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Oster-
marsch
2003


vom:
07.05.2003


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Ostermärsche und -aktionen 2003:

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Schriftliche Überabeitung des freigehaltenen Redebeitrages

Rede beim Ostermarsch 2003 am 19. April in Bremen und 21. April in Hamburg

Rolf Becker

Wieder und wieder - ich fürchte, wir werden noch oft Anlass haben, die "Wiederholbare Feststellung" zu zitieren, die Erich Fried 1982 aufschrieb, als die USA die kleine Karibikinsel Grenada überfielen aus Furcht, Revolutionen wie auf Cuba und in Nicaragua könnten weitere Länder Lateinamerikas erfassen:

Erich Fried

Wiederholbare Feststellung
Wenn ein großes Land
ein kleines Land überfällt
ist es Mord


Wenn ein großes Land
ein kleines Land überfällt
im Namen der Freiheit
ist es Mord
und das große Land
schändet den Namen der Freiheit


Wenn ein großes Land
ein kleines Land überfällt
im Namen der Sicherheit
und im Namen des Friedens
ist es Mord an dem kleinen Land
und an Frieden und Sicherheit


Ob im Norden im Süden
im Osten oder im Westen
ob vorgestern oder gestern
ob heute oder morgen


Wenn ein großes Land
ein kleines Land überfällt
ist es Mord


Wir haben den Krieg gegen den Irak, der erwartungsgemäß zugunsten der USA und ihrer Verbündeten entschieden, aber nicht beendet ist, und schon gar nicht zum Frieden geführt hat, nicht verhindern können.

Wir haben nicht verhindern können, dass dieser Krieg, der 1991 begann und während all der Jahre seitdem mehr oder weniger verdeckt weitergeführt wurde - mit Bombenangriffen auf militärische Einrichtungen, durch Unterteilen des Landes in so genannte Flugverbotszonen, vor allem durch das Embargo, das zum Tod vieler hunderttausend Menschen, darunter über 500.000 Kindern führte -, dass dieser langjährige Krieg mit dem jetzigen Angriff nochmals gesteigert wurde.

Wir haben nicht verhindern können, dass Menschen, deren Zahl wir nicht kennen, getötet und verletzt worden sind. Von Granaten und Bomben zerfetzt, verstümmelt, erstickt, verbrannt, verendet an den Folgen zum Teil grauenhafter Verwundungen.

Wir haben nicht verhindern können, dass die Lebensbedingungen für die 20 Millionen, die die verschiedenen Bevölkerungs- und Religionsgruppen im Irak zählen, auf nicht absehbare Zeit zerstört sind: Wasser, Strom, Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen, Bewässerungsanlagen, Felder und Ortsteile, in denen Minen und Blindgänger liegen, Krankenhäuser, die nicht mehr benutzbar sind: drei von dreißig, berichtet eine Presse, die nach eigenem Eingeständnis nur eingeschränkt berichten kann, sind in Bagdad noch in Betrieb.

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Wir haben nicht verhindern können, dass kulturelle Einrichtungen, wie das weltberühmte völkerkundliche Museum und die einzigartige Bibliothek in Bagdad, die zum Weltkulturerbe zählen, ausgeraubt und eingeäschert wurden. Und Wiederaufbau? Das Brecht-Zitat "Ihr Krieg tötet, was ihr Friede übrig gelassen hat" könnte aufgrund der Nachkriegs-Erfahrungen im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan auch lauten: Ihr Friede zerstört, was ihr Krieg übrig gelassen hat.

Die Liste ließe sich fortsetzen, sie ist so umfassend wie das Leiden, das dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg verursacht hat.

Die Bewegung gegen diesen Krieg war weltweit und einzigartig in der furchtbaren Geschichte der Kriege. Aber wir kommen nicht um die Frage herum, warum wir zu schwach waren. Und wir müssen uns die Frage stellen, wie wir unsere Schwäche überwinden. Wie wir beispielsweise die Schülerinnen und Schüler, die gegen den Krieg auf die Straße statt zum Unterricht gegangen sind, besser unterstützen; wie wir ihnen helfen können, Organisationsformen zu finden, die es nicht wiederholbar machen, dass ihr Protest wie in Hamburg von der Polizei niedergeknüppelt und von Politikern und Presse denunziert wird. Zum ersten Mal seit vielen Jahren kommen die Jugendlichen in unserem Land wieder in Bewegung. Was sie antreibt ist über den Protest gegen den Krieg hinaus das Aufbegehren gegen eine Welt, die sie ihrer Zukunftschancen beraubt, ihres Rechtes auf Bildung, Ausbildung, Lehre und Arbeit - ihres Rechtes auf Leben. Nur sie können verwirklichen, woran wir gescheitert sind, wo wir versagt haben.

Wie überwinden wir unsere Schwäche - ich will versuchen mich dieser Frage anzunähern.

Als wir mit zehn Kolleginnen und Kollegen im Mai 1999 nach Jugoslawien fuhren, also während des Angriffskrieges der Nato, war die Lage noch völlig anders:

1.Die auch damals schon von der SPD geführte Bundesregierung beteiligte sich am Krieg - unter Bruch zahlreicher Verträge.

2.Die Gewerkschaftsführung stimmte dem Krieg zu. Ihr Ja zum Bombardement der Nato durch ihren damaligen Vorsitzenden Dieter Schulte ist bis heute nicht aufgearbeitet. Umso mehr begrüßen wir, dass wir heute im Einvernehmen mit dem DGB und seinen Einzelgewerkschaften demonstrieren können.

3.Die Friedensbewegung war zur Zeit des Jugoslawienkrieges schwach, besonders hierzulande - nicht zuletzt infolge der Fehlinformationen von Regierung und Presse. Es scheint, ein Teil der Presse hat seitdem gelernt kritischer umzugehen mit den Vorgaben von Politikern und militärischen Stäben der Angreifer. Albert Einstein: "Die Massen sind niemals kriegslüstern, solange sie nicht durch Propaganda vergiftet werden." Oder Bertolt Brecht: "Von den neuen Antennen kamen die alten Dummheiten. Die Weisheit wurde von Mund zu Mund weitergegeben." Lasst uns dazu beitragen.

Die Bombardements heutiger Kriege nicht vergleichbar mit den Flächenbombardements des zweiten Weltkriegs; durch das "punktgenaue" Bombardieren ist die Zahl der direkten Opfer geringer. Aber was wird bombardiert oder mit ferngesteuerten Raketen angegriffen - und wie wirkt sich das aus? Wir können es aus Serbien berichten: Elektrizitäts- und Wasserwerke, Bahnanlagen, Straßen, Brücken, Telefonnetze, Radio- und Fernsehstationen, Industrieanlagen - vor allem Chemieproduktion und Raffinerien. Die Nervenstränge des öffentlichen Lebens - zerstört. Die Folge: hohe Zahlen indirekter Opfer. Was können Ärzte in Krankenhäusern noch leisten, die ohne Strom und Wasser sind, in denen Medikamente wie Insulin wegen mangelnder Kühlung nicht mehr benutzbar sind? Wie soll sich eine Arbeiterfamilie mit Kindern in den oberen Stockwerken eines Wohnblocks helfen, ohne Aufzüge und nachdem die Vorräte in den Kühlschränken verfault sind? Hamburg drei Tage nur ohne Wasser, Strom und Gas, dazu abgeschnitten von jeglicher Information - was wäre die Folge? Punktgenau vernichtet - über 300 Schulen und Universitäten, begründet mit der Annahme, sie seien militärisch genutzt worden. Punktgenau auch die Treffer der Splitterbomben auf dem Marktplatz von Nis zur Einkaufszeit. Punktgenau der Angriff auf die Brücke in Varvarin. Kein Terror?

Beim Krieg gegen Jugoslawien ging es so wenig wie beim Krieg gegen Afghanistan und den Irak um die Durchsetzung von Freiheit und Demokratie, oder die Beseitigung der Milosevic, Osama Bin Laden und Saddam Hussein. Als wir nach unserer Rückkehr aus den sieben Tagen des mehr als 70tägigen Bombardierens darauf hinwiesen, dass nicht einmal die Kontrolle über die Balkanregion eine ausreichende Erklärung für den Nato-Überfall sei, sondern dass er als Voraussetzung diene für einen Aufmarsch gegen den Nahen Osten und in der Weiterung vielleicht gegen Russland und China, wurden wir nur von wenigen verstanden.

Heute - auch nach dem Afghanistan-Krieg - stellt sich die Frage deutlicher. Auch wenn die Meinungen - und auch unter uns - unterschiedlich sind, ob es vor allem um Öl oder um den Ausbau der US-amerikanischen Vormacht geht: in der Sorge, dass es sich beim Krieg gegen den Irak nur um eine Etappe weiterer Kriege handelt, dürften wir uns kaum unterscheiden.

"Die Massen tragen nicht mehr mit Geduld ihr irdisches Elend" - dieser Satz Heinrich Heines gilt nicht nur für die Unterdrückten und Ausgebeuteten des arabischen Raumes. Die Herrschenden unter der Führung der USA müssen, wenn sie ihre Macht erhalten wollen, weltweit verhindern, dass sich Unzufriedenheit und Widerstand zu revolutionären Bewegungen bündeln und Führung finden. Und:

Es dürfen sich aus ihrer Sicht keine Nationalstaaten so entwickeln, dass sie die US-amerikanische Vormacht gefährden können. Bereits in den Leitlinien des Pentagon vom 18.2.1992 wurde formuliert, dass dieser Grundsatz auch für Russland, China gilt - und auch für die EU Hier liegt die Ursache auch für das widersprüchliche Verhalten der Bundesregierung: einerseits das diplomatische Nein zum Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak, andererseits Awacs, Spürpanzer in Kuweit, Flottenverbände am Horn von Afrika, Überflugrechte, militärische Entlastung in Afghanistan und Schutz der US-Basen in Deutschland.

Lasst mich jetzt zum Schluss versuchen, die anfangs gestellte Frage wieder aufzugreifen: Wie überwinden wir unsere Schwäche. Dazu ein Zitat der englischen Schriftstellerin A.L. Kennedy, geäußert unmittelbar vor dem Krieg und auf Deutsch wiedergegeben ausgerechnet von der FAZ (19.03.2003):

"Am kommenden Wochenende werden nun wahrscheinlich zwei Kriege wüten - ein unnötiger Krieg in den Städten und auf den Ölfeldern des Irak, ein zweiter, länger andauernder bei uns zu Hause und überall auf der Welt. Dieser Krieg wird ein Kampf zwischen kommerziellen Interessen und der Durchsetzung weltweiter Gerechtigkeit sein, zwischen der Zukunft unseres Planeten und dem Drang, Konsumentenkredite und selbstmörderischen Konsum zu steigern, zwischen Demokratie auf der einen, Bigotterie, Angst und Neid auf der anderen Seite...Der zweite, der unsichtbare Krieg wird darüber entscheiden, ob wir noch Hoffnung auf ein Überleben haben dürfen."

Der Krieg wird immer an zwei Fronten geführt: außen und im Inneren - entsprechend müssen wir an beiden Fronten Widerstand leisten. Ist es Zufall, dass ausgerechnet während des Irak-Krieges von der Bundesregierung die bisher größten Einschnitte ins soziale Netz angekündigt wurden?

Kanzler Schröder stellt die Vertrauensfrage - der Sonderparteitag der SPD soll mit ihr über die geforderten Maßnahmen, die alle sozialen Standards betreffen, entscheiden. Müssen wir nicht die Frage stellen - und ich frage das als aktives Mitglied der Gewerkschaften (ich gehöre seit Jahren in Hamburg zum ehrenamtlichen Ortsvereinsvorstand der IG Medien, der heutigen Fachgruppe Medien in ver.di):

Was sind SPD und Gewerkschaften noch wert, wenn sie mittragen, was sie überflüssig machen würde?

Nein! Widerstand gegen die geplanten Einschnitte, Verteidigung der ohnehin schon abgesenkten Standards! Nein vor allem auch im Namen unserer Kinder, die um Bildung, Ausbildung, Arbeit und Perspektiven fürs Leben betrogen werden! Wir müssen uns enger zusammenschließen, vor allem in der täglichen Kleinarbeit. Gegen Sozialabbau, für Frieden und Völkerverständigung.

Lassen wir uns nicht entmutigen. Bertolt Brechts "Es wechseln die Zeiten" - der Text liest sich neu unter den veränderten weltpolitischen Vorzeichen:

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne

Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.

Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne

Es wechseln die Zeiten, da hilft kein` Gewalt.

Am Grunde der Moldau wandern die Steine.

Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.

Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.

Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.



Eröffnung in Bremen:

Angeregt durch die Begrüßung der VeranstalterInnen: spontaner Dank an die Versammelten und Hinweis auf den geschichtsträchtigen Platz mit dem Rathaus, das mein Großvater Anfang 1919 bewaffnet verteidigte, als es während der Bremer Räterepublik für wenige Wochen ein Rotes Rathaus war - vor der Stadt, an der Straße nach Huchting, hinter einer Barrikade beim "Storchennest", einem Ausflugslokal an der Ochtumbrücke. Auf der anderen Seite der Barrikade, in den Reihen der "Gerstenberger", Truppen unter reaktionärer Führung, die zur Niederringung der revolutionären Bremer Arbeiter zusammengezogen worden waren, mein Vater, Leutnant der geschlagenen kaiserlichen Armeen, eben zurückgekehrt aus dem 1. Weltkrieg. Er wurde bei dem Kampf an der Ochtumbrücke durch eine Handgranate schwer verwundet. Unvergessene Folge: politische Auseinandersetzungen in der Familie während des 2. Weltkriegs über die Naziherrschaft und den militärischen Griff nach der Weltmacht endeten wiederholt mit der Frage meines Vaters, wer ihm wohl die Handgranate ins Kreuz geworfen habe, und der Gegenfrage meines Großvaters, ob er vielleicht deswegen im Rücken getroffen wurde, weil er weggelaufen sei... Und nun ich auf diesem historischen Platz, wenige Schritte von dem Gemäuer entfernt, in dem ich ab 1946 zu Schule ging. Die Geschichte geht weiter, das letzte Wort über ihren Verlauf ist noch nicht gesprochen.



Abschluss in Bremen:

Bertolt Brecht, 1951 (zur Zeit des Korea-Krieges und zu Beginn der Debatte um die Wiederaufrüstung Deutschlands):

Bitten der Kinder

Die Häuser sollen nicht brennen.

Bomber sollt man nicht kennen.

Die Nacht soll für den Schlaf sein.

Leben soll keine Straf sein.

Die Mütter sollen nicht weinen.

Keiner sollt töten einen.

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