Bericht über das 4. Vorbereitungstreffen ("PrepCom") der NPT-Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz. New York, 23. - 27. Januar 1995

Atomwaffen auf Dauer festschreiben?

von Xanthe Hall
Initiativen
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Bewegungen und Stillstand vor dem Treffen

Algerien, Bosnien, Moldavien, Turkme­nistan und Ukraine sind dem NPT bei­getreten, das heißt, es gibt jetzt 170 Vertragsparteien. Argentinien und Chile bereiten sich ebenfalls auf den Beitritt vor. Kurz vor dem PrepCom lehnte Au­ßenminister Peres von Israel eine Unter­zeichnung des NPT ausdrücklich ab - die Schiiten reagierten mit einem "fatwa" (kirchliches Dekret), daß arabi­schen und moslemischen Staaten  die Unterzeichnung des Vertrags verbietet, bis "der Feind abgerüstet hat". Präsident Mubarak von Ägypten erklärte, daß er das Vertragswerk nur dann wieder un­terschreiben werde, wenn auch Israel dies tue. Das gleiche ist in Asien vor dem PrepCom auch abgelaufen: Paki­stans Verteidigungsminister sagte, seine Regierung werde kein Abkommen zu Atomfragen unterzeichnen, wenn Indien nicht ähnliche Verträge schließe. Trotz Behauptungen von Israel, USA und Großbritannien mit fast dem gleichen Wortlaut, daß Iran viel früher als ge­dacht die Atombombe bauen könne und daher "die größte nukleare Gefahr in der Welt nach Ende des Kalten Krieges" darstelle, sagte die IAEO, es gebe keine Hinweise auf ein geheimes Atompro­gramm im Iran.

27 Standpunkte wurden bezogen

Man einigte sich auf Ambassador Pato­kaillo aus Finnland als Vorsitzenden für dieses PrepCom. Das Treffen fing mit einem "allgemeine Meinungsaustausch" an, d.h.: 27 Standpunkte zur Verlänge­rung wurden bezogen und erklärt. Frankreich sprach als Vorsitzender des Europarats für die 15 Länder der Euro­päischen Union. Der französische Bot­schafter äußerte, daß durch das Ende des Kalten Krieges wesentliche Fortschritte im Bereich Abrüstung ermöglicht wor­den seien, z. B. die START-Verträge, und sogar Großbritannien und Frankreich "erhebliche Bemühungen" zur Abrüstung geleistet hätten. Die EU sei darüber "sehr erfreut". Frankreich, Ungarn, Kanada, Norwegen, USA, Russland, Australien und Liechtenstein sprachen sich in ihren Vorträgen für die unbefristete Verlängerung des NPT aus. Es wurde mehrmals betont, daß, wenn er nicht auf Dauer verlängert werde, kein Vertrauen in den Vertrag gesetzt werde.  Der Vertreter von Ecuador wi­dersprach dieser Behauptung, indem er sagte, daß das Vertrauen in den letzten 25 Jahren durch die Frist nicht verrin­gert worden sei. Ecuador und Südafrika sprachen sich für die "dritte Option" aus, d.h. der Vertrag soll auf mehrere Fristen verlängert werden. Venezuela schlug vor, den Vertrag in der jetzigen Form mit Artikel X.2 zu verlängern, das würde bedeuten, daß nach 25 Jahren er­neut eine Überpüfungs- und Verlänge­rungskonferenz einberufen wird.

Atomwaffen und ihre Staaten

Botschafter Marin-Bosch aus Mexiko hielt ein kraftvollen Vortrag über die Beziehung der Atomwaffenstaaten zu ihren eigenen Waffen. Es habe keine fundamentale Änderung gegeben und offenbar wollten die Länder die Waffen nicht aufgeben. Man höre nur von unbe­fristeter Verlängerung, aber in Richtung auf einen umfassenden Atomteststopp, ein Verbot der Produktion von spaltba­ren Materialien, Sicherheitsgarantien oder ein Programm zur Abrüstung seien keine Fortschritte erreicht worden. Eine unbefristete Verlängerung werde nichts von alldem herbeiführen. Er zitierte die WHO-Frage sowie die neuere UN-Frage an den Internationalen Gerichtshof. Die Atomwaffenstaaten begrüßen diese Fra­gen nicht, aus dem gleichen Grund, wie sie die unbefristete Verlängerung för­dern: sie wollen die Existenz von Atomwaffen auf Dauer festschreiben. In der US-Zeitschrift "Newsweek" vom 23. Januar und der britische Zeitung "The Guardian" wurde spekuliert, daß auf Mexiko mit den versprochenen Geldern, die es aus der ökonomischen Krise ho­len sollen, Druck ausgeübt wird, damit es seine Position ändert.

Leere Worte

Am nächsten Tag gab es mehrere Vor­träge gegen eine unbefristete Verlänge­rung, u.a. von Nigeria, Ägypten, Uganda, Sri Lanka, Indonesien, und Iran. Schließlich bat der Vertreter Nord­koreas um das Wort und klagte gegen Frankreichs Behauptung, es gehe noch eine Gefahr von Nordkorea aus. Er glaube, Frankreich versuche, das Ab­kommen zwischen USA und Nordkorea zu verhindern. Er fügte hinzu, Frankreich beabsichtige keine Abrü­stung. Er zitierte aus der Rede des Ver­treters von Frankreich im 1. Komitee der Vereinten Nationen  vom letzten Dezember, in der dieser gesagt hatte, es gebe ein "souveränes" Recht jeder Na­tion, die Verteidigungsart nach eigenem Willen zu wählen. Dies bedeute eine Einladung an alle Nationen, Atomwaf­fen zu erwerben, wenn sie wollen, sagte der Vertreter Nordkoreas und fragte: "Warum sind wir hier? Sind unsere Worte alle leer?" Die Zeiten seien vor­bei, wo große Staaten meinen können, sie seien mit allem, was sie sagen und tun, im Recht und die kleinen Staaten immer im Unrecht.

Hinter den Kulissen

In unseren Gesprächen mit Botschaftern und anderen Friedensorganisationen zeichnete sich deutlich ab, daß die Ent­scheidung der blockfreien Staaten gegen eine unbefristete Verlängerung fest bleibt. Es gibt bis jetzt keine Mehrheit für eine unbefristete Verlängerung. Taya Portnova sprach mit dem Vertreter Us­bekistans, das noch keine Position zur Verlängerung bezieht. Das Land möchte eine atomwaffenfreie Zone in Mittela­sien errichten. Auch der Vertreter Ka­sachstans äußerte in Gesprächen mit uns sein Interesse in dieser Idee.

Kurzhinweis

 

Aktivitäten zur NPT Konferenz in New York

19.04.-21.04. Cititzens Assembley

22.04. Earth Day große Demo durch New York

25.04. Vorstellung eines Appel für die Abschaffung von Atomwaffen

Ort: Church Center

Kontakt: International Peace Bureau (IPB), 41, rue de Zürich, CH-1201 GenŐve, Tel/Fax: 0041/22/7316429,

In Gesprächen mit Frau Gabriela Guel­lil, der ersten Staatssekretärin des Büros für Nukleare Nichtverbreitung im Aus­wärtigen Amt, und Botschafter Wolf­gang Hoffmann, dem Vertreter Deutschlands bei der Abrüstungskonfe­renz in Genf, fand ein freundlicher Austausch zusammen mit Roland Kol­lert (Autor von "Die Politik der latenten Proliferation"), Matthias Küntzel (Autor von "Bonn und die Bombe") und Jürgen Scheffran (INESAP) statt. Frau Guellil sagte, daß das Auswärtige Amt in den Vereinten Nationen gegen die Resolu­tion bezüglich der Klärung des Rechts­status von Atomwaffen stimmte, weil die Frage schon von der WHO dem IGH vorgelegt werden sei. Es sei nicht nötig, den Gerichtshof zweimal damit zu bela­sten. Ich erklärte, daß der Widerstand vom Auswärtigen Amt gegen die WHO-Frage mit dem Argument der Unzuläs­sigkeit - obwohl er durch die juristische Stellungnahme von Professor Bothe wi­derlegt ist - praktisch die IPPNW mit ih­ren Koalitionspartnern gezwungen habe, bei den Vereinten Nationen eine zweite Resolution zu unterstützen. Frau Guellil gab zu, daß im Außenministerium diese Möglichkeit besprochen und befürchtet wurde.

Streit um "Suffizienz"

Das Wort "Suffizienz" (ausreichende Fähigkeit) wurde aus dem EU-Vortrag gestrichen, meinten die Beamten des Auswärtigen Amtes. Deutschland be­stand darauf, daß die "minimale Ab­schreckung", die Frankreich mit dem Wort "Suffizienz" beschreibe, nicht er­wähnt wird. Dies bezeichneten sie als "Erfolg", weil man sonst, anders als mit den Briten, mit Frankreich nicht über Abrüstung reden könne. Hoffmann be­tonte aber, daß Deutschland die mini­male Abschreckung nicht als solche ab­lehne, sondern weil es selber von der Teilhabe ausgeschlossen ist. Die Briten sind bereit, z. B. über Transparenz zu reden. Warum könnte sich Deutschland nicht für eine Konvention über die völ­lige Abschaffung von Atomwaffen ein­setzen, fragten wir. Nein, antwortete Guellil, Deutschland müsste aus der NATO austreten und seine "nukleare Teilhabe" aufgeben, um diesen Vor­schlag zu befürworten. Sowas könnte nur der Kanzler entscheiden. Deutsch­land hat aber die im Dezember in den Vereinten Nationen verabschiedete ja­panische Resolution für eine zukünftige nuklearfreie Welt unterstützt.

Harmonie mit der EU

Im Auswärtigen Amt gab es heftigen Widerstand gegen die neuen Dual-Use-Exportregelungen. Trotzdem sei um der Harmonie willen über ihre Köpfe hin­weg dafür entschieden worden, so Guellil. Die Europäische Union hat im Moment Priorität. Hoffman meinte im Gespräch mit Kollert, Deutschland sei mit dem nuklearen Schirm von Frankreich und Großbritannien nicht zu­frieden - es wolle auch darüber verfügen können. Es sei aber nicht in Sicht, daß Frankreich die Verfügungsgewalt über seine Atomwaffen teilen werde.

Die Spielregeln

Die Verfahrensregelungen wurden nach langen Diskussionen in geschlossenen Sitzungen verabschiedet, außer Punkt 28, der die Verlängerungsentscheidung behandelt. In dieser Regelung steht, daß Konsensentscheidungen angestrebt wer­den sollen. Für den Fall, daß eine solche aber nicht zustandekommt, gibt es eine Reihe von Vorschlägen darüber, wie ab­gestimmt werden soll. Das Verfahren könnte für das Abstimmungsergebnis entscheidend sein. Der Vertrag sieht vor, daß ein Verlängerungsbeschluß eine Mehrheit der Vertragsparteien be­darf, eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen ist u.U. nicht ausreichend. Eine Möglichkeit ist, in der Reihenfolge wie im Vertrag aufgelistet abzustim­men: d.h. verlängert 1.) auf unbegrenzte Zeit, 2.) um eine Frist, 3.) um mehrere Fristen (sogenannte "rollende Verlänge­rung"). Theoretisch könnten alle drei eine Mehrheit, und genauso könnten alle drei keine Mehrheit bekommen. Im er­sten Fall könnte die größte Mehrheit gewinnen oder die kleinste wegfallen, und nochmal abgestimmt werden. Eine andere Möglichkeit ist, daß jeder Stimmberechtigte nur eine der drei Möglichkeiten wählen kann. Wenn keine Mehrheit für eine die 3 Optionen erreicht wird, auch nicht durch Aus­schalten der unbeliebtesten Option, wird der Konferenzschluss formal verscho­ben. Es wird davon ausgegangen, daß sich dieser Aufschub bis zu einem Jahr hinziehen kann. In dieser Zeit werden die Atomwaffenstaaten bestimmt erheb­lichen Druck auf einige Staaten aus­üben, um sie auf ihre Seite zu bringen.

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