AWACS-Einsatz in Afghanistan

von Paul Schäfer

Bereits seit Mai 2008 wird innerhalb der NATO darüber diskutiert, wenigstens fünf Flugzeuge des in Geilenkirchen stationierten AWACS-Verbandes der NATO im Golfstaat Katar zu stationieren und zur Überwachung des Flugverkehrs in Afghanistan einzusetzen.

Bislang konnte innerhalb des NATO-Rats aber noch keine Einigung über die Modalitäten erzielt werden, u.a. hatte Frankreich finanzielle Vorbehalte geltend gemacht. Aber es ist davon auszugehen, dass über kurz oder lang eine Einigung im NATO-Rat erzielt werden wird. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die NATO von ihrem bisherigen Kurs der schrittweisen Ausweitung ihres Militäreinsatzes in Afghanistan abweichen wird.

Dies würde die Bundesregierung verpflichten, das entsprechende Mandat hierfür vom Bundestag einzuholen um nicht erneut ein Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht zu riskieren, schließlich werden etwa 1/3 der AWACS-Besatzungen von der Bundeswehr gestellt und übernehmen die AWACS wichtige Aufgaben bei der Durchführung von Luftangriffen in ganz Afghanistan. Außenminister Steinmeier hat dann auch bei seiner Rede zur Verlängerung des ISAF-Mandats am 7.10.2008 angekündigt, dass sich der Bundestag bald mit dem Einsatz von AWACS-Flugzeugen (Airborne Warning And Control System) der NATO über Afghanistan befassen wird.

AWACS sind Bestandteil der militärischen Eskalation der NATO Offizielle Begründung für den möglichen Einsatz der AWACS-Flugzeuge über Afghanistan ist die Notwendigkeit, den wach¬senden Flugverkehr zu überwachen und Aufgaben der Flugsicherung zu übernehmen. Weder die NATO noch die Bundesregierung konnten allerdings bislang verlässliche Informationen über den Anstieg des zivilen Flugverkehrs präsentieren und begründen, warum die afghanischen Luftfahrbehörden dies nicht selber bewältigen können, z.B. durch die seit Juli 2008 funktionsfähige zivile afghanische Flugsicherung auf dem Flughafen Kabul.

Der Bedarf an AWACS ist ohne den militärischen „Flugverkehr" (Drohnen, Hubschrauber, Kampfflugzeuge) undenkbar.

De facto geht es der NATO vor allem um die Verbesserung der eigenen Kapazitäten für die Koordination und Steuerung der Luftangriffe. Luftangriffe spielen nach wie vor eine zentrale Rolle in der Militärstrategie der NATO und der USA. Nach Angaben des Air Force Magazins hat alleine die US Luftwaffe im Jahr 2007 etwa 3.200 Luftangriffe und knapp 14.000 Einsätze zur Luftnahunterstütztung (Close-Air-Support) geflogen. Nach Angaben der Air Force Times wurden alleine im ersten Halbjahr 2008 erneut mehr als 1.800 Bomben abgeworfen - bereits mehr als im gesamten Jahr 2006.

Derzeit werden politisch und militärisch die Weichen für die weitere Aufstockung des ISAF-Kontingents und die Intensivierung der militärischen Offensiven gegen die Aufständischen gestellt. Die USA planen, die Mehrzahl ihrer bislang im Rahmen von OEF geführten Streitkräfte dem US-amerikanischen ISAF-Kommandeur als US-Forces Afghanistan zu unterstellen. Damit wird de facto eine zweite Kommandostruktur innerhalb von ISAF aufgebaut. Außerdem wollen die USA zusätzlich bis 2010 wenigstens 20.000 weitere Soldaten nach Afghanistan verlegen. Bis zum Sommer 2009 ist mit einer Truppenstärke von wenigstens 70.000 zu rechnen.

Die stärkere Beteiligung von ISAF an der Aufstandsbekämpfung macht es für die NATO unverzichtbar, eigene Kapazitäten für die Planung und Durchführung dieser Operationen nach Afghanistan zu verlegen.

Die Entsendung von Tornado-Flugzeugen im Frühjahr 2007 für die Erstellung der Lagebilder war ein erster Schritt. Nun soll die bislang von den USA und Großbritannien im Rahmen von OEF geleistete Luftraumüberwachung übernommen werden. Die geplante Entsendung der AWACS würde der NATO nun erlauben, eigenständig militärische Flugbewegungen zu koordinieren und Luftangriffsoperationen zu dirigieren.

Darüber hinaus ermöglichen die AWACS aufgrund der Reichweite ihres Radars auch eine Ausweitung der Kampfzone auf das pakistanische Grenzgebiet. Im Prinzip gilt dies auch für das Grenzgebiet zum Iran. In diesem Fall ist aber eher davon auszugehen, dass die USA eigenen Aufklärungs- und Überwachungssystemen den Vorzug geben. Die NATO AWACS ermöglichen es den USA allerdings, die eigenen AWACS nicht mehr über Afghanistan einzusetzen und stattdessen für diese und andere Aufgaben zu verwenden.

Die AWACS sind wichtig für die Führung von Luftangriffen

Bundesregierung und NATO sind derzeit bemüht, das Leistungsspektrum der AWACS klein zu reden. Eingeräumt wird lediglich, dass die AWACS auch bei gebirgigem Gelände keine Erfassungslücken im Luftraum haben und deswegen einen unabdingbaren Beitrag zur Gewährleistung der Flugsicherheit bzw. des zivilen Flugverkehrs in Afghanistan leisten können. Wurden die AWACS in den 80erJahren ursprünglich tatsächlich zur luftgestützten Überwachung des Luftraums und Führung von militärischen Flugzeugen gegen Luftziele (Jägerleitfunktion) entwickelt, hat sich das Aufgabenspektrum im Zuge vieler milliardenschwerer Modernisierungsprogramme deutlich gewandelt. In der Selbstdarstellung des AWACS Verbands heißt es:

„AWACS können „auch Aufgaben der taktischen Gefechtsführung wahrnehmen, z.B. Unterstützung und Leitung eigener Luftfahrzeuge bei offensiven oder defensiven Operationen im Kampf gegen das gegnerische Luftkriegspotential, Luftnahunterstützung, Abriegelung des Gefechtsfeldes aus der Luft, Such- und Rettungsdienst für Kampfeinsätze, Aufklärung, taktischer Lufttransport und Luftbetankungseinsätze".

AWACS Unterstützungsleistungen für OEF unvermeidlich

Die Entsendung der AWACS-Flugzeuge der NATO steht auch für die weitere Vermischung von ISAF und OEF. Bei allen beteiligten Akteuren setzt sich zunehmend die Einsicht durch, dass die Probleme, die durch die drei parallel geführter Militäroperationen ISAF, OEF und Task Force Counter-Terrorism der CIA entstanden sind, behoben werden sollte. Mit den AWACS übernimmt der ISAF-Kommandeur in Zukunft auch die Koordination und Abstimmung der ISAF-Luftangriffe mit denen der OEF.

Ohnehin herrscht gerade bei den Luftwaffenkomponenten eine gewollte Unklarheit über die reale Mandatszugehörigkeit. Vor allem aus Rücksicht auf Deutschland wurde in der Regel von einem „gemeinsamen Pool" geredet, d.h. Kampf-, Aufklärungs- und Überwachungsflugzeuge standen je nach Bedarf für eine der beiden Militäroperationen zur Verfügung. In der Praxis wurde den OEF-Einheiten bislang sowohl bei der Aufklärung als auch bei Close-Air-Support-Einsätzen Priorität eingeräumt.

Die NATO übernimmt nun immer mehr Verantwortung in diesem Bereich und wird in die Lageversetzt, zunehmend unabhängiger von den OEF-Kapazitäten der USA und Großbritanniens zu agieren. Dies bedeutet aber auch, dass die AWACS im Zweifelsfall auch von den OEF-Kampfflugzeugen für ihre Luftangriffe in Anspruch genommen werden, wenn die OEF-Einheiten nun keine eigenständigen Kapazitäten im Bereich der Luftraumüberwachung haben.

Paul Schäfer ist Verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE UNKE im Bundestag.

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Paul Schäfer ist verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. eMail: paul.schaefer@bundestag.de; www.paulschaefer.info