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Antikriegs-
tag 2004


vom:
05.09.2004


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Antikriegstag 2004:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede in Tübingen auf dem Holzmarkt am 1. September 2004

Antikriegstag 2004

Jens Rüggeberg (Tübingen)

"Seit 5.45 Uhr wird zurück geschossen!" Mit dieser Propagandalüge im deutschen Radio begann heute vor 65 Jahren der Zweite Weltkrieg. Natürlich war das eine Lüge, denn:

 erstens war der Krieg von den Nazis seit langer Hand vorbereitet worden,

 zweitens hatte der Krieg schon eine Stunde vorher, also um 4.45 Uhr, mit dem deutschen überfall auf Polen begonnen, und

 drittens war der angebliche polnische Überfall auf den Sender Gleiwitz nur fingiert und vorgetäuscht; in Wirklichkeit waren das verkleidete deutsche Soldaten gewesen.

Heute vor 65 Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Er forderte 55 bis 60 Millionen Tote, er forderte sehr, sehr viele KZ-Opfer, Millionen, darunter fast 6 Millionen ermordete Juden, und am Ende des Krieges waren weite Teile Europas, vor allem im Osten Europas, in Schutt und Asche gelegt.

Im April 1945, nachdem die Häftlinge des KZ Buchenwald sich selbst befreit hatten, leisteten sie einen Schwur. Ich zitiere aus dem Schwur von Buchenwald:

"Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig."

"Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens" - das war eines der Ziele und das war die Hoffnung nicht nur der Überlebenden von Buchenwald damals. Was ist aus diesem Ziel des Friedens geworden?

Seit 1945 hat es viele hundert Kriege gegeben mit Millionen von Toten; und hier in Deutschland wurde bereits in den fünfziger Jahren mit der Wiederaufrüstung begonnen. 1956 wurden die ersten Wehrpflichtigen zur Bundeswehr einberufen. Das gab dann den Anlaß, zum 1. September 1957 zum ersten Mal den Antikriegstag zu feiern. Initiiert hatten das die Naturfreunde, die Sozialistische Jugend "Die Falken" und andere. Seither ist der erste September hier in Deutschland der Antikriegstag.

Nicht nur die Bundeswehr wurde gegründet. Seit den neunziger Jahren hat die Bundeswehr auch an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen teilgenommen. Ich erinnere an den Kosovo- Krieg, gegen den wir hier damals ebenfalls auf dem Holzmarkt demonstrierten, ich erinnere an den Afghanistan-Krieg. Zum Glück hat Deutschland wenigstens nicht offiziell am Irak- Krieg teilgenommen.

Wir lesen in der Zeitung, daß immer mehr Standorte der Bundeswehr geschlossen werden, daß die Bundeswehr immer mehr verkleinert wird. Allerdings ist diese Entwicklung alles andere als eine Entwicklung hin zur Abrüstung. Denn sie geht einher und dient dem Zweck, die Bundeswehr umzuwandeln in eine Interventionsarmee. Gleichzeitig wird der Militärhaushalt ständig erhöht. Es werden immer teuere Waffen angeschafft. Und das ganze geschieht im europäischen Rahmen: Der Entwurf einer Europa-Verfassung, der in mehreren Ländern bereits zur Abstimmung steht, möglicherweise auch demnächst in Deutschland, sieht die Verpflichtung der Migliedstaaten der EU vor, Zitat: "ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern". Das heißt nichts anderes als Aufrüstung und die Möglichkeit, von Europa aus neue Angriffskriege zu führen.

Dabei könnte man mit dem Geld, das für`s Militär ausgegeben wird und das dann dazu führt, das in anderen Weltgegenden viele Menschen in Kriegen sterben, anders ausgeben, für soziale Zwecke ausgeben, für sinnvolle Zwecke ausgeben. Ich gebe Euch ein paar Beispiele:

 Die weltweiten Rüstungsausgaben von nur drei Stunden machen den Jahreshaushalt der Weltgesundheitsorganisation aus.

 Ein anderes Beispiel: Die Rüstungsausgaben von nur 6 Monaten würden reichen, die Kosten eines 20-Jahresprogramms zur Versorgung aller Entwicklungsländer mit Grundnahrungsmitteln und einem Basisgesundheitsprogramm zu decken.

 Ein drittes Beispiel: Zwei Schuss aus einer 150 mm-Feldhaubitzekosten kosten soviel wie die finanzielle Förderung eines Studiums durch BAFöG.

 Und das letzte Beispiel, das ich gebe: Zwei Tage Manöver eines Panzergrenadierbataillons kosten soviel wie 28 Kinderspielplätze.1

Ich denke, diese Beispiele reichen aus, und sie führen zu der Forderung nach sofortiger Abrüstung und dazu, daß wir sagen: Deutsche Außenpolitik darf nicht länger Kriegspolitik sein! Im einzelnen fordern wir:

 sofortiger Rückzug deutscher Soldaten aus allen Kriegsaufmarschgebieten - ich erinnere daran, daß die Bundeswehr zur Zeit in drei Kontinenten aktiv ist; auf der Rückseite unseres Flugblattes kann man die Karte sehen;

 keine Beteiligung deutscher Soldaten an Kriegs- und Kampfeinsätzen;

 Rücknahme des Umbaus der Bundeswehr zu einer weltweiten Interventionsarmee;

 Auflösung der sog. Krisenreaktionskräfte, statt deren Erweiterung;

 Stopp der Rüstungsprogramme wie Eurofighter, Kampfhubschrauber, Truppentransporter, Kriegsschiffe, Marschflugkörper, Satellitenüberwachung, NATO-Pipelines usw.

 drastische Kürzung des Militärhaushaltes und Verwendung der frei werdenden Mittel für Sozialaufgaben, Bildung, Zukunftsinvestitionen, Zivil- und Friedensdienste sowie humanitäre Hilfe;

 umfassende Abrüstung und Verbot von Waffenexporten;

 Ächtung aller Massenvernichtungswaffen und Abzug der in Deutschland lagernden Atomwaffen;

 Anerkennung der völkerrechtlichen Prinzipien der UNO-Charta, vor allem des Gewaltverbots und der Nichteinmischung.2

Wir werden nicht nachlassen, um die Durchsetzung dieser Forderungen zu kämpfen. Es ist nötig, und es ist auch schön.

Zum Abschluß, liebe Freundinnen und Freunde, werfen wir einen Blick über den großen Teich. Ich zitiere jetzt einen Amerikaner. Ihr habt sicherlich in der Presse verfolgt, daß in Frankreich, in Paris, der 60. Jahrestag der Befreiung mit einem großen Volksfest begangen wurde. In den USA hingegen gab es eine "World War II Memorial Celebration". Dort sprach ein - sprachen viele Leute, und ich zitiere jetzt einen Veteranen, der war Bomberpilot im Zweiten Weltkrieg, auch über Deutschland, hat deswegen heute ein schlechtes Gewissen, weil er das nicht mehr richtig findet, was er damals getan hat, und der hat - interessanterweise unter dem Beifall der Anwesenden - unter anderem Folgendes gesagt: "Der Zweite Weltkrieg hat einen starken moralischen Aspekt - den Sieg über den Faschismus. Was ich allerdings aus tiefstem Herzen ablehne, ist die Art und Weise, wie dieser sogenannte ´gute Krieg` benutzt wird, um all jene unmoralischen Kriege, die wir in den letzten 50 Jahren geführt haben, erstrahlen zu lassen: Vietnam, Laos, Kambodscha, Grenada, Panama, Irak, Afghanistan. Und was ich ganz sicher nicht will, ist, das unsere Regierung die triumphierende Aufgeregtheit, die den Zweiten Weltkrieg umgibt, dazu nutzt, den Horror, der derzeit im Irak stattfindet, zu kaschieren. Militärischen Heroismus ehre ich nicht - dahinter versteckt sich zuviel Leid und Tod. Vielmehr will ich jene ehren, die die ganzen Jahre über gegen den Kriegshorror kämpften."(3)

Soweit Howard Zinn - und ich gebe an Gerlinde.

(nach einem Tonbandmitschnitt)



Anmerkungen:

1Beispiele aus einem Informationsblatt der VVN/BdA zum Antikriegstag 2004, im Internet als pdf-Datei unter http://www.vvn-bda.de/_neu/info/downz/antikriegstag_2004.pdf

2Forderungen formuliert von Werner Pfennig, aus dem selben Informationsblatt.

3Aus: Howard Zinn, Dissens bei der ´War-Memorial`-Veranstaltung zum Zweiten Weltkrieg, im Internet unter http://www.zmag.de/artikel.php?id=1174
Jens Rüggeberg ist aktiv beim Friedensplenum / Antikriegsbündnis Tübingen und VVN/BdA, Kreisvereinigung Tübingen -Mössingen
Internet: http://www.friedensplenum-tuebingen.de


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