Äthiopien und Eritrea

Niemals mehr als „kalter Frieden“

von Jan Claudius Völkel

Als am 12. Juni 2016 wieder massiv Waffen im eritreisch-äthiopischen Grenzgebiet eingesetzt wurden und Hunderte Todesopfer sowie Verletzte den Kämpfen zum Opfer fielen, bedeutete dies das Ende eines Waffenstillstands, der zwar 16 Jahre gehalten, aber niemals zu mehr als „kaltem Frieden“ geführt hatte. Zu tief sitzen die Feindseligkeiten zwischen beiden Ländern, die als ehemalige Bruderstaaten für dreißig Jahre eine Konföderation eingegangen waren, sich seit deren Ende 1993 aber erbittert gegenüberstehen. Höhepunkt der bisherigen Feindseligkeiten war der Grenzkrieg von 1998 bis 2000, der überwiegend im Bereich rund um die Grenzstadt Badme, aber auch in den Regionen von Tsorona, Zalambessa und Bure bis zu 100.000 Todesopfer forderte und mehrere Hunderttausende auf beiden Seiten der Grenze aus ihren Heimatbezirken vertrieb.

Überraschend war der jüngste Gewaltausbruch nicht, hatten die Spannungen an der Grenze doch seit geraumer Zeit wieder spürbar zugenommen. Internationale BeobachterInnen, einschließlich des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN), warnen schon seit längerem vor einem erneuten Kriegsausbruch. Es herrscht ein Klima des Misstrauens bis hin zu Hass, beide Seiten beschuldigen die jeweils andere Seite, destabilisierend vorzugehen und das jeweils andere Regime unterminieren zu wollen. Äthiopien wirft der eritreischen Regierung beispielsweise vor, die derzeitigen internen Unruhen wegen wirtschaftlicher Ausgrenzung, insbesondere der Oromos und Amharen, von außen bewusst zu schüren.

Der Konflikt zwischen beiden Ländern schwelt vordergründig zwar um den exakten Grenzverlauf, ist im Kern jedoch wirtschaftlicher Natur. Als Eritrea sich 1991 von Äthiopien lossagte, verlor das frühere Kaiserreich seinen direkten Zugang zum Roten Meer. Zwar wurden Abkommen geschlossen über die Nutzung eritreischer Hafenanlagen, beide Seiten hielten sich aber nur sporadisch an die Abmachungen und zwangen sich gegenseitig zu immer mehr wirtschaftlichen Zugeständnissen – bis dann im Mai 1998 der Grenzkrieg ausbrach. Dieser wurde auf internationalen Druck hin im Jahre 2000 beendet, eine VN-Beobachtungsmission (United Nations Mission in Ethiopia and Eritrea, UNMEE) im gesamten entmilitarisierten Grenzbereich etabliert, und ein Schiedsspruch einer paritätisch besetzten, unabhängigen eritreisch-äthiopischen Grenzkommission (Eritrea-Ethiopia Boundary Commission, EEBC) klärte im Jahr 2002 die strittigen Grenzfragen weitgehend zugunsten Eritreas. Äthiopien erkennt diesen jedoch bis heute nicht an.

Das Ende der UNMEE-Mission im Jahr 2008 resultierte aus ihrer faktischen Boykottierung,  insbesondere durch Eritrea, die eine Fortführung unmöglich machten. Von einigen eher kosmetischen Bemühungen auf höchster diplomatischer Ebene unter Einschluss der VN sowie der Afrikanischen Union fanden seitdem keinerlei Mediationstätigkeiten zwischen beiden Ländern mehr statt, so dass die Feindseligkeiten sich zunehmend wieder aufbauten. (1) Beide Regierungen verletzten gegenseitig wiederholt die Grenze. Doch nicht nur im eigenen Grenzgebiet blieb die Lage angespannt, beide Seiten führ(t)en auch einen Stellvertreterkrieg in Somalia, wo Äthiopien die Übergangsregierung unterstützt und Eritrea die al-Shabaab-Miliz. Überdies sind beide Länder in zahlreiche weitere Konflikte involviert, so besteht ein Grenzstreit zwischen Eritrea und Djibouti, in Äthiopien versuchen Rebellen, die östliche Somali-Region vom Land abzuspalten.

Generell berufen sich beide Regime auf ihre starke Militärdominanz. Sowohl Eritreas Präsident Isaias Afewerki als auch Äthiopiens Premierminister Hailemariam Desalegn, Nachfolger des 2012 verstorbenen Langzeitherrschers Meles Zenawi, verfolgen eine Politik der harten Hand gegen interne und externe Opposition. In beiden Ländern herrschen die beiden Staatsparteien unangefochten, in Äthiopien unterdrückt die Regierung mit militärischer Härte die bestehenden Konflikte unter den 80 ethnischen Gruppierungen (2), das eritreische Regime gilt als eines der brutalsten weltweit; im 2016er Ranking des Bertelsmann-Transformationsindexes (BTI Status Index) beispielsweise rangiert das Land auf dem vorletzten Rang, unterboten lediglich von Somalia. (3) Bei nur vier Millionen EinwohnerInnen stehen 100.000 Wehrdienstpflichtige unter Waffen, mindestens 200.000 Eritreer, wenn nicht bedeutend mehr, befinden sich teils seit Jahrzehnten als Flüchtlinge im Ausland. Eine offizielle UN-Untersuchungskommission listete in den Jahren 2015 und 2016 zahlreiche Menschenrechtsverletzungen seitens der eritreischen Behörden auf. (4)

Die äthiopische Regierung hat sich gegenüber dem Ausland zwar nicht ganz so abgeschottet, und wird insbesondere von den USA als Partner im Anti-Terror-Kampf gesehen, verfolgt aber ebenso eine ausgesprochen repressive Politik beispielsweise der Zivilgesellschaft gegenüber. Seitdem die Opposition ihren letzten verbliebenen Parlamentssitz bei den Wahlen 2015 verlor, findet praktisch keine Alternativpolitik zur offiziellen Regierungslinie mehr statt. Demokratie ist in beiden Ländern nicht existent.

Kooperation mit internationalen Hilfsorganisationen wird nur sehr sporadisch zugelassen, westliche Geberländer haben kaum Einfluss auf die Entwicklungen in beiden Ländern. Dies gilt insbesondere für Eritrea, das seit Dezember 2009 unter einem Embargo der VN steht und 2011 auch seine Beziehungen zur Europäischen Union (EU) auf ein absolutes Minimum reduziert hat, nachdem die EU im Jahre 2010 weitgehende Wirtschaftssanktionen gegen Eritrea verhängt hatte. Jüngst bemüht sich die EU aber wieder um eine Verbesserung der Beziehungen zu beiden Staaten, allerdings vorrangig aus dem Interesse heraus, im Rahmen des „Valletta Summit Action Plan“ auch mit den Ländern am Horn von Afrika insgesamt zu einer stabileren Situation in der Flüchtlingsfrage zu gelangen. (5)

Beiden Regimen wird vorgeworfen, mit den anhaltenden militärischen Spannungen vom eigenen Versagen abzulenken und überdies damit die hohen Militärausgaben zu rechtfertigen, die mit massiver Korruption und Machtzementierung einhergehen. (6) Während Äthiopien jedoch wenigstens nach außen hin mit beeindruckenden Wachstumszahlen aufwarten kann, liegt Eritreas Wirtschaft am Boden. Hungersnöte sind dennoch in beiden Ländern eine stete reale Gefahr, aufgrund falscher Bodenpolitik, Korruption, Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelverteilung und auch aufgrund des Klimawandels. Eine nachhaltige Entspannung im Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea ist in der Summe leider unwahrscheinlich, zu wichtig ist beiden Regierungen der jeweils „andere Feind“, mit dem sich die kleptokratischen Regime beiderseits der Grenze legitimieren. Überdies ist die gesamte Region des Horns von Afrika ausgesprochen labil und konfliktanfällig und wird dies auf absehbare Zeit auch bleiben.

 

Anmerkungen
1 Solomon, Salem: Latest Ethiopia-Eritrea Clash is Culmination of Long-festering Tensions. Voice of America, 17. Juni 2916, http://www.voanews.com/a/latest-ethiopia-eritrea-clash-culmination-of-lo....

2 Völkel, Jan Claudius: Äthiopien. Dossier „Innerstaatliche Konflikte“, 12. November 2015, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/545....

3 Siehe den BTI 2016-Länderbericht „Eritrea“ unter http://www.bti-project.org/en/reports/country-reports/detail/itc/eri/itr....

4 Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea: Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 4. Juni 2015 und 9. Juni 2016, http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/CoIEritrea/Pages/2016ReportCoIEritr....

5 Völkel, Jan Claudius: Hiring Bullies as Bouncers. World Policy Blog, 23. März 2016, http://www.worldpolicy.org/blog/2016/03/23/hiring-bullies-bouncers.

6 Campbell, John / Birhanu, Nathan: What’s behind Ethiopia and Eritrea’s Border Clash? Newsweek, 27. Juni 2016, http://europe.newsweek.com/whats-behind-ethiopia-and-eritreas-border-cla....

Ausgabe