Syrien und Irak

Wenig Aussichten auf Frieden

von Clemens RonnefeldtFelix Daiber

In Syrien und Irak sind mehr als 50% der Bevölkerung jünger als 25 Jahre, in Deutschland nicht einmal 25%. Die Perspektivlosigkeit dieser jungen - häufig gut ausgebildeten - Generation wird weiterhin ein Spannungsfaktor bleiben, wenn ihr nicht lebenswerte Zukunftschancen ermöglicht werden.

Zwischen Iran und Saudi-Arabien wird ein blutiger Machtkampf um die Vorherrschaft in der Region ausgetragen, bei dem die sunnitisch-schiitische Frage instrumentalisiert wird und die Zivilbevölkerung in Syrien, Irak und auch Jemen die Leidtragende ist.

Unter den ethnischen Konflikten spielt die Kurdenfrage eine zunehmend wichtigere Rolle, seit im Norden Iraks sowie im Nordosten Syriens kurdische VertreterInnen Selbstverwaltungen ausgerufen haben, die vor allem beim türkischen Präsidenten Erdogan Ängste vor einem Übergreifen dieser Bewegungen auch auf die Türkei verursacht haben. Mit der Bombardierung der PKK-Führung in den irakischen Kandilbergen sowie der Bombardierung zahlreicher kurdischer Hochburgen im Osten der Türkei versucht die Regierung Erdogan durch eine Islamisierung (Bau neuer Moscheen) sowie Arabisierung (Ansiedlung von sunnitisch-arabischen Flüchtlingen aus Syrien in kurdischen Hochburgen) die Demographie neu zu Ungunsten der kurdischen Seite "zu gestalten" - mittels Krieg. Mehr als 400.000 KurdInnen sind im letzten Jahr aus ihren osttürkischen Heimatstädten geflüchtet.

Die Faktoren "Klimawandel" und "Wasser" spielen ebenfalls für die Kriege in Syrien und Irak eine zunehmend wichtigere Rolle: In den Jahren vor Beginn des Krieges in Syrien 2011 gab es Dürrekatastrophen vor allem an der syrisch-türkischen Grenze, die Tausende von Klimaflüchtlingen zur Folge hatten, welche sich in Elendsvierteln von Aleppo und Damaskus niederließen und sich von der Regierung Assad vernachlässigt fühlten.

Die türkischen Staudammprojekte des Tigris und Euphrat führen schon jetzt zu einer Verschärfung der Wasserverteilungsfrage zwischen Türkei, Syrien und Irak.

Ein weiterer wesentlicher Eskalationsfaktor ist die Erdgasfrage. Die weltweiten Reserven verteilen sich unter den drei Spitzenplätzen folgendermaßen: Russland (24,8%), Iran (15,6%) und Katar (13,2%). Alle anderen Länder liegen unter 5%.

In einem aufschlussreichen Artikel mit dem Titel: "Pipeline-Politik in Syrien. Man kann den Konflikt in Syrien nicht verstehen, ohne über Erdgas zu sprechen" schreibt US-Major Rob Taylor:

"Ein Großteil der Medienberichte legt nahe, dass der Konflikt in Syrien ein Bürgerkrieg ist, in dem das Regime des Alawiten (Schiiten) Bashar Assad sich verteidigt (und dabei Grausamkeiten verübt) gegen sunnitische Rebellen-Cliquen (die auch Grausamkeiten verüben). Die wirkliche Erklärung ist einfacher: Es geht um Geld. Im Jahre 2009 plante Katar, eine Erdgaspipeline durch Syrien und die Türkei nach Europa zu betreiben. Stattdessen aber schmiedete Assad ein Abkommen mit Irak und Iran in östlicher Richtung, das diesen schiitisch-dominierten Ländern Zugang zum europäischen Erdgasmarkt verschaffen würde und diesen gleichzeitig den Sunniten in Saudi- Arabien und Katar verweigerte. Wie es jetzt erscheint, versuchen die letzteren beiden Staaten Assad aus dem Weg zu räumen, damit sie Syrien kontrollieren und ihre eigene Pipeline durch die Türkei betreiben können". (1).

Konfliktverschärfend kommt noch hinzu, dass eines der weltweit größten Erdgasfelder zwischen Katar und Iran liegt - und von beiden Ländern "angezapft" werden kann.

Russland ist aus nachvollziehbaren Gründen nicht daran interessiert, seine starke Rolle auf dem europäischen Erdgasmarkt durch Konkurrenz verringern zu lassen, europäische Staaten sähen gerne mehr Alternativen zum Erdgas aus Russland, die US-Regierung würde gerne Putin geschwächt sehen - und Iran und Hizbollah wissen, dass nur bei einem Verbleib Assads im Amt die schiitisch-alawitische Landverbindung von Iran, Irak, Syrien und Hizbollah im Libanon - z.B. auch für iranische Waffenexporte an die Hizbollah - erhalten werden kann.

Zur aktuellen Lage in Syrien
Nach dem Waffenstillstand im Februar 2016 am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz kam es in den letzten Monaten erneut zu schweren Kämpfen, vor allem in Aleppo und Idlib, denen allein in der zweiten Junihälfte 2016 mehrere Hundert ZivilistInnen zum Opfer fielen. (2) Es gibt Pläne der Al-Nusra-Front, in Idlib ein neues Kalifat zu errichten.

Mitte Juni 2016 kritisierte die US-Regierung die russische Regierung, weil diese im Grenzgebiet Syrien-Irak eine US-finanzierte Einheit der Freien Syrischen Armee (FSA) im Kampf gegen den IS angegriffen hatte.

Um ihre Kriegführung in Syrien besser zu koordinieren, trafen sich die Verteidigungsminister Russlands, Syriens und des Iran Anfang Juni 2016 in Teheran. Es zeigt sich immer deutlicher, dass zwischen Russland und Iran eine Zweckgemeinschaft besteht, bei der Russland die Luftwaffe stellt und Iran die Bodentruppen. Beide sind aufeinander angewiesen, haben aber partiell unterschiedliche Interessen. Unterstützt werden beide von der Hizbollah. Die syrische Armee ist ausgeblutet und wäre zu neuen Geländegewinnen ohne russische oder iranische Hilfe nicht mehr in der Lage.

Im Sommer 2016 zeigte sich, dass durch den kombinierten Einsatz von russischer Luftwaffe (die bei Aleppo auch Phosphorbomben einsetzte) und schiitischen Bodentruppen erkämpfte Gebiete von Rebellen umgehend wieder zurückerobert wurden. Russland und die syrische Armee zielen darauf ab, einen Blockadering um Aleppo zu legen.

Im syrisch-türkischen Grenzgebiet möchte die türkische Regierung unter allen Umständen einen Korridor offen halten, um Rebellen in Syrien weiterhin militärisch unterstützen zu können und gleichzeitig ein zusammenhängendes Gebiet unter kurdischer Selbstverwaltung zu verhindern. Um syrische Flüchtlinge an der Flucht auf türkisches Gebiet zu hindern, wurden im Sommer mehrere Frauen und Kinder von türkischen Grenzschützern erschossen.

Auch Jordanien hat inzwischen die jordanisch-syrische Grenze für Flüchtlinge geschlossen, nachdem es in Jordanien zu einem schweren Autobomben-Anschlag mit mehreren toten jordanischen Grenzschützern gekommen war.

An den Kämpfen im Juni gegen den wichtigen IS-Stützpunkt Munbej nördlich von Aleppo waren unter US-Führung auch französische Elitesoldaten beteiligt.

Vom Zusammenbruch der Waffenruhe sind zahlreiche andere Städte wie Damaskus oder Deraa betroffen.

Obwohl der Bedarf an Medikamenten, Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern sehr hoch ist, kann im Sommer 2016 nur ein Bruchteil der Bedürftigen versorgt werden. Die Regierung Assad lässt Hilfskonvois in die von ihr kontrollierten Gebiete passieren, versagt aber vielfach die Zufahrt in Rebellengebiete, wo der humanitäre Bedarf für die Zivilbevölkerung ebenfalls sehr hoch ist. Die Schwäche der UN-Hilfe besteht darin, dass sie auf die Zustimmung der Regierung Assad angewiesen ist und damit rechnen muss, sogar des Landes verwiesen zu werden.

Sowohl die "Nationale Koalition" wie das "Nationale Koordinierungskomitee" erklärten im Juni 2016 in Brüssel zum Abschluss ihrer Konferenz, dass eine Lösung des Syrien-Krieges nur durch einen Rücktritt der Regierung Assad erfolgen könne, die Macht künftig einer Übergangsregierung aus Regierung und Opposition übertragen werden solle - und die EU eine stärkere Rolle beim Genfer Friedensprozess spielen möge.

Zur aktuellen Lage in Irak
Im Juni 2016 verkündete der irakische Premier Haidar al-Abadi nach schweren Kämpfen die Befreiung der Stadt Falludscha vom Terror des IS. Falludscha war nach der britisch-US-amerikanischen Invasion 2003 schon zuvor mehrfach Schauplatz schwerster Auseinandersetzungen, bei denen US-Kämpfer mutmaßliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten.

Gleichzeitig kündigte al-Abadi an, dass auch Mossul, zweitgrößte irakische Stadt und Hauptstadt des IS im Irak, bald zurückerobert werde. Genau daran zweifeln allerdings derzeit viele BeobachterInnen, die die Lage vor Ort kennen.

Ob der Rückzug der IS-Kämpfer aus Falludscha lediglich von taktischen Überlegungen bestimmt war oder weil sunnitische Stammeskämpfer nicht weiter ihr Blut vergießen wollten, wird erst noch die Zukunft zeigen. Die Einnahme von Falludscha verdankt der irakische Premier nicht seinen eigenen irakischen Soldaten, sondern vor allem iranischen Milizen unter Führung der Revolutionsgarden. Diese haben nach der Einnahme der Stadt zahlreiche Verdächtige gefoltert, die sie für IS-Schläfer hielten.

Seit Wochen wird die Hauptstadt Bagdad von schwersten Anschlägen mit Hunderten von Toten heimgesucht, sehr wahrscheinlich als Racheakte für die IS-Niederlagen in Ramadi und Falludscha.

Die Anti-IS-Koalition versucht im Sommer 2016, das bisher noch zusammenhängende IS-Gebiet, welches sich über Syrien und Irak erstreckt, in zwei getrennte Gebiete zu zerlegen, vermutlich, um diese dann leichter bekämpfen zu können.

Eine militärische Niederlage des IS in Irak wird allerdings wesentliche Probleme des Landes nicht lösen. Dazu zählen Hunderttausende von Flüchtlingen, die u.a. vor den Kämpfen in Falludscha geflohen sind, wegen der Zerstörungen nicht zurückkehren können und derzeit in riesigen Zeltstädten am Stadtrand von Bagdad in größtem Elend leben.

Auch ohne IS zeigt sich in Irak eine wachsende innere Zerrissenheit: In Anbar kämpfen u.a. Sunniten gegen Sunniten, in Bagdad Schiiten gegen Schiiten um die Macht.

Notwendig wäre eine gerechte Aufteilung der Macht zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden, ebenso eine gerechte Aufteilung der (Öl-)Ressourcen des Landes. Die guten Erdöl-Geschäfte des Kurdenführers Barzani im Nordirak (unter kurdischer Autonomie) laufen ohne Beteiligung der Zentralregierung in Bagdad ab.

Ausblick
Staffan De Mistura, UN-Sondervermittler für Syrien, hat Ende Juni 2016 sowohl Rebellen wie auch die syrischen Regierung erneut zu Gesprächen aufgerufen. Bislang (Stand Ende Juli) sind solche Gespräche aber nicht zustande gekommen.

"Ich plane im Juli wieder zu beginnen, aber nicht um jeden Preis und nicht ohne einige Garantien", sagte De Mistura im Juni 2016 - und fügte hinzu: "Es ist erforderlich, dass alle Akteure endlich die Dringlichkeit spüren, den Krieg zu beenden".

Anmerkungen
1 http://www.armedforcesjournal.com/pipeline-politics-in-syria/ Übersetzung: Clemens Ronnefeldt

2 http://www.swp-berlin.org/de/projekte/lokale-regionale-und-internationale-dynamiken-im-syrien-konflikt/newsletter.html#c11141

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Krisen und Kriege

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Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.
Felix Daiber ist Praktikant beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.