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08.08.2013


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Hiroshimatag 2013

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Redebeitrag bei der Hiroshima-Gedenkveranstaltung am 6. August 2013 in Wedel

Hevenu schalom aleichem -
Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen

Kirsten Fehrs (in Wedel)



- Es gilt das gesprochene Wort -



Mit Segen beginnt diese Andacht - so wie Segen uns doch die ganze Zeit schon begleitet. Uns, die wir bei allen Unterschieden vereint sind im würdigen Gedenken. Damit wir und unsere Kinder es nie vergessen: Tod und Vernichtung, Krieg und Zerstörung soll - um Gottes willen! - nicht sein.

Erinnerung hat Kraft. Die Kraft der inneren Bilder. Als am 6. und 9. August 1945 der Atompilz in Hiroshima und Nagasaki das Licht des Tages verdunkelte, starb die Sonne im Leben so vieler Menschen. Vor ihren Augen starb die Liebe ihres Lebens, ihr Augenstern, das Kind im Schoß. Zunächst fast 100.000, dann noch einmal 130.000 Menschen starben, und sie, die sie geliebt haben, blieben in ihrem Schrecken zurück.

Ihr Schmerz und ihre Dunkelheit sollen nicht vergessen sein. Deshalb sind wir hier. Ich danke Ihnen und Euch dafür, dabei zu sein. Eingebunden zu sein in das Netzwerk der unentwegt Friedensbewegten. Geschwisterlich. Informiert. Engagiert. Betend. So viele Jahre schon. Danke dafür. Denn ohne einen solchen Ort der Erinnerung hat auch deren Schwester keine Chance, in uns einzuziehen mit ihren Bildern - und diese Schwester heißt Hoffnung. Schwester Erinnerung und Schwester Hoffnung, sie gehören zusammen. Heutzutage mehr denn je.

Und deshalb gehört eigentlich zu den eben vorgetragenen und berührenden Zeitzeugenberichten und Gedichten und all den bekannten Liedern (wer sieht nicht Bob Dylan vor sich und könnte die Lieder auswendig?!) - eigentlich gehört dazu noch ein Text. Ein Text, den wir auch alle kennen. Mit Worten, die uns innerlich erreichen und zugleich über uns hinausweisen. Ein Text der Hoffnung für all die Protestierenden gegen Tod und Vernichtung, für die, die ein Lotusblumen-Lichtermeer entzünden, für die Mitfühlenden und ins Leben Verliebten - eigentlich gehört dazu: I have a dream.

I have a dream, sagte Martin Luther King in seiner berühmten Rede genau im August vor 50 Jahren. »Ich habe einen Traum, dass sich eines Tages diese Nation erheben wird und die wahre Bedeutung ihrer Überzeugung ausleben wird: .Alle Menschen sind gleich erschaffen. Ich habe heute einen Traum!«

I have a dream, sagt auch Jesaja. Über 2300 Jahre früher. "Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon wieder fruchtbares Land werden, .. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden und Ärmsten unter den Menschen werden wieder Freude haben.. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und den Spöttern und allen, die darauf aus sind, Unheil anzurichten [.]."

Nicht nur nagender Hunger nach Brot und Frieden spricht aus diesen Worten, sondern ich empfinde darin auch den Hunger nach glaubwürdigen Worten, die einen innerlich erreichen. Aufrichten. Anspornen. Satz für Satz sucht Jesaja nach Worten, die die Todesnähe dämmen. Die einen halten inmitten tiefer Lebensangst und Erschütterung. Dieser Hunger nach dem Wort des Lebens entsteht gerade in der Zone des Todes. Dort, wo Sprachlosigkeit herrscht.

Mit dieser Sprachlosigkeit kämpfte nicht nur der alte Prophet. Gerade bei einem Gedenken wie heute merken wir doch auch etwas davon, wie wir um Worte und Gesten ringen, um das Grauen zu erfassen. So viel Vernichtung. Gewalt. Atomare Verseuchung. Menschen, die verstrahlt und von ihren Familien isoliert wurden. 1945. 1986. 2011. Die Erinnerung an den Abwurf der Atombomben ruft den Schmerz wieder wach. Und mit ihm das Entsetzen über Kriege und atomare Bedrohung in aller Welt.

"Wohlan, nur noch eine kleine Weile.." Keine Vertröstung soll das sein. Sondern eine besondere Form des Widerstandes: der Widerstand eines Traumes. Es ist der Traum eines Realisten Jesaja, der genau sieht, was um ihn ist: Terror und Krieg, erdrückende soziale Ungerechtigkeit, Armut, Elend, Trümmer. Dahinein träumt der alte Prophet die Idee des Schalom, der dem Hass das Leben nehmen will. Wohlan .und es wird es ein Ende haben mit denen, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, ...", sagt er. Ganz klar. Nicht "es könnte so sein, wenn...", sondern: es wird sein.

I have a dream.

Sprache schafft Gestalt. Verändert Kultur. Gesellschaften. Solche Worte können eine enorme Kraft entfalten. Weil sie unsere Gedanken und Seelen für eine Vision des ganz anderen eröffnen, ohne das Böse zu verleugnen. Sie haben Kraft, weil jemand laut davon spricht, was er glaubt. Oder was sie träumt. Man braucht im Leben Menschen, Propheten müssen
s gar nicht sein, die uns eine Vorstellung geben von unseren nicht geahnten Möglichkeiten! Möglichkeiten, wie Gott sie will. Ohne sie bleibt ein Traum unrealistisch. Ohne sie keine Demokratie. Und so treibt es Jesaja, dass wir mitträumen. So vieles, sagt er, ist uns gegeben, Hunger zu stillen. Den eigenen, den von anderen. Auch den Hunger nach dem Wort, das aufrecht hält und aufrecht macht. Denn da ist zwar Schrecken, sagt Jesaja, aber auch Gnadenlicht. Kein Albtraum ohne Widerwort!

Träumerei, sagen Sie? Theologische Gedanken, wohlfeil für einen Sommerabend, aber nichtssagend? - Schwester Hoffnung sagt: hoffentlich nicht! Denn Traumes Wort ist Widerwort, Widerwort gegen die so genannten Realisten von heute, die meinen, stets berechnen zu können, was passiert. Die uns weismachen wollten, Atomkraft sei sicher. Es ist Widerwort gegen diesen Trugschluss, das Leben sichern, es fundamental zementieren zu können. Gegen sie, die in ihrer Angst aufrüsten, immer noch und immer mehr. Als würde dieses unser Leben uns nicht ständig in Bewegung bringen. Als würde es uns nicht herauslieben und herausreißen aus unseren Rüstungen, aus Planung und fester Meinung. Als würde es uns nicht erschüttern durch Krankheit, Scheitern, Friedlosigkeit - Fukushima.

Dahinein - so revolutionär!: Du wirst wieder Freude haben! Es wird ein Ende haben mit denen, die die Zerstörung in Kauf nehmen. Traumes Wort ist Widerwort zu jeglicher Resignation.

Nun, liebe Geschwister, kann ein Anlass treffender sein als dieses heutige Gedenken, um das Träumen wieder zu lernen? Um angesichts der Schrecken atomarer Zerstörung zu hoffen, dass die Menschheit demütig ihre Grenzen erkennt?

Ist es nicht längst Zeit, angesichts der Schrecknisse heutiger Atomindustrie, Kraftwerke und der nicht gefundenen Endlager klar zu sagen: Nein danke! Die Lotuslichter der Gestorbenen erinnern uns doch hundertausendfach an den Schmerz verlorener Liebe und die Kostbarkeit des Lebens!

Wenn nicht wir in Worte fassen, was sich ändern soll, wer dann? Wenn wir nicht in Worte fassen, was wir erträumen, werden wir nicht satt, wir Elenden. Und dann wissen wir auch nicht, was zu hoffen ist! Wohlan, lernen wir
s.

We have a dream..

Eine kleine Weile noch,

nicht einmal 70 Jahre wird es dauern,

da wird auf zerbombtem Land das Feld bestellt und die Minenfelder im Libanon werden Ackerland.

In der Welt wird eine klangvolle Stille sein, gefüllt bis an den Rand.

Damit das Ohr, taub geworden von den Schreien der Leidenden, sich wieder der Poesie des Lebens öffnet.

Das Auge senkt nicht mehr furchtsam den Blick, sondern schaut den Menschen neben dir, auch die Fremden offen an.

Jedes Kind erhält drei nahrhafte Mahlzeiten am Tag.

Volksverhetzer werden ausgelacht.

Nörgler umarmt.

Junge Menschen suchen soziale Aufgaben - und finden sie.

Die Menschen des Glaubens ermutigen sich in friedlichem Dialog.

Und die, welche irren im ihrem Geiste, werden Verstand annehmen.

We have a dream - Traumeswort ist rettendes Wort. Gerade an Tagen der Erinnerung. Und so kann es still werden, wenn wir die Lichter ziehen lassen und Schwester Hoffnung unser Herz erreicht. Dona nobis pacem. Amen.



Kirsten Fehrs ist Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland.

E-Mail: friekoop (at) friedenskooperative (Punkt) de

Website: www.friedenskooperative.de
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