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vom:
31.10.2001
Update: 13.11.2001


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Hintergrundinfos Terroranschläge / Afghanistan:

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Für einen Stopp der militärischen Intervention in Afghanistan

Fachbereich Außenpolitik (Bündnis 90/Die Grünen)

Der Fachbereich Außenpolitik unterstützte bei seiner Sitzung am 28.10.2001 mit großer Mehrheit einen Text, der von den Sprechern der BAG Frieden, Martina Fischer und Dieter Reinhardt, am 20.10. vorgelegt wurde. Der Fachbereich erteilte den Sprechern das Mandat, diesen Text um einige Aspekte zu ergänzen, die in der Debatte zur Sprache kamen, und dies als Position des Fachbereiches anschließend öffentlich zu machen. Das vorliegende Papier ist das Ergebnis der Überarbeitung und gibt die Positionierung des Gremiums wieder.


Berlin, Osnabrück, 31.10.2001

Für einen Stopp der militärischen Intervention in Afghanistan
zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe - für eine effektive Bekämpfung des Terrorismus


1.Nach Wochen der Bombardierung von Zielen in Afghanistan zeichnet sich ab, dass dieses Vorgehen ineffektiv zur Bekämpfung des Al Qaida-Terrornetzwerkes ist. Die Verknüpfung des Kampfes gegen Al Qaida mit einem Krieg gegen das Taliban-Regime kann dazu führen, dass beide Zielsetzungen sich gegenseitig behindern. Eine Schaffung von Märtyrern und eine zusätzliche Destabilisierung dieser ohnehin konfliktträchtigen Region durch externe Gewalteinwirkung wird auf lange Sicht die Bedingungen für Terrorismus eher begünstigen als beseitigen. Es gibt Indizien dafür, dass das Netzwerk über mehr Ausbildungslager außerhalb als innerhalb Afghanistans verfügt. Für Osama bin Laden und seine Verbündeten besteht höchstwahrscheinlich die Möglichkeit, in anderen Ländern unterzutauchen. Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld sagte deshalb, es sei ungewiss, ob man ihn und seine Gefolgsleute je finden werde.

2.Der Länderrat von Bündnis 90/Die Grünen hat in einem Beschluss vom 6.10.01 seine Unterstützung für den Einsatz militärischer Mittel an verschiedene Kriterien geknüpft. Neben der völkerrechtlichen Legitimität werden drei Bedingungen aufgeführt:


a) "Jedes mögliche Vorgehen muss eingebunden sein in ein politisches Konzept, das über den Tag hinausweist und ein Angebot enthält zur wirksamen Behandlung der Konflikte, aus denen sich terroristische Gewalt speist."


b) "Jedes mögliche Vorgehen muss darauf gerichtet sein, die Terroristen und ihre Infrastruktur zu bekämpfen, aber die Zivilbevölkerung zu verschonen" und:


c) "Es muss sich daran ausrichten, dass nicht ein Kampf der Kulturen entsteht, der die Welt zerreißen würde. Es geht nicht um Krieg gegen ein Land, eine Kultur oder eine Religion, sondern um die Bekämpfung von Terroristen."


In Afghanistan findet hingegen keine militärisch gestützte Polizeiaktion statt, sondern ein Krieg, der den umfangreichen Einsatz der Luftwaffe, von Streu- und Splitterbomben sowie Operationen von Bodentruppen umfasst.

Auswirkungen der militärischen Intervention

3.Diese Kriegsführung führt unausweichlich zu vielen Toten und Verwundeten in der Zivilbevölkerung und wird eine dramatische Verschlechterung der humanitären Situation zur Folge haben. Vermutlich wird die Zeit bis zum Wintereinbruch nicht mehr ausreichen, den Ausbruch einer Hungersnot zu verhindern. Flüchtlingselend ist jedoch der beste Nährboden für Hass und radikale Überzeugungen.


Angesichts einer mehrstufigen militärischen Planung, die darüber hinaus eine Bodenoffensive durch oppositionelle Milizen vorsieht, erweisen sich Mahnungen zur Schonung der Zivilbevölkerung geradezu als zynisch. Afghanische Frauenorganisationen weisen mit Recht darauf hin, dass Frauen, Kinder und alte Menschen, die in den Dörfern verbleiben, während sich die Kämpfer in die Berge zurückziehen, die Hauptleidtragenden des Krieges sein werden.

4.Ein "politisches Gesamtkonzept", das dem militärischen Vorgehen zugrunde liegt, ist nicht erkennbar. Das Kalkül der militärischen Unterstützung der Gegner der Taliban folgt tradierten Mustern internationaler Politik, die sich schon im Kosovokonflikt als fatal erwiesen haben. Bewaffnete Gruppen werden legitimiert, Gewaltkulturen und Traumatisierungen werden verstetigt und Bürgerkriegsökonomien gefestigt, die durch noch so professionelle VN-Friedensmissionen anschließend kaum mehr zu überwinden sind. Die Vorstellung, die so aufgerüsteten "warlords" würden anschließend auf den politischen Machtanspruch verzichten und ihre Arsenale übergeben, ist unrealistisch. Faktisch haben in Bürgerkriegsregionen diejenigen die Macht inne, die über Waffen verfügen und die aus dem Krieg gespeisten Geschäfte kontrollieren.


Auf die Nordallianz zu setzen ist ein Spiel mit dem Feuer. Ansätze für ein neues, besseres Regime sind nicht erkennbar. Die Gefahr, dass Afghanistan erneut in einem Chaos von Stammeskämpfen und Bürgerkriegen versinkt, steigt.

5.Der anhaltende Krieg birgt darüber hinaus die Gefahr, die Region des Mittleren Ostens zu destabilisieren und den Nährboden für radikal-islamistische Ideologisierung eher noch zu verstärken. Ein zentrales Problem liegt darin, Pakistan direkt oder indirekt in den Konflikt hineinzuziehen. Es besteht die Gefahr, dass die innenpolitischen Spannungen in Pakistan immer gewalttätigere Formen annehmen. Kenner des Nahen und Mittleren Ostens berichten, dass in zahlreichen islamischen Ländern seit den am 7.10. gestarteten militärischen Aktionen vermehrt Solidarisierungseffekte mit Bin Laden und der Organisation Al Qaida zu beobachten sind und dass es in Pakistan zu einem Bürgerkrieg kommen kann.


Pakistan steht seit fast einem Jahrzehnt am Rande des Staatsbankrotts und war bereits vor dem 11. September und vor Beginn der US-Luftangriffe auf Afghanistan von Staatszerfall gefährdet. Der nun stattfindende Krieg könnte diese Zerfallsprozesse dramatisch beschleunigen. Noch gefährlicher wäre, wenn es zu einer "Afghanisierung" Pakistans käme. Das hätte fatale Auswirkungen für die Stabilität in der gesamten Region, würde die Gefahr eines Krieges zwischen Pakistan und Indien erhöhen und die Voraussetzungen für eine wirksame Bekämpfung von Terrorismus verschlechtern.


Mit fortdauernder Bombardierung, zumal, wenn diese während des Ramadan fortgesetzt wird, steigt die Gefahr, dass die sogenannte "Antiterrorkoalition" auseinanderbricht. Weitere Destabilisierungen sind zu erwarten, wenn Flüchtlingsströme zunehmen.

6.Die Initiative der Bundesvorstandssprecherin Claudia Roth und des Parteirats vom 15.10. 2001 zur "Aussetzung" der Bombardierung mit dem Ziel der Versorgung der afghanischen Bevölkerung erkennt die humanitäre Notlage an. Allerdings halten wir die Forderung nach einer Unterbrechung der Luftangriffe für unzureichend.


Wir lehnen das militärische "Gesamtkonzept" (Offensive durch die Nordallianz als "Bodentruppe") ab und setzen uns für die sofortige Einstellung der Bombenangriffe auf Afghanistan ein. Wir fordern ein politisches Konzept zur Einhegung der Krisen in der Region, effektive Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung und Initiativen zur Verhinderung einer großen humanitären Katastrophe.

Für eine Beendigung des Kriegs und eine internationale Initiative zur Stabilisierung der Region

7.Eine Region, die zwanzig Jahre lang von Bürgerkriegen und Stellvertreterkriegen zerrissen wurde, braucht nicht zusätzliche Rüstungsschübe. Statt die Nordallianz gegen die Taliban-Kämpfer aufzurüsten, sollten allen "warlords" gleichermaßen die Nachschubwege für Kriegsgerät abgeschnitten werden und Maßnahmen dafür ergriffen werden, den Kreislauf von Drogen- und Waffenhandel wirksam zu durchbrechen. Wir kritisieren deshalb die Entscheidung der Ständigen Vertreter der EU-Regierungen vom 31.10., die den Waffenexport für die Nordallianz erlaubt.


Wir setzen uns für ein politisches Konzept zur Stabilisierung der gesamten Region ein, das Pakistan, den Iran und die zentralasiatischen Republiken in regionale Kooperation einbinden muß. Die Stabilisierung Pakistans ist dabei von besonderer Bedeutung.


Darüber hinaus sollten die Nachbarstaaten Afghanistans durch diplomatische Initiativen dazu bewegt werden, der Talibanregierung jegliche Unterstützung zu entziehen und wirksame Schritte zur Austrocknung ihrer Ressourcen (Drogen- und Waffengeschäfte) zu ergreifen. Nur so kann dieses Regime langfristig geschwächt und zum Sturz gebracht werden.

8.Daneben müssen Konzepte für eine langfristige Wiederaufbauhilfe in Afghanistan, für die Errichtung eines Gesundheits- und Bildungswesens sowie für die Entwaffnung und Reintegration ehemaliger Kämpfer entwickelt werden. Dazu gehört auch, alternative Einkommensquellen für die Bevölkerung zu ermitteln, deren Lebensunterhalt auf dem Opiumanbau basiert.


Die Umsetzung solcher Programme kann nur im Rahmen einer umfangreichen und langjährigen VN-Mission erfolgen und sollte von der Europäischen Union massiv unterstützt werden. Nur so können Voraussetzungen für einen Transformationsprozess geschaffen werden, der unter Beteiligung aller in Afghanistan und im Exil lebenden gesellschaftlichen Gruppen am politischen Prozess vonstatten gehen muss.

9.Eine Entsendung von deutschen Bundeswehrsoldaten und militärischem Gerät in die Krisenregion Afghanistan unter den jetzigen Bedingungen lehnen wir ab. Die Einsatzmöglichkeit von deutschem Personal bei der Versorgung von Flüchtlingen im Rahmen einer zukünftigen VN-Friedensmission sollte hingegen geprüft werden.


Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie - bei aller notwendigen politischen Solidarität mit dem amerikanischen Bündnispartner - auf die enormen Risiken der verfolgten Militärstrategie hinweist. Sie soll sich dafür einsetzen, dass die bisherigen Muster durchbrochen werden und dass für die Befriedung von Krisenregionen differenziertere Mittel eingesetzt werden: Initiativen für den Dialog und die Stärkung von Friedensallianzen gegen Gewaltkulturen, für Entmilitarisierung, Entwicklung und Bildung sowie für den Aufbau von staatlichen Institutionen, die Menschenwürde und Menschenrechte garantieren.

Effektive Terrorismusbekämpfung unter dem Dach der Vereinten Nationen

10.Der amerikanischen Regierung ist es gelungen, eine breite internationale Anti-Terrorallianz zu bilden. Die USA, nicht die Vereinten Nationen, haben jedoch über den Einsatz der Mittel und Strategien entschieden und die politische und militärische Führung übernommen. Terrorismusbekämpfung sollte jedoch unter dem Dach der Vereinten Nationen erfolgen. Nur die VN sollten über den Einsatz der zur Ergreifung von Rechtsbrechern erforderlichen Gewaltmittel entscheiden und für die Umsetzung von Maßnahmen der Verfolgung verantwortlich sein.


Es reicht es nicht aus, dass der VN-Sicherheitsrat als nachträgliche Legitimationsinstanz zur Absegnung von Kriegsaktivitäten einiger weniger westlicher Staaten dient und den VN die Abmilderung von Kriegsfolgen durch humanitäre Maßnahmen oder die Aufräumarbeiten überlassen werden.

11. Die Anschläge von New York und Washington haben gezeigt, dass das Versprechen der Regierungen, mit hochgerüsteten und überlegenen Militärapparaten Sicherheit herstellen zu wollen, sich nicht mehr einlösen lässt. Effektive Terrorismusprävention muss sich auf die Bekämpfung von dessen Strukturen wie Ursachen gleichermaßen richten. Dies erfordert eine Weltinnenpolitik unter dem Dach der Vereinten Nationen. Gerade vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der amerikanischen Führung fatal, sich zwar vom VN-Sicherheitsrat das "Recht auf Selbstverteidigung" zubilligen zu lassen, sich gleichzeitig aber einem wirklich multilateralen Politikschritt zu verweigern, indem sie z.B. Anstrengungen zur Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs torpediert und Staaten, die mit diesem kooperieren, mit Sanktionen belegt. Auch die Bemühungen zur Verabschiedung einer internationalen Konvention zur Einschränkung des weltweiten Kleinwaffenhandels sollten von den USA nicht länger behindert werden.


Die VN und der VN-Sicherheitsrat müssen politisch aufgewertet werden. Sie müssen sowohl bei der Verfolgung und Festnahme der für die Anschläge vom 11. September verantwortlichen Terroristen als auch bei der Suche nach einer Befriedung des innerafghanischen Bürgerkrieges die zentrale Rolle einnehmen.

12. Zu den wichtigsten Maßnahmen zur Zerschlagung des Al Qaida-Terrornetzwerkes gehören:


- Strafrechtliche Verfolgung, Ergreifung und Verurteilung der Terroristen durch ein VN-Gericht

- Intensivierung der internationalen Kooperation von Polizei- und Strafverfolgungsbehörden sowie Verbesserung der geheimdienstlichen Aufklärung


- Schließen von Finanzierungsquellen und die Verhinderung der Geldwäsche

- Beendigung der Finanzierung islamistischer Terrorgruppen durch Teile der politischen und ökonomischen Eliten Saudi-Arabiens und anderer arabischer Staaten


- Drastische Einschränkung des Drogen- und Waffenhandels in Afghanistan, Pakistan und Zentralasien, sowie Schaffung alternativer Einkommensquellen für die vom Opiumanbau Abhängigen

- Systematische Stärkung des Wiener VN-Büros für Drogenkontrolle und Verbrechensprävention

13.Maßnahmen zur Verfolgung von Terroristen müssen nicht nur mit den Verbündeten, sondern vor allem im VN-Sicherheitsrat abgestimmt werden. Dieser sollte umgehend ein VN-Tribunal zur Verurteilung der für die Anschläge vom 11. September Verantwortlichen und zur Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Afghanistan einrichten, so wie er es für Ex-Jugoslawien und für Ruanda getan hat.

14.Westliche und östliche Sicherheitsbehörden müssten sich gemeinsam darum bemühen, die Strukturen der Kooperation der Mafia Russlands bzw. des Balkans und islamistischer Terroristen beim Drogen- und Waffenhandel aufzudecken und Kriminelle strafrechtlich zu verfolgen. Vieles deutet darauf hin, dass terroristische Strukturen längst in der Mehrheit der arabischen Staaten, aber auch in den westlichen Ländern selbst errichtet wurden. Diese Strukturen lassen sich nur durch gezielte Maßnahmen der inneren Sicherheit (Beobachtung verdächtiger Gruppen und Vereine, Abstimmung von Fahndungsmethoden und klare Kriterien für die Auswertung geheimdienstlicher Informationen und Polizeikooperation) aufdecken. Die internationale Zusammenarbeit beim Austausch von Informationen muss effektiviert werden. Es gibt Indizien dafür, dass die Geheimdienste im Vorfeld des 11. September über viele Informationen verfügten, die aber nicht richtig eingeordnet wurden.

15.Die schon beschlossenen Maßnahmen zur Schwächung des Finanzierungssystems von Al Qaida müssen intensiviert werden. Dafür müssen die Banken kooperieren, auch die Schweizer Banken. Zudem müssen Steueroasen aufgehoben werden, die unerkannte Vermögensakkumulation für Kriegsfürsten und Terrororganisationen ermöglichen. Von zentraler Bedeutung ist die Beendigung der Unterstützung von terroristischen Gruppen durch arabische Länder, insbesondere Saudi-Arabien und Pakistan. Dies kann aber nur durch amerikanische Außenpolitik erwirkt werden, die Lehren aus Fehlern der Vergangenheit (bei der militärischen und politischen Unterstützung antidemokratischer arabischer Regierungen in den letzten Jahrzehnten) zieht.

16.Hochentwickelte Industriegesellschaften bleiben jedoch verletzbar. Auch der Ausbau geheimdienstlicher und polizeilicher Kooperation kann keine absolute Sicherheit garantieren, sondern diese allenfalls erhöhen. Terrorismus kann mit diesen Methoden allein nicht eingedämmt werden. Sie müssen mit Maßnahmen einhergehen, die sich auf die Ursachen richten und die ihm die ideologische Grundlage entziehen. Dies wird Personen, die aus ideologischer oder religiöser Überzeugung zu Selbstmord-Attentaten bereit sind, kurzfristig nicht von ihren Plänen abbringen, terroristischen Kreisen aber auf lange Sicht möglicherweise die Rekrutierungsbasis entziehen.

Ideologische Basis für Terrorismus schwächen und Initiativen für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung ausbauen

17.Im Nahost-Konflikt liegt eine ideologische Basis des islamistischen Terrorismus begründet. US-Außenminister Colin Powell hat das indirekt eingestanden, als er unmittelbar nach den Anschlägen in New York und Washington sagte, eine der wichtigsten Maßnahmen sei es nun, Verhandlungen im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen. Israel wird von Marokko bis Pakistan als Stellvertreter der USA in der Region wahrgenommen. Insofern hängen amerikanische und israelische Politik unauflöslich zusammen.


Wir begrüßen die Initiativen des deutschen Außenministers für einen Dialog im Nahen Osten. Gleichzeitig erachten wir es für erforderlich, dass auf die PLO und Israel diplomatischer Druck ausgeübt wird, Zugeständnisse zu machen, die zur Lösung der Situation beitragen.

18.Der "beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg" - so führte Bundespräsident Rau in seiner Rede am 14. September aus - sei "eine gerechte internationale Ordnung". Das beinhaltet die Bekämpfung von Armut und negativen Begleiterscheinungen der wirtschaftlichen Globalisierung. Hierfür haben Bündnis 90/Die Grünen programmatisch unter dem Stichwort "internationale Strukturpolitik" eine Reihe von wirtschafts- und entwicklungspolitischen Vorschlägen erarbeitet. Diese Vorschläge erscheinen nun aktueller denn je. Das erfordert eine Reform der internationalen Handels- und Finanzinstitutionen. Das erfordert auch die Bindung der westlichen Außenpolitik an die Unterstützung von Rechtsstaatlichkeit in anderen Teilen der Welt. Auch für diese Aufgaben müssen den VN verstärkt Kompetenzen und größere finanzielle Spielräume übertragen werden. Erforderlich sind überdies konzertierte Maßnahmen zur Schwächung von Kriegsökonomien, die für die Fortdauer von Bürgerkriegen oder terroristischen Strukturen in zahlreichen Krisenregionen dieser Welt verantwortlich sind.

19.Die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen für den Aufbau einer Infrastruktur für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung auf deutscher und internationaler Ebene erweisen sich als wichtiger denn je. Zur Vorbeugung von Terrorismus sind nicht weniger sondern mehr Anstrengungen im Bereich der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung erforderlich. Die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und vom Auswärtigen Amt dazu während der rot-grünen Amtszeit etablierten Instrumente müssen daher unbedingt weiterentwickelt und vor allem mit zusätzlichen finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Dazu gehören die Bereiche krisenpräventive Entwicklungspolitik, Zivile Friedensdienste, Maßnahmen zur Qualifizierung von Personal für VN-Missionen sowie Initiativen zur Bereitstellung von Polizei für die Reform von Institutionen der Rechtsstaatlichkeit in Krisenregionen sowie Auswärtige Kulturpolitik. Diese Ressorts, nicht das Ressort des Bundesverteidigungsministeriums bedürfen der kontinuierlichen finanziellen Aufstockung.

20.Der schnelle und enge militärische Schulterschluss Großbritanniens zeigte erneut, wie weit die EU von einer eigenständigen und gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik entfernt ist. Sie steht vor einer historischen Entscheidung. Sie besitzt das Potenzial, wesentlich zur Bewältigung von regionalen Krisen und Kriegen und zur weltweiten Stärkung multilateraler Politik beizutragen. Das setzt aber voraus, dass sie bereit ist, sich dort, wo sich die US-Administration dieser Zielrichtung verweigert und hegemoniale Sonderinteressen verfolgt, dem transatlantischen Dissens zu stellen. So sollte sich die EU dafür einsetzen, dass Terrorismusbekämpfung unter der Autorität der VN und ihres Sicherheitsrates erfolgt. Die EU sollte eigenständige friedenspolitische Initiativen in Krisenregionen wie dem Nahen und Mittleren Osten, in Zentralafrika und Lateinamerika ergreifen. Sie sollte aber darüber hinaus auch viel klarer als bisher und gegen die Haltung der USA bei wichtigen Fragen wie etwa der Rüstungskontrolle (z.B. bezogen auf Raketenabwehr oder die Eindämmung von Kleinwaffen), dem Internationalen Strafgerichtshof oder auch dem Klimaschutz eigene Positionen vertreten und international propagieren. Dadurch könnten die politischen Kräfte innerhalb der USA, die sich für eine multilaterale Außenpolitik einsetzen, gestärkt werden.

Maßnahmen zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe, Flüchtlinge auf nehmen und Frauenorganisationen stärken

21. Die EU-Außenminister haben in ihrer Erklärung vom 17.10.01 die humanitäre Katastrophenhilfe in Afghanistan zur zentralen Herausforderung erklärt. Die wichtigste Vorraussetzung zur Versorgung der Bevölkerung ist aber die Beendigung der Bombardierung. Humanitäre Organisationen sind der Auffassung, dass es ist möglich ist, mit gemäßigten Taliban-Führern und lokalen Kriegsherren Absprachen über den Transport und die Verteilung humanitärer Hilfsgüter zu treffen. Darüber hinaus sollte geprüft werden, inwieweit in den Nachbarstaaten, insbesondere in Pakistan und im Iran, Lager für Flüchtlinge und für potenzielle Deserteure eingerichtet werden können, die von VN-Blauhelmen kontrolliert werden sollten, um das Sicherheitsrisiko zu minimieren und zu verhindern, dass diese Lager als Rückzugsbasis für bewaffnete Kämpfer dienen.


Hilfsgelder zur Versorgung der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Afghanistans sollten über die dort tätigen Nichtregierungsorganisationen und nicht über staatliche Behörden abgewickelt werden, um eine Veruntreuung zu vermeiden und sicherzustellen, dass sie den Bedürftigen zugutekommen.

22.Die Hauptleidtragenden der vergangenen Bürgerkriege in Afghanistan und der dort herrschenden Regime waren Frauen. Das ist ein zusätzliches Argument dafür, dass die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund endlich vollzogen werden muss. Frauen sind bisher aus dem politischen Prozess ausgeschlossen, weitgehend entrechtet und ihrer Stimme beraubt worden. Bündnis 90/Die Grünen sollten sich darum bemühen, afghanischen Frauen eine Stimme zu verleihen. Dafür sollten unabhängige afghanische Frauenorganisationen unterstützt werden. Durch einen intensiven Dialog mit afghanischen Exilorganisationen, aber auch in Afghanistan arbeitenden Frauengruppen ist zu prüfen, welche Maßnahmen bundesdeutsche Außenpolitik ergreifen kann, um darauf hinzuwirken, dass bei einer Transformation des Landes Frauenrechte verankert werden und Frauen am politischen Prozess aktiv beteiligt werden.

23.Im Zuge der Bürgerkriegsentwicklungen der vergangenen Jahre hat sich in Afghanistan ein fataler "brain drain" vollzogen. Ein Großteil der gebildeten Schichten und Fachkräfte, die für die Entwicklung des Landes vonnöten wären, haben dieses verlassen. Eine Reihe von ihnen hat sich in Deutschland niedergelassen. Ein deutscher Beitrag für eine tragfähige Nachkriegsordnung könnte darin bestehen, schon jetzt Rückkehrperspektiven für afghanische Fachkräfte, darunter gezielt auch für Frauen, zu fördern.

Kontakt:

Martina Fischer (Sprecherin der BAG Frieden),
martina.fischer@berghof-center.org, Berlin, Tel.: 030/84415432

Dieter Reinhardt (Sprecher der BAG Frieden),
dieter_reinhardt@gmx.de, Osnabrück, Tel.: 0541/41873

Auf der homepage des Fachbereichs (
http://www.gruene.de/fb.aussenpolitik/) sind weitere Texte zum Thema dokumentiert.


Die Autoren, Dr. Martina Fischer und Dieter Reinhardt sind Sprecher der BAG Frieden von Bündnis 90/Die Grünen.

E-Mail:   martina.fischer@berghof-center.org


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