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Eine Sicherheitsarchitektur für Europa
Eine neue KSZE im Jahr 2025?
von
Im März 2021 machte der finnische Präsident Sauli Niinistö anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in 2025 einen begrüßenswerten Vorschlag für einen neuen KSZE-Gipfel – vorzugsweise in Helsinki.
Der Vorschlag fand breite Unterstützung von rund 140 Nichtregierungsorganisationen im Ostseeraum, die den Vorschlag in einem Brief an den Präsidenten, die finnische Regierung und das Parlament sowie an die OSZE-Leitung und die Regierungen aller OSZE-Länder begrüßten.
Im November desselben Jahres bestätigte Niinstö, dass Finnland im Jahr 2025 den Vorsitz der OSZE anstreben werde. Dieses wurde im selben Monat von Außenminister Pekka Haavisto (Grüne) bestätigt. Ein bedeutendes Bekenntnis auf höchster Ebene zum Handeln und Engagement für die Sicherheit Europas und der Welt.
Im Februar 2022 leitete Russland die Invasion der Ukraine ein und die politische Stimmung in Finnland änderte sich radikal. Prominente Stimmen setzten sich für die NATO-Mitgliedschaft ein, was in den Mainstream-Medien uneingeschränkte Unterstützung fand.
Eine neue Kampagne für einen KSZE-Gipfel wurde erneut von rund 150 Organisationen unterstützt – diesmal wurde der Brief auch von großen internationalen Organisationen unterzeichnet.
Beide Briefe wurden von Finnlands politischer Führung nie beantwortet.
Der zweite Brief wurde im April 2022 an Außenminister Haavisto übergeben, als die NATO-Diskussion in Finnland hitzig wurde und die zuvor beitrittskritische Bevölkerung sich fast über Nacht in NATO-Befürworter*innen verwandelt hatte. Bei der Audienz im Außenministerium vermied der Minister geschickt, eine mögliche KSZE-Konferenz ernsthaft zu kommentieren. Die Entscheidung über die NATO-Mitgliedschaft war bereits gefallen und es war klar, dass Russland nicht an einem Gipfel in einem NATO-Land teilnehmen würde.
Im Mai 2022 reichte Finnland seinen NATO-Antrag ein, und Finnlands politische Elite begann eine äußerst aktive Lobbyarbeit für Schwedens Beitrittsantrag. Zuvor hatte Präsident Niinistö mehrfach wiederholt, dass über eine NATO-Mitgliedschaft in einem Referendum entschieden werden solle. Doch nun verwies der Präsident auf Umfragen, die deutlich zeigten, dass die Mitgliedschaft breite Unterstützung in der Bevölkerung genoss.
Die Mitgliedschaft wurde im Parlament mit 184 von 200 Stimmen angenommen. Nur sieben Parlamentarier*innen stimmten mit Nein. Die restlichen neun waren abwesend.
Ein lang angestrebter Umschwung
Wie war das möglich? Hatte die Ukraine-Invasion wirklich einen schnellen Umschwung in der politischen Elite bewirkt? NEIN! Laut MTV News (kommerzieller Fernsehsender) vom 9.4.23 fiel der Startschuss bereits vor 30 Jahren, also im Zusammenhang mit der beginnenden NATO-Osterweiterung, trotz der Versprechen westlicher Spitzenpolitiker*innen gegenüber dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow aus Anlass der Wiedervereinigung Deutschlands, dass die NATO „keinen Zentimeter“ nach Osten vordringen werde (so US-Außenminister James Baker am 9.2.1990).
Die NATO-Elite und finnische Spitzenpolitiker*innen warteten nur auf einen günstigen Moment, um das hartnäckige finnische Volk dazu zu bringen, die Meinung über Russland zu ändern und die Notwendigkeit zu erkennen, zur größten und mächtigsten Kriegsmaschinerie der Welt zu gehören. Der Ukraine-Krieg war das fehlende Puzzleteil. Ohne Diskussion über die Hintergründe des Krieges – wie z.B. Vladimir Putin wiederholt, unter anderem auf der Sicherheitskonferenz in München 2007, vor den Folgen der NATO-Osterweiterung warnte – wurde beschlossen, dass Finnland den Beitrittsantrag stellen werde.
War die Rede von Präsident Niinistö über eine neue KSZE-Konferenz dann nur ein Spiel für die Galerien? Welche Rolle spielten dabei der grüne Außenminister Pekka Haavisto und die Bildungsministerin des Linksbündnisses Li Andersson, beide bisher eingeschworene Nato-Gegner*innen? Welchen Druck übten die USA aus, um das fehlende Osterweiterungs-Puzzleteil einfügen zu können?
Welche Mittel nutzt ein Verbündeter, der nicht davor zurückschreckt, seinen Verbündeten zu schaden, wenn die eigenen Interessen auf dem Spiel stehen? Ein besonders beängstigendes und warnendes Beispiel ist die Sabotage von Nord-Stream, ein Thema, das von westlichen Politiker*innen und den Mainstream-Medien völlig ignoriert wird. Ein rücksichtsloser Angriff, der vor allem der deutschen Wirtschaft schweren Schaden zufügte und weiter zufügen wird, und der im Zusammenhang mit dem Besuch von Bundeskanzler Olav Scholz in Washington am 7. Februar 2022 angekündigt wurde. Auf einer Pressekonferenz teilte Präsident Biden mit, dass „die Gaspipeline Nord-Stream 2 gestoppt wird, falls Russland in die Ukraine einmarschiert“.
Wie würde sich eine solch egozentrische starke Militärmacht in einer Kriegssituation gegenüber ihren Verbündeten verhalten, falls ihre eigenen Interessen gefährdet wären? Lord Hastings Lionel Ismay, der erste Generalsekretär der NATO, erklärte am Anfang seiner Karriere, dass die Aufgabe der NATO sei, „die Sowjetunion draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten“. Die Nord-Stream-Sabotage zeigt, dass die NATO bereit ist, Deutschland unten zu halten.
Die oben gestellten Fragen werden möglicherweise nur zukünftige Historiker*innen beantworten können – aber die Frage nach einem neuen KSZE-Gipfel muss in naher Zukunft eine Antwort finden.
Ein neuer Gipfel?
Angesichts der oben genannten Hintergrundinformationen ist es höchst unwahrscheinlich, dass Finnland – obwohl das Land im Jahr 2025 die OSZE-Präsidentschaft innehat – beabsichtigt, das Thema weiter zu verfolgen. Dasselbe gilt auch für die anderen von den USA kontrollierten NATO-Staaten, die keine ernsthafte Sicherheitspolitik für Europa diskutieren wollen, die auch Russland einschließt.
Die allergrößte Herausforderung besteht derzeit darin, Druck auf ein neutrales Land auszuüben, damit es zu einem Gipfel einlädt, an der alle OSZE-Länder teilnehmen. Es gibt nicht viele Alternativem, obwohl die Organisation aus 57 Teilnehmerstaaten rund um den Globus und drei Kontinenten – Nordamerika, Europa und Asien - mit mehr als einer Milliarde Menschen besteht.
Vielleicht wäre der Vatikan eine neutrale Alternative. Papst Franziskus hat wiederholt zu Friedensverhandlungen aufgerufen, zuletzt beim Weltjugendtag Anfang August 2023 in Lissabon, wo er rund 600.000 Teilnehmer*innen die Frage mit deutlicher Kritik an Europa stellte: „Wohin steuerst du, wenn du der Welt keinen Friedenskurs vorschlägst?“
Mit mehreren Appellen, und einer großen Zahl zivilgesellschaftlicher Organisationen als Unterzeichnerinnen, könnten wir möglicherweise Einfluss auf die Situation haben. Aber die Arbeit muss sofort beginnen. Innerhalb des im Frühjahr 2023 gegründeten Netzwerks „Global Women for Peace United Against NATO“ wird ein solcher Aufruf diskutiert und mit der Arbeit zur Durchführung einer Unterschriftensammlung begonnen.
Unsere Botschaft im Appell wird im Einklang mit unserer gemeinsamen Erklärung gegen die NATO (siehe unsere Website: https://womenagainstnato.org/) auch Kritik an der NATO beinhalten. Wir fordern jedoch Organisationen, die ihre Botschaft anders formulieren wollen, auf, ähnliche Kampagnen zu starten, um entweder den Papst oder einen OSZE-Mitgliedsstaat aufzufordern, den äußerst dringenden und notwendigen KSZE-Gipfel im Jahr 2025 zu organisieren.
Eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa
Eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa ist nicht nur aus europäischer Sicht notwendig. Eine verantwortungsvoll formulierte Sicherheitspolitik, die auf Sicherheit für alle sowie Solidarität und Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt basiert, ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des gesamten Planeten.
Wenn man liest, wie der mächtigste Diplomat der EU, Josep Borrell, Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, im Oktober 2022 auf einer Veranstaltung der Europäischen Diplomatischen Akademie in Brügge sich äußerte, findet man sich zurück in den dunkelsten Kolonialzeiten: “Europa ist ein Garten, der Rest der Welt ein Dschungel.” Die Europäer*innen müssten deshalb in den Dschungel hinein. "Andernfalls wird der Rest der Welt auf andere Weise und mit anderen Mitteln bei uns eindringen."
Wenn eine solche Haltung gegenüber Europas Außenwelt nicht zum Schweigen gebracht wird und durch eine völlig neue multipolare Weltordnung, die auf Dialog, Respekt und verantwortungsvoller Zusammenarbeit für Frieden, Umwelt und soziale Gleichheit basiert, ersetzt wird, sieht es äußerst dunkel aus für Europa und die Welt.
Ein neuer KSZE-Gipfel könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein. Von westlichen Ländern wurden keine ernsthaften Friedensvorschläge für die Ukraine gemacht, während der globale Süden, China, einzelne prominente Persönlichkeiten und der Papst aktiv waren. Was derzeit in den BRICS-, Mercosur- und ASEAN-Staaten geschieht, weckt Hoffnungsschimmer. Jetzt brauchen wir einen Hoffnungsschimmer auch für Europa.