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Demos
13.10.2001


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14.10.2001


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Demonstrationen 13.10.2001:

  Demo in Stuttgart

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Referat auf der Friedenskundgebung am 13.10.2001 in Stuttgart

Sybille Stamm

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,


in den ersten Stunden und Tagen nach den grauenvollen Terroranschlägen von Washington und New York hatten wir alle eine große Angst:

Dass die im Mark getroffene US-Regierung unmittelbar zurückschlagen und alttestamentarisch Rache nehmen würde, wie wir es oft genug erlebt hatten.

Es ist zunächst anders gekommen.

Ein Vergeltungsschlag blieb zunächst aus. Die Sprache schien sich zu mäßigen. Man schmiedete eine weltweite Anti-Terror-Allianz. Rot-Grün und andere europäische Regierungen hielten sich zugute, mit ihrem bedingungslosen Schulterschluss zu mehr Besonnenheit beigetragen und einem Primat der Politik den Boden bereitet zu haben.

Die Hoffnung, ein Krieg könnte so doch abgewandt werden, ist seit der Aufnahme der Bombardierung von Afghanistan erloschen.

Mir wäre lieber, wir hätten mit unseren Befürchtungen nicht recht behalten. Jetzt tritt ein, wovor wir in den vergangenen Wochen immer wieder gewarnt haben.

Dieser Krieg droht einen Flächenbrand des Hasses zu entfesseln und dieser Krieg kostet Menschenleben - Tote, die keinen der im Ground Zero Begrabenen wieder lebendig macht.

Schon jetzt sind Hunderte unmittelbar Opfer der Bombardierung geworden,

Anonym bleiben die Opfer der gewaltigen Flüchtlingswelle in Afghanistan. Millionen Menschen sind aus Angst vor Bomben aus den Städten geflohen. Die Hilfswerke haben sich zurückgezogen. Tausendfacher Hungertod ist angesichts des nahenden Winters zu befürchten. UNICEF hat mitgeteilt, dass allein die Zahl der unter fünfjährigen Kinder, die vom Hungertod bedroht sind, auf etwa 1,5 Mio. angestiegen sei.

Die jetzt schon katastrophale Lage der afghanischen Bevölkerung wird durch die Bombardierung noch bedrohlicher, als sie ohnehin schon war.

Und auch jene Menschen, ob Soldaten, Freiwillige oder Zivilisten, die ihr Leben in dem nun mit westlichem Druck und Waffen neu angestachelten Krieg zwischen Taliban und Nordallianz verlieren werden, dürfen nicht in eine Nebenrechnung abgeschoben werden. Sie sind genauso Opfer eines Krieges, der entgegen aller Warnungen und aller Versprechungen nun doch die Oberhand in der Bekämpfung des Terrorismus gewinnt.

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Demos
13.10.2001
Ich befürchte, dass die US-Regierung und ihre Verbündeten die selben Erfahrungen machen werden, die auch Scharon machen musste:

Die Radikalen bekommen Aufwind, Terroristen, die bisher isoliert waren, werden zu Helden.

Ich befürchte, dass während amerikanische, britische, neuerdings auch deutsche Fahnen verbrannt werden, Osama bin Laden, der mutmaßliche Anstifter des Massenmordes von New York, zur Heiligenfigur aufsteigt.

Ich befürchte, dass das weltweite Anti-Terror-Bündnis, das eine tragfähige und ermutigende Alternative zum Krieg werden sollte bei Fortsetzung der Bombenangriffe zerbrechen wird.

In dieser Situation müssen wir unsere Sprache wieder finden, gerade die Gewerkschaften.

"Ver.di sieht sich in der Tradition der Gewerkschaften als Friedensbewegung. Deshalb sagen wir:

Krieg ist kein geeignetes Mittel der Politik!" (Beschluss des Gewerkschaftsrates vom 28.9.2001)

Für die Gewerkschaften gibt es viele Gründe, sich an vorderster Stelle mit den neuen globalen Herausforderungen des Terrorismus auseinander zu setzen. Der naheliegenste: Es waren Kolleginnen und Kollegen bei den Luftfahrgesellschaften, in den Büros der Banken, Investmenthäuser, Versicherungen, in Restaurants, Kaffees und Kaufhäusern, bei Feuerwehr und Polizei, die bewusst und zielgerichtet Opfer der Terroranschläge geworden sind.

Auch die Folgen werden Gewerkschaften zu schultern haben. Die Weltwirtschaft ist nicht durch terroristische Attacken aus den Geleisen eines längeren Wachstumspfades gestoßen worden, aber die ökonomischen Abschwungtendenzen werden sich verstärken und Krisen zur Folge haben aktuell in der Luftfahrtindustrie. Von einer weiteren Senkung der Massenarbeitslosigkeit - ein Ziel, an dem sich gerade die deutsche Bundesregierung messen lassen wollte - ist bereits keine Rede mehr.

Umgekehrt: in kürzester Zeit werden erhebliche Mittel für Militär und sogenannte innere Sicherheit freigegeben, was den Druck in allen sozialstaatlichen Ausgabenfeldern massiv erhöht.

Auch das ist eine alte Erfahrung: Was der Sicherheitsstaat ausgibt, wird dem Sozialstaat genommen.

Es ist jedoch nicht nur die unmittelbare Interessenvertretung, die die Gewerkschaften neu herausfordert.

Ihr politisches Mandat ist gefordert - gleich in mehrfacher Hinsicht: Als zivilgesellschaftliche Kraft gegen die Militarisierung der Außenpolitik,

als rechtsstaatliche Kraft gegen die Ignorierung internationalen Rechts,

als demokratische Kraft zur Verteidigung der innerstaatlichen Freiheitsrechte, als solidarische Kraft, die die "Schattenseiten" der Globalisierung nicht ausspart, nicht als unabänderliche, Sachzwang postuliert, sondern als politische, soziale und ökonomische Umgestaltungsaufgabe begreift. Unsere Antwort muss als auch heißen:

Die Ursachen von Terrorismus bekämpfen!

Die Wurzeln der Gewalt und des Terrors liegen oft in Ungleichheit und sozialer Ungerechtigkeit. Sie liegen in der Armut und Verelendung, den Brandmalen einer immer ungerechter werdenden Weltwirtschaftsordnung.

Das Einkommensgefälle zwischen armen und reichen Ländern hat sich seit 1960 mehr als verdoppelt.

Die Arroganz, mit der der IWF und die Weltbank als Speerspitze der Interessen der entwickelten Industrieländer in vielen südamerikanischen, arabischen oder afrikanischen Ländern privatisiert und dereguliert haben, hat ein Ausmaß an Demütigung und Perspektivlosigkeit hinterlassen, das zunehmend Nährboden für den mörderischen und selbstmörderischen Terrorismus bereitet. Die Alternative Frieden heißt also auch langfristig: Kampf für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung.

Eine Schlussfolgerung für die Gewerkschaften heißt daher:

Wir dürfen uns nicht mit Lohndumping und Sozialabbau auf eine weltweite Standortkonkurrenz einlassen, bei der die ärmsten Länder keinen Platz mehr haben.

Umgekehrt: Wir müssen in den reichen Ländern einen Sog nach oben erzeugen, der zulasten der Gewinne geht mit dem Ziel, wieder mehr Spielraum für andere Nationen, insbesondere aber eine Überlebenschance für die Menschen in den armen Ländern zu eröffnen!

In diesem Kampf für eine gerechtere Verteilung sehe ich eine große Herausforderung für die Gewerkschaften, ihren langfristigen Beitrag für Frieden und gegen Terrorismus.

Dieser Herausforderung werden wir nur gerecht, wenn wir uns gerade jetzt nicht in politische, ethnische oder religiöse Gegensätze treiben lassen, sondern zusammenrücken.

Und wenn wir uns nicht in wirtschaftliche Gegensätze treiben lassen, sondern in einem grenzüberschreitenden Schulterschluss für die Sicherung und Verbesserung

der Lebensverhältnisse in allen Ländern, insbesondere in den armen Ländern eintreten!

Überall, in den Medien, in den Parteien, in den Parlamenten, bei vielen unserer Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen in verantwortlichen Funktionen, ist derzeit ein großer Konformitätsdruck spürbar. Sobald Kritik geübt wird, ja oft allein dann, wenn kritische Fragen gestellt werden, handelt man sich schnell den Vorwurf mangelnder Solidarität mit den Opfern von New York oder den Vorwurf des Antiamerikanimus ein - wie es unlängst dem Publizisten Ulrich Wickert passiert ist.

Wir lassen uns unsere Trauer um die Opfer des 11. September und unsere Anteilnahme mit ihren Angehörigen nicht absprechen.

Wir ziehen nur andere Schlussfolgerungen. Wir meinen: Es gibt andere Wege, den Terrorismus zu bekämpfen, als den sinnlosen Toten weitere sinnlose Tote folgen zu lassen!

Mutig ist die Erklärung von Eltern und Verwandten der in den Trümmern des World Trade Center Begrabenen, die sich nicht für Rache, sondern für Vernunft aussprechen, indem sie den amerikanischen Präsidenten beschwören, nicht im Namen ihrer Kinder, Männer oder Frauen Vergeltung zu üben.

Wir lesen, hören und sehen zu wenig über die großen Friedenskundgebungen in den USA.

Die Stimmung ist sehr unterschiedlich aber nicht so eindeutig, wie viele uns glauben machen wollen.

Auch bei uns in den gewerkschaftlichen Gliederungen wächst der Protest gegen den Krieg in Afghanistan, weil die Überzeugung wächst, dass damit der Terror nicht sinnvoll bekämpft werden kann. Es ist insbesondere die Jugend - und das stimmt mich hoffnungsvoll - die in diesen Tagen weltweit auf die Straße geht und gegen Terrorismus und Krieg demonstriert.

Ich war überrascht über die Erklärung 11. September aus New York ("Statement an September 11") von Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen mit vielen prominenten Namen, die sich gegen Krieg aussprechen und "Gerechtigkeit statt Vergeltung" fordern.

Und vor wenigen Tagen hat sich die große südafrikanische Gewerkschaft COSATU zu Wort gemeldet, den Krieg in Afghanistan verurteilt und eine Stärkung des Gewaltmonopols der UNO gefordert! Die Demokraten in Südafrika wissen, wovon sie reden. 1994 hat jeder in der Welt den Bürgerkrieg in Südafrika erwartet. Rache der jahrhundertelang unterdrückten, entrechteten und ausgebeuteten schwarzen Bevölkerung an den Weißen.

Es ist dem Mut und der Größe, der Besonnenheit und dem unbezwingbaren Friedenswillen Nelson Mandelas zu verdanken, dass Südafrika Perspektiven für Demokratie und Frieden gewinnen konnte.

Der Präsident der parlamentarischen Versammlung des Europarates, Lord Russel-Johnston fordert, dass schnell und mit aller Entschiedenheit auf die Terroristen reagiert wird. Der Europarat plädiert auch für das Recht, so erforderlich, Gewalt anzuwenden. Er lehnt jedoch unverhältnismäßige und willkürliche Gewaltmaßnahmen ab. Wir pflichten ihm bei, wenn er sagt "Wenn wir angesichts der terroristischen Bedrohung unsere Humanität aufgeben, haben die Terroristen ihren Kampf schon gewonnen."

Es geht aber darum, den Frieden zu gewinnen!

"Den Krieg gegen Afghanistan zu gewinnen mag sich als einfach erweisen. Wenn aber diese Welt wirklich sicher werden soll, müssen wir den Frieden gewinnen. Auf dem Weg dahin müssen wir vorsichtig sein mit dem, was wir tun, aber auch mit dem was wir sagen." (FAZ 10.10.2001)

Darum geht, es der Friedensbewegung und der Gewerkschaftsbewegung heute:

Tun wir alles, um den Frieden zu gewinnen!


Sybille Stamm ist Landesbezirksleiterin von ver.di Baden-Württemberg

E-Mail:   sybille.stamm@verdi.de
Internet: http://www.verdi.de
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