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"Atomwaffen abschaffen!"



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Juni 2002


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Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen":

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Rede bei der Jahrestagung "Atomwaffen abschaffen" - 14.6.2002, Erfurt, Augustinerkloster

"Gewaltspirale durchbrechen! Nach dem Krieg ist vor dem Krieg"

Frank Spieth (Vors. DGB Landesverband Thüringen)

Liebe Freuindinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,


Zwei Jahrzehnte ist es her, dass eine neue Runde nuklearen Wettrüstens massenhaft Proteste hervorrief. In Deutschland neu stationierte "Pershing II"-und "SS20"-Raketen machten vielen klar, wohin atomarer Wahnsinn führt.

Zu den Vordenkern der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR gehörte vor allem, daran sei an diesem Ort erinnert, der Erfurter Propst Heino Falcke. Seit Ende der siebziger Jahre hatte sich die Basisbewegung unter dem schützenden Dach der Kirche verbreitert. Auslöser war nicht zuletzt der 1978 trotz kirchlicher Ablehnung eingeführte Wehrkundeunterricht in den Schulen. Wir erinnern uns an die über die DDR-Grenzen hinaus bekannte Bewegung "Schwerter zu Pflugscharen" und an den "Berliner Appell". Es liegt nun schon zwei Jahrzehnte zurück, dass Robert Havemann und Rainer Eppelmann 1982 in ihrem Berliner Appell die Konfrontation der Militärblöcke in Deutschland nicht als Friedensfaktor, sondern als Ursache einer explosiven Lage kennzeichneten.

In Westdeutschland protestierten zur gleichen Zeit Hunderttausende in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn gegen die nukleare Aufrüstung. Trotz eines gegenteiligen Votums des DGB-Vorstandes nahmen Tausende Gewerkschafter unter den Fahnen ihrer Organisation teil und hörten Heinrich Bölls oder Harry Belafontes wort- bzw. stimmgewaltigen Protest.

Die Friedensbewegung stellte die damals offiziell so genannte "Nachrüstung" in Frage. Denn in der Gewaltspirale ist nach dem Krieg vor dem Krieg. Der damalige Widerstand hatte zur Folge, dass die Großmächte darüber verhandelten, diese neuen Massenvernichtungswaffen wieder zu beseitigen. Genau vor 20 Jahren, im Juni 1982, verständigten sich der US-amerikanische und der sowjetische Verhandlungsführer auf einem legendären "Waldspaziergang" über Kernelemente einer Abrüstungsvereinbarung.

Der Blick zurück lohnt, damit wir sehen, wie massive Proteste von Atomwaffengegnern durchaus Wirkungen zu zeigen vermögen.

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Kampagne:
Atomwaffen
abschaffen!
"Nach dem Spiel ist vor dem Spiel", sagte einst Sepp Herberger, der Trainer der westdeutschen Fußballauswahl. - Der Jubel am Ende des von den Atommächten USA und UdSSR geprägten Kalten Kriegs war Ende der 80er Jahre groß. Aber inzwischen sehen wir: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

Bereit zu kriegerischer Auseinandersetzung stehen sich dieser Tage zwei andere Nuklearmächte, Pakistan und Indien, mit einer Million mobilisierter Soldaten gegenüber. Von denen war damals noch nicht die Rede, der Ost-West-Konflikt überlagerte und verdeckte teilweise andere Konflikte. Der Atomwaffensperrvertrag von 1970 hat das Entstehen neuer Atomwaffenmächte nicht verhindert. Zum einen, weil die Atommächte ihr Versprechen aus dem Vertrag an die keine Kernwaffen besitzenden Staaten, ihre Potentiale abzurüsten, nicht erfüllten. Sodann fehlte es an effektiven Kontrollmöglichkeiten, gerade auch für die Nichtbesitzer. Schließlich setzten die Verbote des Vertrags zu spät ein. Und im noch im Zeichen der Atomeuphone sind Forschung und Entwicklung im Bereich der Atomtechnologie nicht nur frei, sondern sie werden durch den Vertrag sogar ausdrücklich gefördert.

Auf Kaschmir blickend, halten jetzt zwar viele bange den Atem an, aber an entschieden Protesten fehlt es. Das mag mit der Unübersichtlichkeit des

Konflikts zu tun haben, der teilweise noch aus dem bitteren Erbe des englischen Imperialismus herrührt - eine Herausforderung für das Aufklärungsvermögen unserer Friedensbewegung. In der gestern, Donnerstag, erschienenen Wochenzeitung "Die Zeit" schribt dazu die indische Schriftstellerin Arundhati Roy:

"Die ´internationale Allianz gegen den Terror` führt unterdessen Krieg und predigt gleichzeitig Zurückhaltung. Während Indien und Pakistan nach dem Blut des jeweils anderen lechzen, verlegt die Allianz in aller Ruhe Pipelines, verkauft uns Waffen und drückt ihre Geschäftsinteressen durch. Großbritannien beispielsweise versorgt beide Seiten fleißig mit Waffen. Tony Blairs wenige Monate zurückliegende,Friedensmission` war in Wirklichkeit eine Geschäftsreise, mit dem Ziel, über den Verkauf von Hawk-Kampfbombern nach Indien zu sprechen. Geschäftsvolumen: eine Milliarde Pfund. Für den Preis eines einzigen Hawk-Bombers könnte die Regierung etwa anderthalb Millionen Menschen lebenslang mit sauberem Trinkwasser versorgen."

Es ist illusorisch sich mit der Vorstellung zu beruhigen, hier handele es sich um einen regional begrenzten und begrenzbaren Konflikt auf der anderen Seite der Welt. Die Reichweiten indischer Atomraketen, die "Feuer" (Agni) oder "Erde" (Prithwi) heißen, erstrecken sich weit in den Nahen Osten oder nach China hinein. Und Pakistan, von US-Präsident Bush zum Bundesgenossen im Afghanistankrieg befördert, benannte eine Rakete nach dem früheren Herrscher "Ghauri" der einst Delhi eroberte.

Nun zu einem anderen Versuch, die Atomkriegsgefahr herunterzuspielen. Geradezu dummdreist wollte man uns von offizieller Seite beruhigen, nachdem die "Los Angeles Times" am 9. März dieses Jahres über ein Geheimpapier des US-Kriegsministeriums - man wird das Pentagon, das sich nach eigenem Verständnis im Krieg befindet, so nennen dürfen - berichtet hatte. Eine Sprecherin des von Joseph Fischer geführten Auswärtigen Amts erklärte dazu, dass man weiterhin davon ausgehe, dass es keine konkrete Atomwaffeneinsatz-Planung geben würde; schließlich sei doch der zitierte

Pentagon-Bericht geheim und man halte sich lieber an die offizielle Stellungnahme der US-Regierung. Mit anderen Worten: Es kann ruhig draußen regnen, deutsche Politiker bringen es zustande dennoch davon auszugehen, die Sonne würde scheinen, weil das Kachelmann am Vorabend im Wetterbericht erklärt hat.

Die vom Bundeskanzler gelobte "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA darf nicht als Vorwand für Wegschauen dienen. In dem Papier ("Nuclear Posture Review") mit der Unterschrift des Verteidigungsministers Rumsfeld wurde der Atomwaffeneinsatz im Nahost-Konflikt, in Streit um das geteilte Korea oder bei Auseinandersetzungen zwischen China und Taiwan erwogen. Als mögliche Feinde wurden dort außerdem Iran, Irak, Syrien, Libyen und auch noch Russland aufgelistet.

Man sieht: je genauer man hinschaut, desto länger wird die vom US-Präsident Bush anvisierte "Achse des Bösen". Desto deutlicher wird, wie viele unter die Räder der weltweit walzenden Militärmaschinene kommen könnten. Die Bush-Regierung ist dabei, den atomaren Offenbarungseid zu leisten: waren es bisher angeblich nur "politische Waffen", so wird jetzt für die Atomwaffen erstmals mit Listen von Zielländern gewedelt. Atomwaffen nicht mehr als Abschreckungspotential sondern als durchaus verwendbare "Anti-Terror-Waffe". Und für diejenigen, die in Afghanistans Bergen schon mal in einen Trupp Schrottsammler eine Rakete jagten, weil sie diese versehentlich als Al-Kaida-Kämpfer identifizierten, für diejenigen, die dort Höhlen und dorthin geflüchtete Menschen mit Megatonnenbomben und raffiniert eingesetzter Technikperversion zerstören - für diejenigen ist es wohl nur ein kleiner Schritt, die Atomkriegsschwelle zu senken und auch mal mit Mini-Nuklearwaffen ein Inferno zu provozieren. Das Pentagon erwägt, sogenannte "mini-nukes" zu entwickeln, die ein Drittel von der Sprengkraft der Atombomben haben, die 1945 auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden.

Da kommen einem die Meldungen dieser Tage über eine angeblich verhinderte Nuklearattacke auf die USA wie Ablenkungsmanöver vor, zumal die "Financial Times" berichtet, dass das angebliche Terroristenattentat mit einer sogenannten "Schmutzigen Bombe" in der "Anfangsphase", im "Stadium der Diskussion" gewesen sei. Alles vielleicht nur eine PR-Bombe? Ohne die Gefahr, dass nukleares, z.B. medizin-technisches Material in dunklen, nicht-staatlichen Kanälen versickern kann, zu verharmlosen, bleibt doch an die Adresse der US-Armee zurückzufragen, ob der Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran im Krieg gegen Jugoslawien nicht auch als Einsatz "schmutziger Bomben" anzusehen ist. Auch sollten wir uns vor der rhetorischen Alternative "schmutzige" Bombe oder "sauberer" Atommüll hüten. Nebenbei sei daran erinnert, dass die US-Regierung vor einem Vierteljahr versuchten, die zulässigen Grenzwerte für Lebensmittelbestrahlung weltweit zu erhöhen, was der Bush-Regierung vorerst misslang, unter anderem wegen des Widerstands der EU und Polens.

Die Bush-Regierung gerät zunehmend unter Erklärungszwang. In den USA wird längst nicht mehr jeder als Verschwörungstheoretiker verschrieen, der fragt, was Bush, der den Öl-Firmen nahesteht, die sich in Afghanistan Pipelines wünschen, vor dem 11. September wusste. Und es gibt Indizien, dass die Planung des am 7. Oktober begonnenen Afghanistankriegs am 11. September bereits fertig in der Schublade lag. So etwas fragt die demokratische Kongressabgeordnete McKinney, und die amerikanische Presse berichtet sachlich darüber. Da kommt die Meldung eines erfolgreich abgewendeten terroristischen Angriffs gerade recht.

Wie wahrheitsliebend das Pentagon ist, fragte mancher sich Ende Februar, als ein "Büro für Strategische Einflussnahme" in die Schlagzeilen geriet, das ausländische Medien mit irreführenden Informationen füttern sollte. Im Hinblick auf derart in die Irre führende Kriegstrommler ist es beeindruckend, welcher Sachverstand sich hier im "Trägerkreis Atomwaffen abschaffen", dem Veranstalter unseres Kongresses, versammelt hat. Nur beispielhaft sei auf die "Naturwissenschaftlerlnnen-Initiative,Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit"` verwiesen, die in der Tradition der "Göttinger Erklärung" vor 45 Jahren steht. Am 12. April 1957, eine Woche nach Bundeskanzler Adenauers Atomwaffen-Plädoyer veröffentlichten 18 der namhaftesten westdeutschen Atomforscher, unter ihnen der Entdecker der Kernspaltung Otto Hahn, einen Appell, der die verheerende Wirkung der Atomwaffen verdeutlichte. Widersprochen wurde damit Adenauers Bemerkung, die an heutige USA-Planspiele erinnert, dass taktische Atomwaffen "nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie" seien. Zugleich verweigerten sie jede Mitwirkung an der Herstellung, dem Einsatz und der Erprobung von Atomwaffen. Diese Initiative hatte seinerzeit ein nicht zu unterschätzendes Echo. Der DGB-Bundesvorstand sprach sich am 17. April 1957 erstmals "gegen die Lagerung von Atomwaffen in Deutschland" aus. Der IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner und der DGB-Vorstand schlossen sich dieser Initiative an.

In dieser Tradition, im Wissen um diese Erkenntnisse unterstützt der DGB Thüringen diesen Tagung. Laßt uns dafür sorgen, dass die Erkenntnisse unseres Treffens ebenfalls Eingang in allen Bereichen der Gesellschaft finden. Gerade wir als Gewerkschafter sehen uns dabei in der Pflicht, wenn versucht wird, das Arbeitsplatzargument gegen unseren Antimilitarismus auszuspielen. Soziale und ökologische Modernisierung des Industriestandortes Deutschland - das geht nicht ohne Anstrengungen zu Rüstungskonversion. Es ist weder Ausdruck wirtschaftlicher Vernunft noch politischer Verantwortung, wenn Deutschland zum Spitzengruppe in der Weltrangliste der Waffenexporteure gehört. Aus den Unternehmen, die Waffen herstellen, haben sich Betriebsräte und ihre Gewerkschaften mit Vorschlägen zu Wort gemeldet, um alternative Produkte herzustellen.

Und hier in Erfurt, wo wir unlängst sahen, wie ein als Ninja-Krieger kostümierter Schüler ein Blutbad anrichtete, muß auch eine Doppelzüngigkeit öffentlichen Redens hinterfragt werden: Wie glaubwürdig ist es, von Kindern und Jugendlichen Achtung des Rechts und Gewaltfreiheit zu fordern, wenn gleichzeitig Politiker dieses Land wieder in Kriege führen und meines Erachtens völkerrechtswidrige Kampfeinsätze beschließen?

Ich gehe noch weiter, was unsere Aufgaben angeht. Die im Zuge der neoliberalen Deregulierung durchgesetzte Polarisierung zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich, die Demütigung und Deklassierung ganzer Erdteile verschärft die Konflikte. Dabei ist nicht zu erwarten, dass die Verelendeten dieser Erde mit einem Pappschwert auf das Pentagon oder die europäischen Metropolen losgehen. AIDS, Hunger und Armut, Kinderarbeit, Wasserknappheit und Bodenerosion in großen Teilen der Welt sind Beispiele für die Katastrophen, ohne deren Bekämpfung es keine globale Sicherheit gibt. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Fragwürdigkeiten des Kosovo- und Afghanistankriegs werden erkennbar. Aber schon will man unser wieder auf einen neuen Feldzug, diesmal gegen Irak, einschwören der Kampf um die Köpfe der Menschen läuft auf Hochtouren. Seien wir wachsam! Mischen wir uns ein! Hiroshima und Nagasaki mahnen uns, für die Abschaffung von Atomwaffen und für den Frieden zu arbeiten - denn wir leben immer noch am Abgrund der atomaren Vernichtung.


Rede bei der Jahrestagung "Atomwaffen abschaffen" - 14.6.2002, Erfurt, Augustinerkloster

E-Mail:   frank.spieth@dgb.de
Internet: http://www.dgb-thueringen.de
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