Die Kampagne „unsere zukunft – atomwaffenfrei“ hat das Ziel im Sicht

Next stop: New York 2010

von Xanthe Hall

Vor zweieinhalb Jahren startete die deutsche Kampagne „unsere zukunft – atomwaffenfrei“. Sie hat das Ziel, eine öffentliche Erklärung der deutschen Regierung bei der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags in New York in Mai 2010 zu erwirken, dass Deutschland atomwaffenfrei wird. Dabei ging es uns nicht vorrangig um den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, sondern um die öffentliche Debatte in und um Deutschland über die Atomwaffen.

Vor dem Start der Kampagne war das Thema so gut wie tot. Durch das Fokussieren auf die übrig gebliebenen Atomwaffen in der Eifel konnten wir nicht nur die Politik wieder auf das Thema aufmerksam machen, sondern auch die Öffentlichkeit. Der große Meilenstein war die schwarz-gelbe Koalitionsvereinbarung im Oktober 2009, in der die Formulierung steht: „In diesem Zusammenhang sowie im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO werden wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.“ Seitdem läuft die Debatte über das Für und Wider des Abzugs der US-Atomwaffen nicht nur im Bundestag, sondern auch in der FAZ, Zeit, International Herald Tribune, auf der Münchener Sicherheitskonferenz, bei der NATO und in öffentlichen Veranstaltungen weltweit. Die Deutschen haben eine Vorreiterrolle übernommen.

Auch die deutschen „Elder Statesmen“ (Bahr, Genscher, Schmidt, Weizsäcker) haben sich in ihren Statements das Thema zu Eigen gemacht. Dann erklärte am 19. Februar 2010 eine neue Gruppe von vier ehemaligen Staatsmännern aus Belgien: „Wir rufen unsere Regierung auf, dem Beispiel Deutschlands Folge zu leisten und im Rahmen der NATO-Strukturen den schnellstmöglichen Abzug der Kernwaffen zu fordern“. Am gleichen Tag kursierte der Bericht, dass es eine neue Allianz zwischen Deutschland, Belgien, Holland, Norwegen und Luxemburg gäbe, die den Abzug der US-Atomwaffen in Europa verlangte.

Zur gleichen Zeit, als Russland und die USA noch über weitere Reduzierungen ihrer strategischen Atomwaffen verhandeln, wird ein Auge auf die nächste Verhandlungsrunde geworfen: die Runde über die taktischen Atomwaffen. Obwohl Russland eine viel größere Zahl an taktischen Atomwaffen besitzt - keiner weiß so richtig, wie viele, nicht mal Russland – , kommt die Frage der konventionellen Überlegenheit der USA über Russland damit nicht auf dem Tisch. Es ist an der Zeit, über gemeinsame Sicherheit zu sprechen und endlich dem Kalten Krieg ein Ende zu setzen. Aber gemeinsame Sicherheit schließt eine Sicherheit, die auf nuklearer Drohung basiert, aus. Letzteres ist „kollektive Verteidigung“. Gemeinsame Sicherheit heißt: nicht drohen, sondern Vertrauen bilden. Abrüstungsgespräche und Verhandlungen bringen uns der Sache näher.

New York, New York
Alle fünf Jahre treffen sich RegierungsvertreterInnen beinahe aller Staaten der Welt, um die atomare Lage der Welt zu besprechen. Offiziell heißt das vierwöchige Treffen „Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags“. Denn diesen Vertrag haben alle Staaten außer Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea unterschrieben.

Rüstungskontrollverträge sind schwer zu verdauen, daher interessieren sich die Medien kaum dafür. Aber der Atomwaffensperrvertrag und sein Überprüfungsprozess spiegeln historisch und politisch den grundsätzlichen Streit um Atomwaffen und Macht in dieser Welt wider. Nur fünf Staaten dürfen laut Vertrag Atomwaffen besitzen, und das sind die siegreichen Alliierten des 2. Weltkrieges, plus China. Diese fünf Länder sind auch die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, also diejenigen, die ein Vetorecht besitzen. Wegen dieser Konstellation spricht man von den atomwaffenfreien Staaten als  „Habenichtse“ (Have-nots) und suggeriert, dass ihnen etwas fehle, vor allem Macht.

Der Tiefpunkt des Vertrags kam in 2005, als die Regierung unter George W. Bush alle weiteren Fortschritte blockierte. Nach vier Wochen gingen die Delegierten mit leeren Händen nach Hause. Zwar ist nichts passiert, was später hätte bereut werden müssen. Aber es war schlichtweg gar nichts geschehen, außer herumsitzen und meckern.

Aus diesem Grund wollen alle Staaten diese Überprüfungskonferenz (New York, 3. bis 28. Mai 2010) zu einem Erfolg machen. Auch die Zivilgesellschaft, die diese Konferenz immer in großer Vertreterzahl begleitet, hofft auf ein gutes Ergebnis. Vor allem wollen Friedensorganisationen wie die IPPNW und pax christi, dass die Staaten endlich beginnen, über Modalitäten für Artikel VI zu reden. Das heißt: Wann und wie werden die Atomwaffen abgeschafft?

Bereits 1997 haben Costa Rica und Malaysia den Vorschlag der Nichtregierungsorganisationen (NROs) aufgenommen und in Form eines Modellentwurfs für eine Nuklearwaffenkonvention (ein Vertrag zur Abschaffung aller Atomwaffen) als UN-Dokument offiziell den Unterzeichnerstaaten zukommen lassen. Seit 2007 gibt es einen neuen Anlauf, begleitet von der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN). Diese Kampagne wird von über 200 Organisationen weltweit getragen.

Was steht an in New York?
Bei der Überprüfungskonferenz machen sich die NROs auf verschiedene Weise bemerkbar. Am 2. Mai, einen Tag vor Beginn der Konferenz, wird es wieder eine Demo geben. 2005 waren ca. 40.000 Menschen zu dieser Demo gekommen. Während der Konferenz veranstalten Gruppen inhaltliche Treffen innerhalb des UNO-Gebäudes, die Konferenzdelegierte besuchen können. Über die Jahre sind immer mehr DiplomatInnen zu diesen Veranstaltungen gekommen, die als sehr informativ geschätzt werden. Auch für uns als Friedensbewegte ist es eine Möglichkeit, uns auf diesem Gebiet intensiv fortzubilden. Zudem gibt es oft vor dem Gebäude Aktionen, Mahnwachen, usw. um das Medieninteresse an der Konferenz aufrechtzuerhalten. Hauptorganisator ist die Frauenliga, die sich für diese Aufgabe „Reaching Critical Will“ (RCW) nennt. Alle Konferenzdokumente und Redetexte der Konferenz werden (meistens schneller als vom offiziellen NVV-Sekretariat) auf der Webseite von RCW gepostet. Dort liegen auch die Dokumente von früheren Jahren. RCW veröffentlicht außerdem für die Dauer der Konferenz täglich eine Zeitung über die Entwicklungen auf der Konferenz und über alle NRO-Aktivitäten, die bei den DiplomatInnen inzwischen sehr beliebt ist. Durch diese Zeitung und die Webseite kann man auch alles gut mitverfolgen, auch wenn man nicht in New York oder nur für eine kurze Zeit anwesend sein kann.

Seit 1995 haben sich gleichdenkende NROs täglich bei allen Überprüfungskonferenzen und auch bei den jährlichen zweiwöchigen Vorbereitungskonferenzen (PrepComs) getroffen, um die Abschaffung der Atomwaffen bei der Konferenz voranzubringen. Diese Gruppe nennt sich „Abolition Caucus“. Daraus entstand 1995 das globale Netzwerk „Abolition 2000“, das alle Organisationen vernetzt, die für eine atomwaffenfreie Welt arbeiten. Auf der Jahrestagung des Netzwerks, die am 8. Mai 2010 in New York stattfinden wird, sollen Strategien besprochen und Ideen ausgetauscht werden.

Bei jeder Konferenz der NVV-Unterzeichnerstaaten kommen auch die NROs zu Wort. Die Delegierten nehmen sich einen halben Tag im Plenum Zeit, um ungefähr zehn kurze Vorträge über verschiedene Aspekte des Vertrages anzuhören. Ich selbst hatte die Gelegenheit, 1995, 2000 und 2005 für die IPPNW zu reden, und bin immer wieder erstaunt, mit wieviel Aufmerksamkeit die Delegierten zuhören.

Was diskutieren die Staaten?
Bei der Überprüfungskonferenz in 2000 ist die neue Abrüstungsagenda zustande gekommen, die seitdem als die „13 Schritte“ bekannt ist. Diese bilden immer noch die Grundlage für die Verhandlungen im Mai 2010. Obwohl George W. Bush der Abrüstungsagenda einigen Schaden zugefügt hat, indem er z.B. den ABM-Vertrag gekündigt, die US-Atomwaffendoktrin verschärft und 2005 die „13 Schritte“ sogar nicht mehr als gültig anerkennen wollte, bleiben sie für die meisten Staaten – auch für Deutschland - die Basis für die weitere Überprüfung des Vertrags.

Die Fragen, die auf die Tagesordnung kommen werden, werden von der politischen Weltlage bestimmt. Was macht man mit dem Nahen und Mittleren Osten? Kann die Resolution von 1995 für eine atomwaffenfreie Zone in der Region vorangetrieben werden? Die Frage der „Renaissance“ der Atomenergie beschäftigt viele Staaten. Auf der einen Seite befürchtet man eine Weiterverbreitung von Atomwaffen durch die zivile Nutzung der Atomenergie. Auf der anderen Seite wähnen manche Staaten ihr Recht auf zivile Nutzung in Gefahr. Der Iran steht bei diesem Streit im Mittelpunkt. Nordkorea ist nach wie vor das Beispiel für die Lücke im Vertrag, durch die ein Staat wegen nationaler Sicherheitsinteressen ohne Strafe den Vertrag einfach aufkündigen kann (Artikel X). Last but not least ist das Thema der Erfüllung von Artikel VI eine Schlüsselfrage. Wann werden die Atomwaffenstaaten endlich bereit sein, über die Abschaffung aller Atomwaffen zu verhandeln?

Für diese inhaltliche Tagesordnung werden die Ereignisse der nächsten Monate sehr wichtig. Werden Russland und die USA vor der Konferenz den Nachfolgevertrag zum START (Strategic Arms Reduction Talks) endlich abschließen und ihre strategischen Arsenale weiter reduzieren? Eine Überprüfung der jeweiligen US-amerikanischen Doktrin wird Anfang März erwartet, die russische war im Januar 2010 schon fertig. Die Frage ist, inwieweit die Rolle der Atomwaffen in der US-Doktrin verringert wird. Wenn zu wenig Veränderung enthalten ist, wird sich das schlecht auf die Konferenz auswirken. Auch eine weitere Verzögerung der Ratifizierung des Atomteststoppvertrags durch die USA könnte sich negativ auswirken, ebenso wie ein Streit im US-Kongress über die Ratifizierung des START-Nachfolgevertrags, der sich jetzt anbahnt. Ein erneutes Aufflammen des Atomkonflikts mit dem Iran hilft keineswegs. Die Hürden sind also hoch, auch wenn der Wille da ist. Hierbei könnte ein positives Signal aus Europa helfen.

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