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Antikriegs-
tag 2004


vom:
08.09.2004


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Antikriegstag 2004:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Mahnveranstaltung zum Antikriegstag auf der Gedenkstätte des KZ-Friedhofes Esterwegen am Sonntag, 29.08.2004

Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Freundinnen und Freunde,


Irmelin Schachtschneider (Esterwege)

Dieses Jahr 2004 ist ein Jahr besonderer Jahrestage:

Vor 90 Jahren begann im Juli/August der 1. Weltkrieg, der die Brutalisierung des Krieges im 20. Jahrhundert maßgeblich vorantrieb und ca. 8,5 Mio. Menschen das Leben kostete.

Vor 65 Jahren am 1. September 1939 erfolgte der verbrecherische Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen. Am Ende waren weltweit 60 Mio. Tote zu beklagen.

Vor 60 Jahre am 6. Juni 1944 begann mit der äußerst verlustreichen Invasion der Alliierten in der Normandie die Befreiung Deutschlands vom Faschismus vom Westen her.

Vor 60 Jahren scheiterte am 20. Juli der späte militärische Versuch eines Attentates auf Hitler.

Und nicht vergessen wollen wir den Mann, um dessentwillen wir uns gerade hier in Esterwegen versammeln. Vor 70 Jahren, am 15. Februar 1934, begann das Martyrium Carl von Ossietzkys im Konzentrationslager Esterwegen, das ihn schließlich das Leben kostete.

Jahrestage von Ereignissen - so fern und doch so nah, denn die Folgen der Kriege wirken immer noch nach - in den Familien fehlen Menschen bis in die 3. und 4. Generation, die Erinnerungen der Opfer und Täter quälen und dürfen dennoch nicht im Vergessen versinken. Das Erinnern ist das Mindeste, was wir Lebenden den Opfern diesen blutigen 20. Jahrhunderts schuldig sind. Zum Teil werden Schuld und Verbrechen erst jetzt von Historikern aufgedeckt. Die Medien haben dieses Jahr mit ihren Beiträgen über den 1. Weltkrieg, die Invasion der Alliierten und das Hitleratten-tat eindrucksvoll aufgeklärt und erinnert.

Aber das Erinnern liegt auch in unserem Interesse. Sehr weitsichtig sah Ossietzky im Mai 1932 den schweren Fehler der Weimarer Republik:

"Die Republik hat es nicht verstanden, den spontanen Antimilitarismus, den unsere Heere aus dem Krieg mitbrachten, im eigenen Interesse zu fundieren." In dem Maße, wie die bürgerliche Demokratie Weimars sich den Forderungen des Militärs unterordnete, wie die Vorherrschaft des Militärischen in der Politik wuchs, hörte für Ossietzky diese Demokratie auf, eine zu sein.

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Antikriegs-
tag 2004
Unsere Situation ist heute sicher eine andere. Immer wieder hat es seit 1945 große Bewegungen gegen Krieg und Bewaffnung in diesem Land gegeben. Um nur einige zu nennen: Die Bewegung gegen die Wiederbewaffnung, gegen den Vietnamkrieg, gegen atomare Aufrüstung, gegen den Golfkrieg und im letzten Jahr besonders gegen den Irakkrieg. Hier war es eine wahrhaft weltweite Bewegung, denn mit den 500.000 Menschen in Berlin demonstrierten gleichzeitig Millionen in Rom, Madrid, Paris, London und Sydney. Über diesen Krieg angeblich die Demokratie im Irak errichten zu wollen, diese Behauptung Bushs, die ökonomische und imperiale Ziele verschleiern sollte, wird nun im Irak für die ganze Welt sichtbar Lügen gestraft. Michael Moores eindrucksvoller Dokumentarfilm "Fahrenheit 9/11" zeigt das vor allem auch mit den Bildern der Opfer überzeugend.

Dennoch: Auch bei uns steht alles keineswegs bestens.

Mit den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" vom Mai 2003 hat die Bundesregierung die Aufgaben der Bundeswehr neu definiert: Weg von der reinen Landesverteidigung, hin zu einer in aller Welt einsetzbaren Interventionsarmee!

Schlagwort: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.

Im März 2004 legte der Verteidigungsminister seine aktualisierten Planungen für den Umbau der Armee vor. Die bisher nicht vorhandene Teilfähigkeit "Strategische Verlegefähigkeit" soll vorrangig hergestellt werden. Während in den Bereichen Bildung, Kultur, Gesundheit, besonders aber im sozialen Bereich gespart werden soll, wurden von der Regierung Ausrichtung und Umfang der Neuausstattung der Bundeswehr weitgehend bestätigt.

Bis 2006 ist der jährliche Bundeswehretat auf 24,3 Mrd. Euro festgelegt, für die darauffolgenden Jahre soll er jeweils um 1 Mrd. erhöht werden. Auf 110 Mrd. Euro bezifferte 2002 der Spiegel die Summe der Rüstungsvorhaben bis 2014, Kostensteigerungen, die zum Rüstungsgeschäft offenbar zwangsläufig dazugehören, noch nicht einmal mitgerechnet. Das Argument, schließlich ginge es bei der Rüstung auch um Arbeitsplätze, kann man nicht gelten lassen. Es gibt in vielen Bereichen, insbesondere in den Kommunen, nach vielen Jahren des Sparens inzwischen einen riesigen Investitionsbedarf.

Das vielfach zitierte ISW-Wirtschaftsinfo rechnet vor:

Für die 180 bestellten Eurofighter ließen sich 250 000 Sozialwohnungen bauen,

 für die 80 Kampfhubschrauber Tiger 577 Altenpflegeheime,

 statt der 134 bestellten Transporthubschrauber 715 Grundschulen,

 für die 60 bestellten Militär Aisbus bekäme man 572 Berufsschulen,

 für die 600 bestellten Luft-Boden-Raketen Taurus erhielte man 500 Kindergärten und

 für die 3 bestellten Fregatten könnte man den Bau von 236 Studentenwohnheimen bezahlen.

Auch die Staaten der EU geben nach wie vor zu viel und nicht zu wenig für die Rüstung aus. Für Waffenbeschaffung beläuft sich das jährliche Budget in den Verteidigungshaushalten aller EU-Mitglieder zusammen auf ca. 20 Mrd. Euro. Von den Weltmilitärausgaben werden in den USA mehr als zwei Fünftel, in den EU-Ländern ein Viertel ausgegeben. Alle übrigen Länder der Welt teilen sich die restlichen 35% unter sich auf.

Eingebunden ist diese europäische Rüstungspolitik in ein Sicherheitskonzept (s. Solana-Papier vom Dezember 2003), dessen Bedrohungsanalyse zu eng ist: Transnationaler Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und der Zerfall von Staatlichkeit sind nur ein Teil der heutigen globalen Bedrohungen. Ihnen gilt aber das Hauptaugenmerk der Sicherheitsstrategen, weil man meint, ihnen militärisch begegnen zu können.

Hunger und Armut, wirtschaftliche Ungleichheit und politische Ungerechtigkeit, konfliktverschärfende Gewaltökonomen, gewaltsame Vertreibungen, Epidemien, Ressourcenknappheit und vielfältige ökologische Gefährdungen bedrohen aber in weit stärkerem Maße das Wohlergehen der Menschen. Diesen globalen Bedrohungen ist kaum mit militärischen Mitteln zu Leibe zu rücken.

Die EU sollte sich statt auf militärische Mittel auf ihre Stärken wie zivile Krisenpräventation und Diplomatie konzentrieren, heißt es im Friedensgutachten 2004 der 5 führenden deutschen Friedensforschungsinstitute.

Der vor kurzem vom Kabinett in Berlin verabschiedete Aktionsplan "Zivile Krisenpräventation, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" weist in die richtige Richtung. Aber leider sind dafür weder zusätzliche Haushaltsmittel bereitgestellt, noch ist ein Bundesbeauftragter für zivile Krisenpräventation eingerichtet worden.

Wenn Deutschland, wenn die EU tatsächlich zum Frieden in der Welt beitragen und "Friedensmacht" werden wollen, dann müsste statt fortschreitendem Rüstungsaufbau die zivile Konfliktbearbeitung in ihrem Dreiklang "peacekeeping" (=Friedenssicherung und Gewaltpräventation), "peacemaking" ( = Friedensbeschaffung, Problemlösung) und "peayebuildung" (= Friedenskonsolidierung) ausgebaut werden.

Frieden ist auf Dauer nur zu gewinnen, wenn der Teufelskreis von Angst, Rache und Vergeltung abgebaut und die Spaltung der Welt in Arm und Reich überwunden werden. Abu Ghraib, Guatanamo, Darfur und unzählige andere Orte menschlicher Qualen mahnen:

Alle Menschen haben ein unveräußerliches Grundrecht auf ein Leben ohne Folter, Gewalt, Terror und Krieg, ohne Verfolgung und Vertreibung, ohne Armut und Hunger, ohne Ausbeutung und Verelendung.

Wenn wir uns dafür einsetzen, handeln wir auch im Sinne Carl von Ossietzkys!

Er soll das letzte Wort haben (geschrieben im Juli 1918 unter dem Titel "Wandlung der geistigen Atmosphäre"):

"In diesem Augenblick kommt es nur darauf an, der Erkenntnis den Weg frei zu machen, dass der Friede nicht allein abhängt von ein paar Staatsverträgen, die unter dem Zwang wirklicher oder vermeintlicher Notwendigkeiten sehr leicht zu dem berühmten "Fetzen Papier" degradiert werden können, sondern dass er von den Menschen eine besondere Gesinnung erfordert, eine durchaus aparte Geistesverfassung, eine Mentalität die nicht passiv ist, sondern aktiv, die unermüdlich Baustein an Baustein fügen muss ... eine Kette von Entscheidungen.

Ich nenne utopisch nur, was ohne Übergang einen bestehenden Zustand ablösen will. Und utopisch sind sie die Entwicklungen nicht, weil sie eine Handlung erfordern, immerwährende Handlungen. Und das ist es, was unsere Zeit braucht: die Gewissheit, sich selbst erlösen zu können...

Mit rohem Gebrüll, alle Pforten einstampfend, so brach der Krieg in das alte Erdenhaus ein. Schüchtern durch die Hintertür tritt die Menschlichkeit wieder ein".

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