Nur bei einem Grundgesetz-Doppelbeschluß!

Deutsche Truppen unter UNO-Kom­mando?

von Norbert Gansel

Wer richtig hinschaut, wird bemerken: Wir befinden uns in der histori­schen Situation, daß sich drei weltgeschichtliche Prozesse zusammen­tun, die alle drei mit dem Thema Waffenexportpolitik zu tun haben. Die Entspannung und die daraus folgende Abrüstung im Ost-West-Verhält­nis bergen die Gefahr, daß die deutsche Industrie noch stärker - legal und illegal - in den Waffenexport ausweicht. Die Golf-Krise, die nicht nur ein arabischer Konflikt ist, sondern ihre weltpolitische Bedeutung auch deshalb hat, weil sie ein Ressourcenkonflikt um das Öl ist, macht schlaglichtartig deutlich, daß die primären Gefahren für den Weltfrieden mittlerweile im Nord-Süd-Verhältnis erwachsen. Wer den Weltfrieden befördern will, muß überall der Logik zum Krieg" (Mitterand) entgegen­wirken. Wir brauchen vor allem eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung und eine gerechtere Ordnung in den Ländern dieser Region selbst. Und natürlich eine Politik der konsequenten Energieeinsparung in den west­lichen Industriestaaten.

 

Die Gefahr künftiger Ressourcenkriege macht es in erster Linie notwendig, daß wir eine Politik der Nichtweitergabe von Waffen in dieser Region betreiben. In neun Monaten verfügt der Irak mögli­cherweise schon über Atomwaffen. Er verfügt schon jetzt über weitreichende Raketen und über chemische Waffen. Und bei allen drei Waffenentwicklun­gen sind deutsche Experten und deut­sche Firmen mit dabei. Der Magen kann sich einem wirklich umdrehen ange­sichts der Perversität unserer von uns weiter verschuldeten Geschichte, wenn man im Fernsehen sieht, wie in Israel Menschen Gasmasken kaufen und sich auf einen Krieg mit solch schrecklichen Sachen vorbereiten.

Wir müssen diese skizzierten Entwick­lungen nutzen für eine grundlegende Wende. Denn die dritte weltgeschichtli­che Veränderung dieser Tage ist in der Tat die deutsche Einigung. In dieser Si­tuation müssen wir uns darüber im Klaren sein, daß wir jetzt noch die Wahl haben für die Definition der künftigen Rolle Deutschlands in der Welt. Wollen wir in die Rolle einer Großmacht herein wachsen -wirtschaftlich sind wir es schon - auch po­litisch, auch militärisch? Wollen wir uns die Rolle ei­nes Hilfspo­lizisten oder Hilfssheriffs zuweisen las­sen? Oder be­stimmen wir selbst unsere zukünftige Rolle durch eine Verfas­sungsentscheidung von be­sonderer Be­deutung?

Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, daß die Welt der Zukunft konfliktfrei sein wird, weil es jetzt die ersten Abrü­stungsvereinbarungen zwischen Ost und West gibt. Die Konflikte in der Dritten Welt werden eher zunehmen und sie werden uns auch ein­beziehen können. Die Verantwortung und die Macht der UNO müssen deshalb auch von uns ge­stärkt werden. Nur sie wird in der Lage sein, auch diese Konflikte zu verhin­dern. Eine mit militärischen Mit­teln ausge­stattete Welt­organisation, die friedensge­fährdende Krisenherde in der Dritten Welt eindämmen und dem Inter­ventionismus der Großmächte vorbeu­gen kann, ist jetzt keine Utopie mehr. Auch die Deutschen werden dabei der gestiegenen Bedeutung und Verant­wortung ihres gemeinsamen Staates ge­recht werden müssen. Für Teile der Bundeswehr werden sich neue interna­tionale Aufgaben ergeben, die restaura­tiven Vorstellungen von der Rückkehr zur nationalen Sicherheitsideologie ent­gegenwirken können.

Ich gehöre zu denen, die dafür sind, daß bei einer Revision unseres Grundgeset­zes der Einsatz deutscher Soldaten unter dem Oberkommando der UNO möglich wird. Ich sage aber auch: Das ist jetzt nicht die vordringliche Frage. Deutsche Soldaten können nicht mehr wiedergut­machen, was deutsche Waffenexporte angerichtet haben. Deutsche Soldaten dürfen auch nicht auslöffeln müssen, was deutsche Waffenexporteure noch anrichten werden. Daher müssen wir in dieser Situation zwei Überlegungen zu­sammenfassen: Eine entsprechende Er­gänzung des Grundgesetzes für den Ein­satz der Bundeswehr im Rahmen der UNO-Satzung und aufgrund von UNO-Beschlüssen sowie das verfassungs­rechtlich abgesicherte Verbot von Waf­fenexporten in Staaten außerhalb un­seres eigenen Bündnisses. Ein solcher Doppelbeschluß des zuständigen Ver­fassungsgebers wäre auch deshalb viel­leicht ein Vermächtnis der vielzitierten friedlichen Revolution in der DDR, weil noch der Runde Tisch in der DDR in Artikel 45, Abs. 4 seines Verfassungs­entwurfs vorgeschlagen hat: "Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Regie­rung hergestellt, befördert und in Ver­kehr gebracht werden, die dem gleichen System kollektiver Sicherheit angehö­ren.2

Wir haben die Chance, aus diesen drei weltgeschichtlichen Prozessen drei ver­nünftige Lehren zu ziehen: Weniger Waffenexporte, eine gerechtere Welt­wirtschaftsordnung und, als Konsequenz der deutschen Geschichte und Gegen­wart: Wir müssen nicht nur die Verfas­sung ändern, sondern wir müssen auch den Geist ändern, in dem sie angewen­det wird.

Quelle: SPW, Zeitschrift für Sozialisti­sche Politik & Wirtschaft, Heft 55/1990, 

 

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