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Krieg in der DR Kongo: Plötzlich gezwungen zum Hinsehen
Der vergessene Krieg in der DR Kongo
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Im Januar 2025 erobert die M23-Miliz die ostkongolesische Provinzhauptstadt Goma. Hunderttausende Menschen werden vertrieben, Krankenhäuser sind überbelastet, es herrscht Nahrungsmangel. Nach 30 Jahren internationalen Desinteresses erlangt der Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) plötzlich mediale Aufmerksamkeit: Trump verhandelt ein Friedensabkommen, die EU beschließt Sanktionen gegen Mitglieder des ruandischen Militärs, dem Unterstützung der M23 vorgeworfen wird. Nach Jahrzehnten des Leidens der Zivilbevölkerung scheint sich die internationale Gesellschaft zu regen. Doch warum jetzt? Und warum so spät?
Der Konflikt im Osten der DRK ist nicht neu. Seit Jahrzehnten ist das Land gezeichnet von Chaos, Gewalt und Krieg. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die DRK zwei Bürgerkriege erlebt und wurde durch zahlreiche bewaffnete Gruppen destabilisiert. Millionen sind gestorben, Millionen wurden vertrieben. Zeitgleich ist der internationale mediale Fokus auf andere Konflikte gerichtet. So schafft es die DRK in den vergangenen fünf Jahren zweimal auf den ersten Platz der Liste der vernachlässigten Vertreibungen weltweit. (1)
Die neueste Eskalation beginnt 2022, als die Bewegung „23. März“ (M23) eine Offensive startet – mit dramatischen Folgen für die Zivilbevölkerung: verheerende Gewalt, Vertreibung, Rekrutierung von Kindersoldaten und Massenvergewaltigungen. Die kongolesische Regierung beschuldigt früh den ruandischen Staat, die M23 sowohl finanziell als auch militärisch zu unterstützen, eine Einschätzung, welche von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und auch den Vereinten Nationen geteilt wird. Doch trotz anhaltender Gewalt im Osten der DRK herrscht lange Zeit internationales Schweigen: Zwischen Juli 2023 und Juli 2024 veröffentlicht die New York Times beispielhaft 52 Artikel zu der Situation in der DRK. Im Vergleich hierzu erschienen im gleichen Zeitraum 2969 Artikel über den Angriffskrieg in der Ukraine. (2) Was wie Desinteresse wirkt, folgt den Mechanismen globaler Aufmerksamkeit.
Abseits der öffentlichen Wahrnehmung
Medien folgen Logiken, die auf finanzielle, nicht emotionale Interessen und Bedürfnisse der Betroffenen ausgerichtet sind. Nähe, Relevanz und Sensation entscheiden, was Aufmerksamkeit generiert und so in die Berichterstattung schafft. Der Krieg im Kongo gilt dabei als zu komplex, zu weit entfernt und wird zu oft auf eine bloße Geschichte interner Machtkämpfe reduziert. Mit einer Vielzahl an Auslösern und Akteuren, so scheint es, ist die Situation nicht stringent genug, um ein attraktives Narrativ für die Medien zu schaffen. Mit dem Fokus auf lokale Machtkämpfe und dem Ausblenden externer Beteiligter wirkt das Geschehen fern. So bleibt die Relevanz unsichtbar und damit die Empörung aus.
Die Eskalation der Gewalt in Goma ändert das. Ein klarer Auslöser und identifizierbare Akteure, insbesondere die Einmischung Ruandas, die zunehmend von internationalen Organisationen, darunter der UNO, offengelegt wird, bewirkt einen Wandel in der Wahrnehmung des Konflikts. 7000 Tote in wenigen Monaten schaffen Aufmerksamkeit und Sensation. Doch steht dahinter tatsächlich nur Empörung über die humanitäre Lage oder auch ökonomische Interessen?
Kupfer, Kobalt und Coltan und die Rolle Ruandas
Die DR Kongo ist reich an strategischen Rohstoffen. Kupfer, Kobalt, Coltan machen das Land relevant für die Industrien moderner Technologien. Die Bevölkerung profitiert davon jedoch nur wenig – im UN-Ranking für menschliche Entwicklung belegt die DR Kongo momentan den 171 Platz von 193 Ländern. Stattdessen sind Minengebiete in den vergangenen Jahren zunehmend von der M23-Miliz eingenommen worden und haben sich ins Zentrum des Konflikts geschoben. Der Abbau der Rohstoffe bringt so Einkommen für die Fortführung der Gewalt. Laut verschiedener UN-Berichte wird abgebautes Coltan von der Miliz insbesondere nach Ruanda exportiert. Entsprechend gewinnen die Kämpfe eine internationale Dimension.
Ruanda hat sich in den vergangenen Jahren zu einem zunehmend wichtigen und vermeintlich stabilen internationalen Partner entwickelt. Als größter Bereitsteller von Truppen für UN-Friedensmissionen, mit wirtschaftlichen Kooperationen und mit image-förderndem Sponsoring verschiedener europäischer Fußballclubs, unter anderem dem FC Bayern, ist Ruanda so inzwischen ein wichtiger Kontakt in Afrika für westliche Länder. 2024 unterzeichnet die EU im Rahmen des „Global Gateway“ Programms eine Vereinbarung über den Zugang zu Rohstoffen mit dem Staat. Konfrontiert mit der neusten M23-Offensive stellt sich nun die Frage: Wird bei den Exporten auf Rohstoffe aus geplünderten Gebieten der DRK zurückgegriffen? Verschiedene Berichte behaupten, dass Ruanda inzwischen 150.000 Tonnen von Mineralien illegal abgebaut und nach Europa geliefert hat. Sollten sich diese Annahmen bewahrheiten, werden europäische Wirtschaftsinteressen plötzlich mit den Kämpfen verknüpft. Aus dem Konflikt wird eine internationale Verantwortungskrise. Doch wenn wirtschaftliche Interessen zum Hauptantreiber internationaler Aufmerksamkeit werden, stellt sich die Frage: Dienen diplomatische Initiativen tatsächlich dem Frieden oder nur ökonomischen Eigeninteressen?
Wendepunkt oder medialer Hype?
Im Juni 2025, sechs Monate nach der Einnahme Gomas, unterzeichnen Ruanda und die DRK im Weißen Haus ein Friedensabkommen. US-Präsident Donald Trump rühmt sich als Weltfriedensstifter und verlangt den Nobelpreis. Eine in Doha unterschriebene Erklärung zwischen der DRK und der M23-Miliz folgt wenige Wochen später.
Im Juli werden 319 Zivilist*innen im Osten der DRK von der M23 getötet.
Ein Human Rights Watch Bericht wie auch Schlussfolgerungen des UN-Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte beschuldigten Ruanda erneut der Unterstützung der Miliz. (3) Die EU und die USA bleiben weitgehend still. So scheint es, dass diplomatische Initiativen oft nicht mehr sind als symbolische Akte oder Versuche, selbst zu profitieren: So beinhaltet das Friedensabkommen zwischen DRK und Ruanda Zusicherungen für verstärkte Investitionsmöglichkeiten in der Mineralindustrie für amerikanische Firmen.
Am Ende wirkt es so, als setzte internationaler Wille zur Verbesserung schnell ein, wenn indirekte oder direkte Beteiligung an Gewalt und Vertreibung offenkundig wird. Ebenso schnell verschwindet er jedoch auch wieder. Das Leid für die Zivilbevölkerung geht indessen ungehindert weiter.
So stellt sich die Frage, ob mediale und politische Aufmerksamkeit tatsächlich zu politischem Handeln führen kann, das über instabile Friedensabkommen hinausgeht oder ob kurze „Hypes“ bald wieder verschwinden, während die leidende Bevölkerung im Abgrund der medialen Selektivität zurückbleibt. Krisen wie der Kongo dürfen nicht erst dann politisch relevant sein, wenn Bilder dramatisch genug sind und der Druck zur Erklärung überhandnimmt. Politischer Wille muss darüber hinausgehen, mögliche Mitschuld durch halbherzige Versuche zu verschleiern und zum nächsten Thema überzugehen, während Zivilist*innen Chaos und Gewalt ausgeliefert bleiben.
Anmerkungen
1 Norwegian Refugee Council: https://www.nrc.no/neglected
2 Foreign Affairs: https://www.foreignaffairs.com/democratic-republic-congo/forgotten-war-c...
3 United Nations: UN News: https://news.un.org/en/story/2025/08/1165586