Geflüchtete

FRONTEX und die Menschenrechte

von Karl Kopp
Schwerpunkt
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Die anhaltenden humanitären Krisen auf dem Mittelmeer, das Massensterben, das Leid der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln und entlang der Balkanroute machen das menschenrechtliche Totalversagen der EU deutlich. FRONTEX, das Lieblingskind der Festungsbauer, ist Sinnbild dieser desaströsen Flüchtlingspolitik. Eine neue Frontex- Verordnung trat nun in Kraft. Frontex wird noch größer, noch mächtiger, jedoch die menschenrechtlichen Probleme der Agentur adressiert die Verordnung nicht.

Rekordverdächtige sechs Monate nach Vorlage des Reformvorhabens der als Frontex bekannten sogenannten EU Grenz- und Küstenwache lag bereits im April 2019 eine erste Einigung vor. Während die Reformierung des europäischen Asylsystems in weite Ferne gerückt ist, wurde die Aufrüstung von Frontex noch vor den Europawahlen durchgewunken. Europa will Handlungsfähigkeit demonstrieren. Die EU braucht  „Erfolge“. Im November 2019 wurde die Verordnung angenommen. Am 4. Dezember 2019 trat sie in Kraft.

Abschiebungsmaschine
Bei der Jagd nach höheren Abschiebezahlen leistet Frontex schon lange Schützenhilfe. Immer häufiger kommen Frontex- Charterflüge zum Einsatz. So wurden etwa sämtliche Abschiebeflüge aus Deutschland in das durch Krieg zerrüttete Afghanistan als Maßnahme der Agentur durchgeführt. Um künftig noch „effektiver“ abzuschieben, soll Frontex noch stärker eingebunden werden und Mitgliedsstaaten künftig in sämtlichen Schritten des »Rückführungsprozesses« unterstützen.

Es kommt immer wieder zu Beschwerden über Frontex Abschiebeoperationen. Die afghanische Organisation AMASO berichtet etwa über Beleidigungen und Gewaltanwendungen. Eine Delegation des Komitees des Europarats zur Verhütung von Folter (CPT) bestätigt die Vorwürfe. Unter Beobachtung durch das unabhängige Komitee wurde bei einer Frontex-Abschiebung im August 2018 ein Afghane durch sechs Bundespolizisten fixiert, gewürgt und in die Genitalien gegriffen – Misshandlungen, die „kooperatives Verhalten“ hervorbringen sollten.

Die Kommission hatte ursprünglich sogar in der neuen Frontex-Verordnung vorgeschlagen, die Zusammenarbeit mit Drittländern auch auf die Unterstützung von Zwangsrückführungen aus diesen Drittländern in vierte, fünfte usw. Länder auszurichten. Dem Europäischen Parlament ist es gelungen, diese Bestimmungen aus dem endgültigen Text zu streichen. Darüber hinaus wurden alle Hinweise auf Zwangsrückführungen im Rahmen der Zusammenarbeit mit Drittländern gestrichen.

Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen
Erst im August 2019 legte eine umfassende Recherche von „report München“, dem britischen „Guardian“ und dem Recherchezentrum „Correctiv“ offen: Auch während Frontex-Einsätzen an den Außengrenzen kommt es zu illegalen Zurückweisungen. Die Push Backs verstoßen gegen das Gebot der Nicht-Zurückweisung, einem zentralen Element des Flüchtlingsschutzes. Die Vorwürfe sind nicht neu. Bereits 2013 dokumentierten PRO ASYL und Partner Push Backs an der griechisch-türkischen Grenze und die fragwürdige Rolle von Frontex.

»Wenn die Frontexbeteiligung dazu führt, dass Menschenrechtsverletzungen passieren oder nicht abgestellt werden, dann muss Frontex sich rausziehen, das ist eigentlich die logische Konsequenz für eine Agentur der EU“(1), erklärt Stefan Kessler, Jesuitischer Flüchtlingsdienst und Vorsitzender des Frontex-Konsultativforums. Frontex drohe sonst zum Komplizen zu werden. Fabrice Leggerie, der Chef der Agentur, müsste in Fällen, in denen die Voraussetzungen eines Einsatzes nicht gewährleistet sind, die Operation suspendieren. Entsprechende Empfehlungen gab es etwa bezüglich des Einsatzes an der serbisch-ungarischen Grenze. Eine Reaktion gab es nicht.  

Einsatz in Drittstaaten
Seit Mai 2019 operiert Frontex auf der albanischen Seite der Grenze mit Griechenland. Weitere Einsätze in Serbien, Mazedonien, Bosnien und Montenegro sollen folgen. Basis der Einsätze in benachbarten Drittstaaten bilden sogenannte Statusabkommen. Die Abkommen enthalten zwar Formulierungen zu den Grundrechten, aber die Durchsetzungsmechanismen sind sehr schwach. Sie schaffen auch Immunität der Frontex-Offiziere  von der Gerichtsbarkeit des Gastlandes, obwohl die nach Frontex entsandten Offiziere im Rahmen der derzeitigen Operation exekutive Befugnisse haben und Gewalt anwenden können. Die EU bestand auf der Immunität, während die Länder der Region die gleiche Behandlung wie die lokalen Beamten wünschten.

Der Europäische Flüchtlingsrat hält dieses Balkanengagement nicht für eine bloße  „Externalisierung der Grenzen der EU“. Es gehe vielmehr darum, dass die EU mittels Frontex die Kontrolle über die Grenzen von Drittländern erhält.

Das Hauptanliegen dieser Expansion auf den Balkan ist es, den Zugang für Schutzsuchende in die EU um jeden Preis zu verhindern. In der Praxis bedeutet dies, dass Zehntausende Flüchtlinge auf der Balkanroute unter erbärmlichen Bedingungen überleben müssen.

Daten, Daten, Daten
Mit der neuen Verordnung wird die Agentur als Verwalterin einer Reihe von Überwachungs- und Datensystemen beauftragt, die darauf abzielen, die Effizienz und Interoperabilität der Grenzkontrolle zu erhöhen. EUROSUR, ein System, das bereits von Frontex in Warschau verwaltet wird und das geschaffen wurde, um die operative Überwachung der EU-Außengrenze in Echtzeit zu gewährleisten, ist im Rahmen des Mandats der Agentur integriert. EUROSUR ist als Frühwarnsystem konzipiert, um Migrationsbewegungen antizipieren zu können. Bereits jetzt generiert Frontex mit Flugzeugen, Drohnen und – testweise- Zeppelinen Echtzeitdaten.

Seit 2018 wird auch die Region Westbalkan im Rahmen von EUROSUR aus der Luft in Echtzeit überwacht. Die Daten werden Kroatien zum Grenzschutz zur Verfügung gestellt; Ziel ist „eine operative Reaktion vor Ort“.

In diesem Einsatzgebiet finden tausendfache Push Backs, also völkerrechtswidrige Zurückweisungen, statt. Die kroatische Präsidentin gab im Juli 2019 diese Push Backs und den Einsatz von Gewalt unumwunden zu: „Illegale Push-Backs? Weshalb denken Sie, dass sie illegal sind? […] Natürlich gibt es ein bisschen Gewalt, wenn man Menschen abschiebt. Mir wurde vom Innenminister, vom Polizeichef und von den Polizisten vor Ort, die ich getroffen habe immer wieder versichert, dass sie nicht zu viel Gewalt anwenden.“ (2)

Keine effektive menschenrechtliche Kontrolle
Die Frage nach der menschenrechtlichen Kontrolle und den Klagemöglichkeiten bei Verletzungen von Menschenrechten sind ein Kernproblem von Frontex. Die neue Verordnung schränkt die menschenrechtliche Kontrolle zwar nicht ein, erweitert sie aber auch nicht. Dabei sind schon heute sowohl die Mittel als auch die Befugnisse unzureichend. Bei dem Kompetenzzuwachs und der massiven Vergrößerung von Frontex ist dieKontrolle umso dringlicher erforderlich. PRO ASYL fordert eine Stärkung des Frontex-Grundrechtsbeauftragten, des Frontex-Konsultativforums und des Beschwerdemechanismus. Um eine tatsächlich effektive Kontrolle sicherzustellen, braucht es aber einen institutionell unabhängigen Beschwerdemechanismus, der für Opfer von Frontex-Operationen leicht zugänglich ist und der rechtlich bindende Entscheidungen treffen kann.

Fazit: Die Frontex-Mandatserweiterung dient vor allem dazu, die EU-Flüchtlingsabwehrpolitik und die Abschiebungsmaschinerie zu perfektionieren. Flüchtlings- und Menschenrechte spielen dabei keine Rolle. Niemand kontrolliert wirklich effektiv, was Frontex in Transit- und Herkunftsstaaten zur  „Flucht und Mi¬grationsbekämpfung” unternimmt. Die Gefahr ist groß, dass die Orte der Menschenrechtsverletzungen und des Sterbens lediglich aus unserem Blickfeld gerückt werden.

Anmerkungen
1 https://www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/videos-u...
2 https://www.proasyl.de/hintergrund/grenzen-als-orte-der-gewalt-die-situa...
 

Europäische Grenz- und Küstenwache: Aktualisierte Verordnung vom Rat verabschiedet/PE Rat der EU vom 8. November 2019

Ständige Reserve von Einsatzkräften der Grenz- und Küstenwache und von Rückführungsexperten
Frontex wird über eine ständige Reserve verfügen, um ein kohärentes EU-Außengrenzmanagement zu gewährleisten und auf Krisensituationen zu reagieren. Diese Reserve soll schrittweise aufgebaut werden und bis 2027 auf 10 000 Personen anwachsen. Bestehen wird sie aus Einsatzkräften von Frontex und Einsatzkräften der Mitgliedstaaten (in langfristiger Abordnung oder kurzfristigem Einsatz) sowie einer Reserve für Soforteinsätze, die bis 2024 beibehalten wird.

Rückführungen
Nach den neuen Bestimmungen kann Frontex den Mitgliedstaaten künftig technische und operative Unterstützung bei Rückführungsaktionen leisten. Dies geschieht im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat und entweder auf dessen Ersuchen oder aus eigener Initiative. Unterstützt werden alle Aspekte der Rückführung und der Rückkehr, von der Vorbereitung bis zu Maßnahmen nach der Rückkehr bzw. nach der Ankunft.

Zusammenarbeit mit Drittstaaten
Die neuen Bestimmungen sollen auch dazu beitragen, die Zusammenarbeit mit Drittländern zu intensivieren: So wird der Tätigkeitsbereich der Agentur ausgeweitet und eine Zusammenarbeit mit anderen als nur den unmittelbaren Nachbarländern möglich.  

 

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