Groesbeek bei Nimwegen.

Was ist die Idee dahinter? Warum beschäftigen sich angehende Industriemechaniker oder Elektroniker mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Dritten Reich?

Um zu lernen, dass der Frieden nicht selbstverständlich ist, und auch mehr ist als nur die Abwesenheit von Krieg.

Zu erkennen, dass Freiheit nicht vom Himmel fällt und Demokratie immer wieder verteidigt werden muss.

Auch unsere Demokratie, die bei weitem nicht mehr so stabil ist, wie man meinen könnte, weil zunehmend gefährdet durch eine soziale Ungleichheit und offene, ja dreiste Ungerechtigkeit, wie wir sie in dieser Gesellschaft bisher nicht gekannt haben.

Die seit Jahren geführten Attacken gegen den Sozialstaat und die Unterwanderung sozialer Gerechtigkeit sind deshalb so besonders gefährlich, weil die Ausbildung des bundesrepublikanischen Sozialstaats eine wesentliche Voraussetzung gewesen ist, in unserem Land - endlich und zum ersten Mal - eine funktionierende Demokratie aufzubauen.

Wenn das eine zerfällt, gerät auch das andere in Gefahr!

Also: Frieden, Freiheit, Demokratie sind keine Selbstläufer - sind immer aufs Neue gefährdet und müssen immer aufs Neue bewahrt, verteidigt, vor allem gelebt werden.

Um das zu verinnerlichen, ist die Auseinandersetzung mit unserer unheilvollen Vergangenheiter so wichtig, um daraus zu lernen für die Gestaltung unserer Zukunft. Und um gegen rechtes Gedankengut gefeit zu sein. Wir haben in Duisburg es bisher immer geschafft, die Aufmärsche der neuen Nazis im Keim zu ersticken, ich hoffe, das gelingt am Samstag den Dortmundern auch.

Darum also gehen wir mit den Azubis in ein Museum, vollgestopft mit Gegenständen und Fotos und vor allem mit Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit, die mit den Jugendlichen scheinbar nichts mehr zu tun hat.

Das meinen übrigens die allermeisten von ihnen auch, wenn sie ankommen.

Doch das ändert sich dann recht bald.

Das ändert sich etwa, wenn wir uns z.B. der unfassbaren Geschichte der Verfolgung und Vernichtung der Juden nähern und dann rasch deutlich wird, dass die Mehrzahl unserer Azubis damals auch unter die Nürnberger Rassegesetze gefallen und verfolgt worden wären, weil sie von ihrer Herkunft her dem arischen Rassebegriff in keiner Weise genügt hätten. Das ruft nicht nur Nachdenklichkeit hervor, das macht auch betroffen.

Oder da ist dann der Besuch zweier Soldatenfriedhöfe, einem kanadischen und einem deutschen. Dem größten deutschen Soldatenfriedhof überhaupt, im holländischen Ysselsteyn bei Venray, mit über 32.000 Grabsteinen.

Endlose Gräberreihen, so weit man schauen kann. Und dann gehen unsere Jugendlichen durch die Reihen und lesen die Jahreszahlen: Geboren - Gefallen.

20 Jahre, 19 Jahre, 17 Jahre.Und nahezu alle in den letzten Monaten und Wochen, als der Krieg schon längst entschieden war, bei den unglaublich verlustreichen Rückzugsgefechten, gerade hier in unserer Region.

Die Saat des 1. September 1939 war aufgegangen und forderte am Ende auch noch den Blutzoll der Jüngsten, die, als Polen überfallen wurde, noch Kinder waren und dann als Jugendliche begraben wurde: Gestorben ohne wirklich gelebt zu haben.

Und dort auf dem Friedhof begegnet uns dann auch jener Kapitän Timmermans und seine Geschichte. Denn in der Nähe des zentralen Gedenkplatzes befindet sich ein Gedenkstein für ihn.

Seine Person passt gut zu der der Ausstellung "Wachsam sein". Sie gedenkt der Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Diktatur und würdigt die anscheinend vergessenen aus dem gewerkschaftlichen Widerstand. Und wie viele vergessene oder gar verschwiegene Kämpfer gegen Hitler ist auch Kapitän Timmermans der Würdigung wert.

Timmermans gehörte nach der deutschen Besetzung 1940 einer niederländischen Widerstandsgruppe an. 1945 trat er auf eine Mine und seine Augen wurden schwer verletzt, faktisch blind. Er kam in ein kanadisches Lazarett, in dem auch andere Niederländer, Amerikaner und sogar Deutsche verarztet und gepflegt wurden.

Neben ihm lag ein junger deutscher Soldat.

Als dieser schnell genesen war, blieb er dennoch und pflegte den Kapitän. Zwangsläufig kam es zu Gesprächen zwischen den beiden und es wurde Kapitän Timmermans nach und nach deutlich, dass gerade junge deutsche Soldaten zumeist nicht freiwillig kämpften, sondern in den Krieg gezwungen wurden.

Es war für sein Leben eine wegweisende Erfahrung!

Wie ging die Geschichte nach dem Krieg weiter? Trotz etlicher Recherchen gelang es ihm nicht mehr, den deutschen Soldaten nach dem Krieg ausfindig zu machen. Dafür wurde Timmermans 1948 Friedhofsverwalter in Ysselsteyn, 28 Jahre lang, legte er Kriegsgräber an, identifizierte Tote, führte Angehörige über den Friedhof, und organisierte Jugendbegegnungen.

Es muss nicht betont werden, welch eine wichtige Integrationsfigur dieser Mann für die niederländisch-deutsche Versöhnung nach dem 2.Weltkrieg war.

Widerständler gegen den Faschismus, Gestalter von Versöhnung, Arbeiter für den Frieden Das Leben des Kapitäns Timmermans spiegelt das Anliegen des Antikriegstags wieder.

Ein wichtiger, notwendiger Gedenktag.

Ich bin froh, dass es ihn gibt.

Ich freue mich, dass es in Duisburg meine Gewerkschaften sind, die diesen Feiertag gestalten.

Ich danke Euch für die Einladung zu dieser Gedenkrede.





Jürgen Widera ist Pfarrer beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) Region Duisburg/Niederrhein.

E-Mail: Juergen (Punkt) Widera (at) kirche-duisburg (Punkt) de

Website: www.kirche-duisburg.de
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