Die Arbeit von Friedensteams bei Demonstrationen

Ziviles Peacekeeping in den USA

von John Reuwer
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Aktivist*innen haben viele gewaltfreie Ansätze angewendet, um eine Menschenmenge während politischer Demonstrationen friedlich und fokussiert zu halten. Meiner Erfahrung nach ist es in den USA Routine, dass bestimmte Demo-Ordner*innen Anweisungen geben und Freiwillige der Anwaltsgilde Interaktionen mit Behörden dokumentieren. Hier werde ich mich auf Ziviles Peacekeeping (1) und seine einzigartige Fähigkeit konzentrieren, potenzielle Gewalt zu bekämpfen und zu deeskalieren.

Drei Erfahrungen mit Zivilem Peacekeeping (ZPK) vor meiner Arbeit bei Demonstrationen haben sich auch bei politischen Veranstaltungen bewahrheitet. Erstens wirken ZPK-Methoden effektiv, um Konflikte zu deeskalieren, indem sie den Beteiligten mehr Sicherheit bieten und den Menschen Raum geben, andere, die sie als Feinde bezeichnen, in einem neuen Licht zu sehen.

Zweitens sind Menschen, die Zeug*innen der Arbeit und der Methoden von ZPK-Praktizierenden sind, oft überrascht, dass unbewaffnete Menschen bereit sind, mit potenziell gewalttätigen Menschen in Interaktion zu treten, und sind meistens beeindruckt, die Ergebnisse zu sehen. Eines der angenehmsten Dinge bei der Teilnahme an ZPK ist das Feedback, das man von Zuschauer*innen erhält.

Drittens zieht die bloße Anwesenheit von Menschen bei einer Massenveranstaltung, die die Aufschrift „Friedensteam“ auf einer hellen Weste tragen, die Aufmerksamkeit von Demonstrant*innen und Beobachter*innen auf sich, selbst wenn es keine unmittelbaren Konflikte gibt. Die Leute fragen oft, was das bedeutet, oder kommentieren: „Wo hast du das gelernt?“ oder „Ich bin froh, dass du das machst; dadurch fühle ich mich sicherer“. Unsere Erklärungen führen oft zu Gesprächen, die Menschen über Alternativen zu polizeilichen Drohungen aufklären, um Konflikte zu entschärfen.

Lassen Sie mich nur zwei einfache Prinzipien der menschlichen Psychologie bei der Arbeit erwähnen. Während Menschen sowohl zu Kooperation als auch zu Gewalt fähig sind, ist Kooperation angenehmer und dafür setzen wir auch viel mehr Zeit ein. Denn Gewalt braucht viel mehr physische und psychische Energie. Menschen verhalten sich besser, wenn sie ruhig sind, als wenn sie unter großem Stress stehen. Darüber hinaus sind wir darauf konditioniert, das Verhalten der Menschen um uns herum zu reflektieren oder zu spiegeln. Wir werden wahrscheinlich feindselig sein, wenn wir Feindseligkeit begegnen, und eher freundlich, wenn wir Freundlichkeit begegnen, ein Verhalten, das in manchen Kreisen als „komplementäres Verhalten“ bekannt ist.

Politische Demonstrationen dienen dazu, auf Konflikte aufmerksam zu machen, die ignoriert werden, aber die Nicht-Machthabenden in Nöte bringen. Wenn Menschen daran teilnehmen, erwarten sie Widerstand, manchmal in Form von Gewaltandrohungen. Diese Bedrohung kann von einer Gegenprotestgruppe wie den Proud Boys in den USA oder von einer militarisierten Polizei ausgehen. Demonstrant*innen können bereit sein, diese Bedrohung herauszufordern oder sich wünschen, dass sie nicht da wäre; in jedem Fall wird sie erwartet. Wenn sie auf eine freundliche Präsenz treffen, die ihre Würde wahrt und ihre Sicherheit wertschätzt, können sie sich nur ein wenig entspannen. Sie erleben auch das sogenannte nicht-komplementäre Verhalten (2), das ein Zurücksetzen des Denkens im Moment ermöglicht. Beide Mechanismen dienen dazu, die Situation zu beruhigen und die Fähigkeit der Menschen zu erhöhen, so zu reagieren, wie sie es wünschen, anstatt so zu reagieren, wie sie es später bereuen könnten.

Jede*r, die*der lange genug unbewaffneten Schutz praktiziert hat, kann aus erster Hand von wütenden und sogar gewalttätigen Menschen berichten, die sich beruhigen, wenn diese Prinzipien menschlichen Verhaltens angewendet werden. Wir haben diese Arbeit sogar gesehen, wenn Leute Waffen geschwungen haben. Diese Erfahrung hat mir großes Vertrauen in das Potenzial von ZPK gegeben und lässt mich fragen, warum es nicht viel häufiger verwendet wird.

Der Hauptgrund ist natürlich, dass die meisten Menschen ihm nicht als realistische Alternative für die Sicherheit ausgesetzt waren. DC-Friedensteams operierten mit weniger als zwei Dutzend Personen. Am Tag der Amtseinführung des Präsidenten im Jahr 2021 befanden sich 25.000 Soldaten der Nationalgarde in Washington DC. Ich kann mir leicht vorstellen, dass Tausende von ausgebildeten und bezahlten unbewaffneten Beschützern die Würde der Amerikaner auf beiden Seiten des politischen Spektrums hochhalten, das Vertrauen stärken, die Feindseligkeit zwischen den Menschen verringern und die Notwendigkeit von Gewalt durch jedermann verringern.

Die Androhung von Gewalt durch bewaffnete Behörden kann natürlich tatsächliche Gewalt verhindern, aber wenn Gewalt unvermeidlich eingesetzt wird, schützt sie einige Menschen nicht mehr und wird leicht dazu benutzt, Ungerechtigkeit aufrechtzuerhalten. Es gibt Hinweise darauf, dass schwer bewaffnete oder aggressive Polizist*innen Gewalt bei Demonstrationen wahrscheinlicher machen. (3) Warum werden sie dann so oft eingesetzt?

Die Ereignisse nach dem gescheiterten Wiederwahlkampf von Präsident Trump mitzuerleben, gab mir einige Einblicke. Ich war viele Jahrzehnte lang bei Demonstrationen in Washington DC. Die Sicherheitsvorkehrungen rund um öffentliche Gebäude, insbesondere Regierungsstrukturen wie das Kapitol und das Weiße Haus, waren schon immer streng und wurden im Laufe der Jahre immer strenger, was die physische und moralische Distanz zwischen Menschen und Behörden vergrößerte.

Doch ein paar Wochen später, am 12. Dezember bei einer gut geplanten „Stop the Steal“-Kundgebung für Donald Trump, und noch mehr am 6. Januar, der mit der Zustimmung des Kongresses zu den Wahlergebnissen zusammenfiel, war ich schockiert, welch geringe Bedeutung der Durchsetzung von Recht angesichts von Pro-Trump-Demonstrant*innen beigemessen wurde. Hier marschierten Zehntausende von Menschen mit Schildern, die die Androhung von Gewalt andeuteten, mit weniger Polizeipersonal, als ich je um das Kapitol herum gesehen habe. Zuzusehen, wie das Haus des Kongresses am 6. Januar gestürmt wurde, und später Videos von dem Angriff auf die zahlenmäßig unterlegene Polizei zu sehen, ließ mich glauben, dass jemand in einer sehr hohen Position dies absichtlich zugelassen hatte. Es bekräftigt meine Hypothese, dass die bewaffnete Polizeipräsenz zwar angeblich die öffentliche Sicherheit schützen soll, ihre erste Aufgabe jedoch darin besteht, die Machthaber zu schützen. Die entscheidende Frage zur relativen Wirksamkeit von ZPK gegenüber bewaffneter Polizei ist, wer geschützt wird; alle oder nur Leute an der Macht?

Wenn der Schutz der Menschen und ihres Rechts auf friedlichen Protest das vorrangige Ziel ist, dann hat das Zivile Peacekeeping viel zu bieten. Um seine Nutzung zu erhöhen, müssen genügend Menschen sehen, dass es funktioniert, um die Übertragung angemessener Mittel von der bewaffneten Polizei auf Zivile Peacekeeper*innen zu unterstützen.

Anmerkungen
1 Im Englischen wird meist von „Unbewaffnetem Zivilen Schutz“ gesprochen. Im Deutschen verwenden wir dafür „Ziviles Peacekeeping“
2 Ein gutes Beispiel gibt es hier:https://aeon.co/videos/kindness-as-self-defence-the-power-of-non-complem...
3 https://fivethirtyeight.com/features/de-escalation-keeps-protesters-and-...

 

Übersetzung aus dem Englischen: Christine Schweitzer
 

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John Reuwer ist ein pensionierter Notarzt und Vorstandsmitglied von World BEYOND War. Er diente in freiwilligen Friedensteams in Palästina, Haiti, Kolumbien und mehreren US-Städten sowie als International Protection Officer bei Nonviolent Peaceforce im Südsudan. Er ist Mitglied des DC Peace Teams mit Sitz in Washington, DC.