Buchbesprechung

Variationen über die vielen Frieden

von Matthias Richter

„Elicitive Konflikttransformation und die transrationale Wende der Friedenspolitik“ ist der auf den ersten Blick abschreckende Titel einer Veröffentlichung von Wolfgang Dietrich, einem österreichischen Friedensforscher aus Innsbruck. Für Dietrich gibt es nicht den einen Frieden als Ziel von Friedensarbeit, sondern sehr viele verschiedene, z.B. kulturell bedingte Vorstellungen von Frieden. Daher schrieb er ein Plädoyer für die vielen Frieden (1998). In der aktuellen dreibändigen Reihe, von denen bisher Band 1 und Band 2 veröffentlicht wurden, beschreibt er in Band 1 unterschiedliche Interpretationsfamilien von Frieden:  energetisch, moralisch, modern, post-modern und transrational. In Band 2 beschreibt er Methoden, die bei der Friedensarbeit für transrationale Frieden unterstützend wirken. Die entsprechende Arbeit nennt er elicitive Konflikttransformation. („Elicitiv“ bedeutet so viel wie „herauslocken“, „entlocken“ und wurde im Zusammenhang mit Konfliktbearbeitung von John Paul Lederach geprägt.)

Für Dietrich herrscht in der Moderne und Post-moderne der Friedensforschung die Vorstellung, man könne Konflikte lösen, so wie man einen Kriminalfall löst. D.h. es gibt ein Analyse- und Methodenkochbuch, und wenn man die richtigen Methoden in der richtigen Reihenfolge anwendet, kommt hinten ein guter Frieden heraus.

Angebracht ist für Dietrich vielmehr eine Konflikttransformation.“Elicitiv“ meint, dass mit Hilfe verschiedener Methoden alle Beteiligten, auch die FriedensarbeiterInnen selbst, die ja durch ihre Arbeit Teil des Systems werden, darin unterstützt werden, die in ihnen vorhandenen Möglichkeiten zur Konflikttransformation von einem dysfunktionalen System hin zu vielen möglichen Frieden zu entdecken. Das Ergebnis, welcher Frieden dabei herauskommt, ist offen.

Elicitive Konflikttransformation
Während die Theorie zur elicitiven Konflikttransformation gerade erst im Entstehen ist, sind die Methoden bereits seit Jahrzehnten vielfach im Einsatz. Vor allem die Entwicklungen der humanistischen Psychologie und das systemische Denken stellen viele Methoden bereit, die in der Arbeit an Konflikten angewendet werden können.

Dietrich unterscheidet zwischen atem-, sprach- und bewegungsorientierten Zugängen zur elicitiven Konflikttransformation. Diese können die FriedensarbeiterInnen in Ausbildung und Einsatz alle auf  sich selbst anwenden, einige davon können auch mit den in der Konflikttransformation Beteiligten zur Unterstützung des Prozesses eingesetzt werden. Die Zugänge können hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Um nur ein Beispiel zu geben:

Zu den sprachorientierten Zugängen zur elicitiven Konflikttransformation zählt er z.B. die gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Rosenberg. Weitere Ansätze aus der humanistischen Psychologie, die hilfreiche Grundlagen für die Konflikttransformation entwickelt haben, sind die Themenzentrierte Interaktion (Ruth Cohn), die Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation nach Schulz von Thun und die grundlegende Arbeit von Carl Rogers zur Gesprächstherapie. Ganz wesentlich ist für ihn auch die Abkehr vom Denken in Therapeut-Patient (gesund + kompetent - krank), hin zu Facilitator und Klient (zwei Menschen, wobei der Eine dem Anderen hilft, die eigene Kompetenz wieder zu spüren und anzuwenden, zu der er seinen Zugang verloren hat).

Im ersten Teil des Buches geht es um die Ausbildung von Master-StudentInnen, danach folgen die oben dargestellten Überlegungen. Im letzten beschreibt Dietrich dann die Auswirkungen der transrationalen Wende auf die Diplomatie (Multitrack Diplomatie), auf militärische Friedensoperationen (sehr gut ausgebildete und empathische und kommunikationsfähige Soldaten, die notfalls kämpfen, aber nicht gewinnen wollen), auf die Entwicklungspolitik (vom technokratischen Entwicklungsdogma und projektorientierten Denken: Projekt – Resultat – Evaluation hin zu einem systemischen Ansatz), auf die Nationalökonomie (Gerechtigkeit als Frage subjektiver und kommunaler Bedürfnisbefriedigung statt mechanistische Bedarfsdeckung – nicht wachstums-, angebots- oder gerechtigkeitsorientiert).

Bewertung
Die Beschreibung der Ausbildung der StudentInnen war auf mich sehr eindrücklich. Sie wirkt sehr kompetent und umfassend und sehr gut ausgesucht und begleitet. Irritierend ist (u.a.), dass die Militärkritik einfach abgetan wird, die zivil-militärische Zusammenarbeit als status quo der Wissenschaft und Friedensarbeit dargestellt wird und zum Abschluss des Buches eine so – für mich – unrealistische und heldenhafte Darstellung des künftigen Soldaten ausgebreitet wird, die jeder Grundlage entbehrt. Dabei wird das in jedem militärischen Einsatz vorkommende menschenverachtende Verhalten nur in einem einzigen Beispiel genannt, und quasi als fast einmalige Entgleisung in Abu Ghraib genannt.

Außerdem wirkt eben doch einiges sehr esoterisch, auch wenn er sich immer wieder davon distanziert. Viele Methoden beschreibt er im Detail (Schamanismus, Holotropes Atmen, Vipassana, Aikido, ...) und dabei bleibt es. Es ist rein beschreibend; eine Diskussion, was  davon tatsächlich hilfreich und was weniger oder gar nicht brauchbar ist, fehlt.

 

Wolfgang Dietrich (2011): Variationen über die vielen Frieden. Band 2: Elicitive Konflikttransformation und die transrationale Wende der Friedenspolitik. ISBN 978-3-531-18123-3, 408 S., 39,99€

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