Der tägliche Rassismus - Alltagserfahrungen

Morgen ist der 9. November. Überall finden Demonstrationen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit statt - ich gehe nicht hin. Ich müßte meine beiden dunklen Kinder in der Zwillingskarre mitnehmen und wer würde uns beschützen, im Fall des Falles? Unsere ausländischen Freunde und ihre deutschen Partner und Partnerinnen teilen meine Angst. Diejenigen aber, die nicht direkt betroffen sind so wie wir, haben nur sehr selten Verständnis. Sie glauben, wir übertreiben.

Sie sehen nur die plumpen, primitiven Formen des Rassismus - die sind nicht so häufig. Sie lösen zwar einen Schock aus, werden aber von mir unter "P" wie primitiv abgeheftet. So zum Beispiel der betrunkene Jugendliche, der vor dem Eingang einer Diskothek steht und "Niggersau" lallt als er uns kommen sieht. Oder der Mann, der am Tag der Wiedervereinigung mit dem Finger auf uns zeigt und voller Haß hervorstößt: "Bald kommt ein neuer Hitler, dann wer¬det ihr alle abgeknallt." Viel schmerzhafter und zermürbender ist der alltägliche Rassismus. Der Rassismus in der Symbolik unserer Kultur, in unserem alltäglichen Sprachgebrauch, in den Vorurteilen der besten Freundinnen und im Umgang der Menschen untereinander, die es alle nicht "so" meinen, und nur gedankenlos sind. Das Engelchen einer Werbekampagne an fast jeder Litfaßsäule ist blondgelockt, das Teufelchen ist schwarz. Man ißt einen Negerkuß, einen Eisneger oder einen Mohrenkopf (!) und denkt sich nichts dabei. "Was kann der arme Mohr dafür, daß er so weiß nicht ist, wie ihr?, wir alle haben den Struwwelpeter vorgelesen bekommen. Im Kindergarten spielen sie "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" Meine ehemals beste Freundin E. geht morgen bestimmt zur Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Früher haben wir gern zusammen afrikanische Musik gehört, aber meinen damaligen Freund und jetzigen Ehemann konnte sie nicht einordnen, da er weder trommeln noch singen kann. Sie meinte: "Es ist doch allgemein bekannt, daß in Beziehungen zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern außer Sex nicht viel läuft." Nervtötend sind aber auch all die lieben Muttis und Omas, die meine Kinder süß und entzückend finden und ihnen im Vorübergehen schnell mal über die Köpfe streichen müssen. Sie mustern mich von Kopf bis Fuß und fragen zweifelnd: "Sind das Ihre eigenen Kinder?" oder auch "Sind die süß, sind die zu verkaufen?" Sie meinen es ja nur gut und man wird doch mal einen kleinen Scherz machen dürfen... Warum ich nur so empfindlich bin - und schließlich bin ich ja weiß, nur mein Mann und meine Kinder sind farbig! An dieser Stelle möchte ich allen ach so wohlwollenden "Mit"-Menschen, die in langen Gesprächen immer wieder beteuern, daß sie gar nichts gegen Schwarze haben, weil diese ja auch Menschen seien wünschen, daß ihnen der nächste Negerkuß im Halse stecken bleibt.

Die Autorin ist seit 7 Jahren mit einem Ausländer und hat 2 Kinder.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt