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Oster-
marsch
2003


vom:
20.04.2003


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  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede beim Hunsrücker Ostermarsch am 18.04.2003 in Kastellaun sowie beim Ostermarsch Rhein-Sieg in Siegburg am 19.04.2003

Krieg und die Folgen für die Gesundheit der Menschen im Irak

Gina Mertens

Guten Tag,

als Ärztin und Vertreterin der Ärzteorganisation IPPNW, also der Ärzte gegen Atomkrieg, möchte ich Ihnen die Situation der vom Krieg betroffenen Menschen im Irak nahe bringen. Was dieser aus meiner Sicht völkerrechtswidrige Angriffskrieg der USA, Großbritannien und auch Australien für die Bevölkerung bedeutet, geht in den Fernsehbildern von Lageplänen, Eroberungskarten und Fotos von Saddam Husseins Statuen und Palästen völlig unter. In der Vergangenheit waren Vertreter unserer IPPNW oft selber im Irak. Es bestehen enge und gute Kontakte zu den dortigen Krankenhäusern und Ärzten, so dass gerade wir die medizinischen Folgen kompetent und gut abschätzen können.

Zunächst möchte ich Ihnen die Lebenssituation der irakischen Bevölkerung vor Beginn dieses illegitimen Angriffskrieges darstellen: Seit 1980, also seit nunmehr 23 Jahren, leben und leiden die Menschen permanent an Kriegen bzw. deren katastrophalen Folgen. Dies sind im einzelnen:

 8 Jahre Krieg gegen den Iran - übrigens gerade mit Unterstützung der USA, die Saddam Hussein damals massiv aufgerüstet haben

 1990 Überfall des Iraks auf Kuwait und Okkupation kuwaitischen Terrains

 dies zog den sogenannten Golfkrieg 1991 nach sich und in dessen Folge

 die seit 12 Jahren anhaltenden, verheerenden Sanktionen gegen den Irak, die vor allem die Zivilbevölkerung trafen.

Daraus ergaben sich erschütternden Folgen für die Bevölkerung vor Kriegsausbruch im März, konkret bedeutete dies:

 durchschnittlich 250 Menschen sterben täglich an den Folgen der Sanktionen

 jedes 8. Kind stirbt, bevor es das 5. Lebensjahr erreicht. Hauptursache hierfür sind vor allem Durchfälle und Atemwegserkrankungen - also z.T. vermeidbare und im Prinzip gut behandelbare Krankheiten - aber es fehlen dort aufgrund der Sanktionen die nötigen Medikamente.

 32% der irakischen Kinder, das sind ungefähr 960.00, sind chronisch unterernährt

 der Irak hat eine der höchsten Kinderkrebsraten der Welt. Wir Ärzte vermuten einen Zusammenhang mit der im Golfkrieg eingesetzten Uranmunition. Allein in Basra, also im Süden des Irak, wo besonders viel Uranmunition eingesetzt wurde, weisen ca. 3% der Neugeborenen schwerste Missbildungen auf. Seit langem fordern wir daher unabhängige epidemiologische Langzeitstudien über die Auswirkungen der Uranmunition, aber es hat sie bislang niemand durchgeführt - vermutlich auch, um Schadensersatzprozesse zu vermeiden.

 2 Drittel der irakischen Bevölkerung lebt lediglich von monatlichen Lebensmittelrationen. Damit Sie sich hiervon ein Bild machen können, liste ich auf, woraus diese bestehen, nämlich aus: 9kg Mehl, 3kg Reis, 2 kg Zucker, 1Pfd. Linsen, 1 halben Pfund Bohnen und eineinviertel kg Öl.

Dies war die Ausgangslage. Und in diese eh schon katastrophale Lage wurde nochmals hineingebombt, wurde nochmals Krieg geführt, obwohl die UN-Inspektoren keine Massenvernichtungswaffen fanden, obwohl es keine Verbindung zu Ossama bin Laden gab und obwohl es keinen Zusammenhang mit den verbrecherischen Terroranschlägen am 11. September gab. Die eigentlichen Gründe für diesen völkerrechtswidrigen Angriff waren ganz offensichtlich andere, als die, die man uns weismachen will, nämlich den angeblichen Kampf gegen den Terror.

Wenn man Terror bekämpfen will, kann dieses nicht durch Bomben, sondern nur durch eine wirkliche Auseinandersetzung mit den entsprechenden Ursachen hierfür geschehen. Vor allem sollte vermieden werden, zusätzlichen Hass zu säen, der z.B. durch die Sanktionen entstanden ist, den ich selber auch empfinden würde, wenn mein Kind aufgrund fehlender Medikamente gestorben wäre. Wie sähe wohl die Stimmung und die politische Situation im Irak heute aus, wenn statt Sanktionen dort ein wirkliches Wiederaufbauprogramm der westlichen Welt durchgeführt worden wäre - ähnlich wie für Deutschland nach dem 2. Weltkrieg durch die Alliierten? Wäre das nicht die bessere Alternative gewesen?

Nachdem ich Ihnen die Lebensbedingungen vor dem Beginn des Aggressionskrieges im März geschildert habe, möchte ich nun auf die aktuellen Kriegsfolgen für die Menschen eingehen. Die nachfolgenden Zahlen beruhen auf einer Studie unserer englischen Partnerorganisation sowie einem vertraulichen Dokument der Vereinten Nationen, über welches in der Times berichtet wurde. Demzufolge ist zu rechnen mit:

 100.000 - 250.000 Toten zu Kriegsbeginn (die das US-Militär nach Zeitungsberichten nicht zählen möchte)

 ca. 500.000 Verletzten, die sofortige medizinische Hilfe benötigen, die aber nicht vorhanden ist aufgrund der vorangegangenen Sanktionen, der Bombardierungen - die Universitätskinderklinik in Bagdad hat z.B. bis zum heutigen Tage kein Wasser - und jetzt auch der Plünderungen u.a. von Kliniken, denen tatenlos zugesehen wurde.

 Weiteren Todesfällen bedingt durch die Zerstörung von Wasser- und Elektrizitätswerken: dadurch bedingt ist sauberes Trinkwasser Mangelware, und es kann zu Durchfällen und Todesfällen gerade auch bei Säuglingen und Kleinkindern kommen. Die UN schätzen, dass ca. 39% der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser versorgt werden müssten. Ohne sauberes Trinkwasser können auch Epidemien wie z.B. Cholera oder Typhus entstehen. Mich haben im Fernsehen insbesondere Bilder von Kindern erschüttert, jünger als meine eigenen, ca, 10 oder 11 Jahre alt, die bei vorbeifahrenden Soldaten und Journalisten nicht etwa um Süßigkeiten, sondern um Wasser bettelten.

 Einer Verschlimmerung der Anzahl und Situation der chronisch unterernährten Menschen durch den Zusammenbruch der Infrastruktur

 Katastrophalen Langzeitfolgen wie z.B. Symptomen von Schwermetallvergiftungen und zusätzlichen Krebserkrankungen durch den Einsatz von Uranmunition oder aber schweren Verletzungen und Todesfällen durch Splitterbomben oder Minen. Zu den langzeitfolgen gehören aber auch schwere psychische Traumatisierungen durch den Krieg selbst. Und es ist auch zu fragen, ob es nicht zu einer zunehmenden Verrohung einer Gesellschaft führt -dies gilt für beide Kriegsparteien - wenn ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung Gewalt erlebt und vor allem selbst straffrei angewendet hat; wenn die Grenze der Unverletzlichkeit menschlichen Lebens von so vielen überschritten wurde, weil die Lizenz zum Töten vorlag. Dem Frieden, sei es nach innen oder außen, dient das sicherlich nicht.

All dies, all diese entsetzliche Folgen für die Bevölkerung wurden sehenden Auges in Kauf genommen! Anders, als nach den verbrecherischen Anschlägen vom 11. September, wo wir immer und immer wieder im Fernsehen dieselben furchtbaren Bilder gesehen haben, gibt es diese Bilder von der Angst, der Not, dem Hunger und Elend der Menschen so gut wie gar nicht - und erst recht nicht pausenlos - im Fernsehen zu sehen. Dabei ist doch der Schmerz über den Verlust eines Menschen derselbe, und das Entsetzten und die Panik auch in den Gesichtern der Menschen angesichts eines bombardierten und brennenden Gebäudes, in welchem sich Menschen befinden, ist auch dasselbe! Wohlverstanden: ich möchte hier nicht dem Sensationsjournalismus Vorschub leisten. Aber ich frage mich, welche Auswirkungen solche Bilder weltweit gehabt hätten. Der Aufschrei gegen diesen Krieg wäre doch sehr viele größer gewesen! Das wäre wohl auch nicht zuletzt auch der UNO zugute gekommen! Die Medien müssen sich also fragen lassen, ob sie hier wirklich ihrer Rolle als kritische Berichterstatter nachgekommen sind oder sich stattdessen als 4. Waffengattung in der Kriegspropaganda haben missbrauchen lassen!

Aber nun lautet die entscheidende Frage: was muß jetzt geschehen? Zunächst einmal gilt das Verursacherprinzip: wer Krieg führt, muß auch die Folgen tragen!

Es ist höchste Zeit, dass entsprechende Sanktionsmaßnahmen seitens der UNO gegen die USA und Großbritannien verhängt werden! Aber auch die Bundesregierung gehört zur Verantwortung gezogen, da sie den USA trotz ihres völkerrechtswidrigen Angriffs die Überflugrechte gewährt hat sowie durch die Entsendung von Fuchs-Panzern in die Golfregion die US-Regierung zum Angriff indirekt ermutigt hat.

In der Genfer Konvention heißt es (Zitat): "Die feindliche Macht ist dazu verpflichtet, die Bevölkerung mit Lebens- und Arzneimitteln zu versorgen und das Gesundheitswesen in diesem Gebiet aufrechtzuerhalten" . Desweiteren heißt es: "Die feindliche Macht, die fremdes Staatsgebiet besetzt hält, soll besonders für das Schicksal der Kinder sorgen. Sie sind gut unterzubringen und zu verpflegen."

Also: für die angerichteten Schäden müssen die USA und Großbritannien selber aufkommen! Dies sollten wir ihnen auch nicht abnehmen! Sie sind gerade auch verpflichtet, die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und der Gesundheitsversorgung auf eigene Rechnung zu gewährleisten!

Das heißt übrigens nicht, dass man sich dem persönlichen Mitleid verschließt! Aus diesem Grund sammelt die IPPNW Spenden, um insbesondere den Kindern im Irak direkt zu helfen. Ein erster Transport mit Notfallmedikamenten wurde noch während der schweren Kämpfe am 4.April nach Bagdad gebracht. Seit vorgestern früh ist von Damaskus aus ein 2. Transport mit Medikamenten im Wert von 10.000 ? auf dem Landwege durch vermintes Gebiet unterwegs. Zur Zeit haben wir von unserer Kontaktperson noch keine Nachricht, ob sie durchgekommen ist. Für Mai ist die nächste Hilfslieferung geplant. Ich bitte Sie ganz herzlich, für unsere Direkt-Hilfe zu spenden!

Und da wir vom Geld reden: was bedeutet dieser Krieg in Zahlen? Wieviel kostet der Krieg? Die geschätzten Kosten betragen u.a. nach Angaben des US Congressional Budget Office sowie von Prof. Nordhaus von der Yale-University ohne Folgekosten ca. 50 - 200 Milliarden US-Dollar. Für diese Folgekosten werden zusätzlich nochmals 5 - 20 Milliarden US $ veranschlagt.

Wir alle wissen, dass dies ein Menge Geld ist. Eine für die allermeisten von uns unvorstellbare Menge Geld. Aus diesem Grunde hat einer meiner IPPNW-Kollegen, ausgerechnet, wie viel das eigentlich ist am Beispiel von "nur" 100 Milliarden US $:

 100 Milliarden US $, das sind 40 % des gesamten Jahreshaushalts der BRD!

 100 Milliarden US $, erreichen, wenn man sie in 100?-Scheinen übereinanderlegt, eine Höhe von 100 k m - als Strecke ausgedrückt: die Entfernung von Frankfurt nach Heidelberg oder von Bremen nach Hamburg

 100 Milliarden US $, das ist so viel wie 600 Jahre lang jeden Tag 6 Richtige im Lotto!

Es macht mich wütend und traurig, wenn ich sehe, welches Ungleichgewicht zwischen den Kosten für den Krieg einerseits und den Investitionen in Frieden andererseits herrscht:

Mit 100 Milliarden US $ könnte man international

 13 Jahre lang den gesamten Haushalt der UNO finanzieren oder

 80 Jahre lang die Arbeit von UNICEF oder

 250 Jahre lang die Arbeit der Weltgesundheitsorganisation WHO oder aber

 700 Jahre lang die Arbeit von Greenpeace International.

Mit 100 Milliarden US $ könnte man in Deutschland

 145.000 Kindergärten bauen oder

 2.100.000 Ärzte oder Lehrer einstellen oder

 3.500.000 Lehrstellen für je 3 Jahre schaffen oder

 280.000 Zivile Friedenskräfte zur gewaltfreien Konfliktlösungen, beispielsweise Israel/Palästina, je 10 Jahre lang einsetzen oder

 50 Jahre das gesamte Spendenaufkommen für humanitär-karitative Zwecke bestreiten oder aber

 die gesamte Friedensforschung 23.000 Jahre lang bezahlen!

Für uns als Friedensbewegung bleibt viel zu tun: es muß jedem deutlich werden, wie krass das Missverhältnissen von Ausgaben für Krieg und Frieden wirklich ist! Helfen Sie mit, Ihren jeweiligen Abgeordneten diese deutlich zu machen und anzumahnen, dass eine Umwidmung des Wehretats in wirkliche Friedensinvestitionen erfolgt, z.B. in einer Größenordnung von jährlich 5%.



Aber es gibt auch noch anders zu tun: wir sollten kritisch unser Augenmerk auf aller Äußerungen der US-Regierung über Syrien richten, damit dieses Land nicht zum nächsten Angriffsziel wird. Die Vorwürfe, die man derzeit hört, kommen mir doch sehr bekannt vor: der Vorwurf des Besitzes von Massenvernichtungswaffen, Unterschlupf für Terroristen ohne das Vorliegen von Beweisen - das haben wir doch bis gerade eben noch über den Irak gehört.

Es gibt viel für uns zu tun: helfen Sie mit! Bleiben Sie aktiv! Fördern Sie den Frieden! Schreiben Sie Leserbriefe, sprechen sie mit Ihren Abgeordneten! Und zeigen Sie Flagge: die Überschüsse aus dem Verkauf der bunten Friedensfahnen, von denen ich viele hier wehen sehe, gehen an unsere Irakhilfe! Sie können diese bestellen unter:
http://www.friedensfahnen.de

Vielen Dank!


Gina Mertens ist Ärtzin und Mitgelied der IPPNW

E-Mail:   gina-mertens@web.de
Internet: http://www.ippnw.de


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