Eine friedenspolitische Herausforderung der Gegenwart

KDV von Soldatinnen und Soldaten

von Christian Griebenow

Seit dem 23. Mai 1949 gibt es in der BRD ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung (KDV). Seit dem 7. September 1964 gab es in der DDR die Möglichkeit, als Soldat den Dienst mit der Waffe zu verweigern. Im westlichen Teil Deutschlands wurde dieses Recht auch als Konsequenz des Mordens in den deutschen Angriffskriegen und Konzentrationslagern vom Parlamentarischen Rat selbst den Bürgern eingeräumt. Im Osten dagegen waren es die Kirchen und die „historischen“ Friedenskirchen, allen voran der Quäker Emil Fuchs, die dieses Recht für die Wehrpflichtigen einforderten und mit guten Argumenten auch durchsetzten. Es war und blieb einmalig im gesamten Ostblock.

Seit dem 1.11.2003 können sich auch Frauen als Kriegsdienstverweigerinnen anerkennen lassen. Auch wenn von Artikel 4 Abs. 3 GG in der Mehrzahl vom Wehrkreisersatzamt erfasste, zur Musterung Bestellte und Einberufene und wehrpflichtige Soldaten Gebrauch gemacht haben: Das Menschenrecht auf KDV ist in der Verfassung verankert, und darf von nahezu jedem ohne Einschränkung in Anspruch genommen werden. Ausgenommen sind hier in gewisser Weise bislang nur die Soldaten im Sanitätsdienst. Aber auch hier kann eine KDV durchaus erfolgreich sein.

„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ (Artikel 4 Abs. 3 GG)

Aussetzung der Wehrpflicht
Mit der Aussetzung der Wehrpflicht  zum 1.7.2011 wird ein erheblicher Teil der KDV-Verfahren in Deutschland wegfallen. Im Jahr 2009 wurden 151.962 Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt. In 2010 war diese Zahl vermutlich auch in Hinblick auf die erwartete Aussetzung der Wehrpflicht rückläufig. Im Jahr 2011 wird diese Zahl weiter abnehmen, denn die Einberufungen zu Wehr- und Ersatzdienst erfolgen nur noch auf ausdrücklichen Wunsch der erfassten und gemusterten Jugendlichen. Schon in 2012 werden voraussichtlich nur noch wenige hundert Bürgerinnen und Bürger einen KDV-Antrag stellen. Die meisten davon werden Soldatinnen und Soldaten sein, die sich freiwillig bei der Bundeswehr verpflichtet haben. Die Zahl wird auch deshalb sinken, weil ab 2011 ein Probezeitraum von 6 Monaten vereinbart wird, innerhalb dessen die Berufssoldaten ohne KDV-Antrag einseitig kündigen können. Kein junger Mann in diesem Land ist mehr gezwungen, mit 17, 18 oder 19 Jahren seine persönliche Entscheidung für oder gegen den Kriegsdienst zu treffen. Alle diese Entwicklungen sind sehr zu begrüßen und ein Schritt in die richtige Richtung.

Die rechtliche Beratung für SoldatInnen, die den Kriegsdienst verweigern, wird hauptsächlich von Fachanwälten übernommen. Organisationen wie die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen oder die KDV Beraterinnen und Berater der evangelischen Landeskirchen in der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK) übernehmen hier zumeist nur den Erstkontakt und im Falle der EAK die seelsorgerische Begleitung. Mit dem Wegfall der Notwendigkeit, eine flächendeckende KDV- und Zivildienstberatung vorzuhalten, wird es in diesem Bereich sehr wichtig sein, dennoch basale Strukturen aufrechtzuerhalten.

Schutz der KDVer in Zukunft
„Alle Menschen, die den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern, müssen geschützt werden und dürfen des Schutzes und der Fürsprache der Kirche gewiß sein.“ (Rat der EKD, 7. Dezember 1951)

Seit 1957 hat die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen hier eine wichtige Funktion. Insbesondere in den rechtlich oft kniffligen Fragen der KDV von Soldatinnen und Soldaten berät sie die Antragsteller und informiert die KDV-Berater. Sie wird ihre direkte KDV-Beratungsarbeit zum Mai 2011 auf Grund der politischen und damit auch finanziellen Rahmenbedingungen einstellen müssen. Ihre Mitgliedsorganisationen diskutieren zurzeit gerade, welche der bisherigen Aufgaben sie als Hüterin des Menschenrechts auf KDV weiterführen soll. Sicher ist zurzeit nur eines: Die zentrale Telefonnummer im Bereich KDV wird es Mitte nächsten Jahres nicht mehr geben. Die KDV-Hotline der EAK wird bestehen bleiben. Die evangelische Kirche ist somit einer der letzten überregionalen Akteure, die im Bereich der KDV eine Beratung kostenlos für alle anbieten. Für all jene, die ohne den deutschen Pass in Europa aber auch darüber hinaus den Kriegsdienst verweigern wollen, ist der seit 1993 bestehende Verein  „Connection e.V.“ der richtige Ansprechpartner.

Nicht immer ist ein KDV-Verfahren der beste Weg, um aus der Bundeswehr auszusteigen. Nicht immer kommen die aktuellen Informationen und Gerichtsurteile zeitnah auf allen Beratungsebenen an. Entscheidend sind im Bereich der KDV-Beratung von SoldatInnen neben dem Vorhalten der aktuellen Informationen auch die Kontakte zu den entsprechenden Fachanwälten, denn letztendlich sind sie es, die kompetent ein solches Verfahren eröffnen können. Doch was wird aus der Begleitung, im Falle der kirchlichen Träger auch mit dem Anspruch der christlichen Seelsorge? Was wird aus dem Beistand vor Ort in der Nähe der Kasernen, wenn Soldatinnen und Soldaten vor dem Hintergrund der oft großen finanziellen Reichweite eines erfolgreichen KDV-Verfahrens überlegen, ob sie sich überhaupt ein solches leisten können?

Dies sind alles Fragen und Aufgaben, die zurzeit von den zahlreichen KDV BeraterInnen in der gesamten Republik beantwortet und erfüllt werden. Zumindest für die evangelische Kirche kann ich die begründete Hoffnung äußern, dass viele dieser Berater auch in den zukünftigen Strukturen als Friedenspfarrer, Friedensbeauftragte, KDV-Beauftragte und Seelsorger aktiv bleiben und ihnen ihre jeweilige Landeskirche die Wahrnehmung dieser wichtigen Aufgabe auch ermöglicht. Ziel dieser Arbeit wird es sein, im engen Kontakt mit den Soldatinnen und Soldaten und auch den Militärdekanen vor Ort, nach geeigneten Lösungen zu suchen. Im Vordergrund steht dabei neben der seelsorgerischen Begleitung während des gesamten Verfahrens auch die Vermittlung an einen geeigneten Fachanwalt, der auch das Vertrauen der jeweiligen Beraterinnen oder Berater besitzt. Ich bin gewiss, dass sich viele dieser zumeist ehrenamtlich Engagierten dieser Aufgabe stellen werden. Einige hundert Fälle pro Jahr bedürfen neben dem Fachanwalt auch gerade der Fürsprache und Begleitung. Da der Ausstieg aus der Bundeswehr zum Teil mit erheblichen finanziellen Belastungen für die Kriegsdienstverweiger verbunden ist, brauchen wir weiterhin gut informierte BeraterInnen. Hierauf sollten wir unser Augenmerk lenken - hier liegt unsere zivilgesellschaftliche Verantwortung. Der Staat wird hier keinen Finger rühren – deshalb ist es umso wichtiger, dass wir als Friedensbewegung an die KDV keinen Haken machen, sondern uns weiterhin dafür einsetzen, dass sie tatsächlich ein uneingeschränktes Menschenrecht bleibt.

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Christian Griebenow ist Geschäftsführer der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (Bonn).