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vom:
30.03.2002


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  Reden/Kundgebungsbeiträge

Ostermarsch-Samstag Düsseldorf, 30.2.2002, Redebeitrag auf dem Burgplatz (Friedensfest)

"Friedensbewegung - Quo vadis?"

Peter Bürger

-Es gilt das gesprochene Wort-



Liebe Freundinnen und Freunde,

unsere Empörung über die Heuchelei und die Verbrechen der aktuell kriegsführenden Staaten ist in der Menschengeschichte nicht so jung, wie wir vielleicht meinen.

Schon vor mehr als 1700 Jahren meinte Bischof Cyprian von Kathargo (+ 258): "Die Erde ist voller Blutvergießen. Mordet der Einzelne, nennt man es Verbrechen. Geschieht das Morden auf staatlichen Befehl, so nennt man es Tapferkeit. Nicht Unschuld sichert diesem Verbrechen Straflosigkeit, sondern das unvorstellbare Ausmaß der Grausamkeit."

Ich möchte in meinem Redebeitrag nicht die militärischen Verbrechen im Nahen Osten und die Lügen der westlichen Supermächte zum x-ten Mal aufzählen. Was uns seit Monaten serviert wird auf der Weltbühne, das bereitet vielen von uns - auch mir - eine Dauerübelkeit.

Ich möchte mitten in diesem Leiden heute mit einigen grundsätzlichen Thesen fragen, was uns als Friedensbewegung leben lässt und was uns vielleicht weiterbringt.

Uns helfen keine Institutionen, keine Parteien und auch keine Angsthysterie in der Bevölkerung

Wer heute noch die Illusion hegt, wir könnten uns auf Parteien oder mächtige Institutionen verlassen, dem ist nicht mehr zu helfen. Die Moral in unserem Parlament ist gegen Abgeordneten-Diäten nahezu restlos ausverkauft. In den Parteien ist Anstand offenkundig noch weniger zuhause. Die Gewerkschaften sind lahm geworden. Der Papst landet mit seiner klaren pazifistischen Botschaft bei den deutschen Kirchenleitungen kaum eine Schnitte. Und anders als in den 80er Jahren haben die Massen auch keine Angst mehr, wir wären hier unmittelbar betroffen.

Vielleicht könnten wir der Bevölkerung vermitteln, dass etwa die neuen Nuklearstrategien aus dem Pentagon auch unseren "Frieden" hier bedrohen. Aber mit solchen Motiven hätten wir noch keine Friedensbewegung, die diesen Namen verdient. Wir leben nicht aus Massenhysterie und kurzlebigen 68er-Meinungen, sondern aus inneren Überzeugungen und Haltungen.

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Unsere größte Stärke ist unsere Vision vom Menschen

2500 Jahre nach Buddha und 2000 Jahre nach Jesus zeigen uns Politiker wie Präsident G. W. Bush heute die primitivste Kulturstufe der Menschheit. Eine egoistische Gruppenmoral aus der Steinzeit leitet sie. Sie durchschauen nicht einmal, was jeder halbwegs intelligente Mensch heute durchschauen könnte, den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt.

Ein anderes Beispiel: Als "Macher" beseitigt unser Bundeskanzler mit viel Druckausübung und schlechten Manieren die in der Verfassung vor allem für Gewissensfragen gewünschte Unabhängigkeit der Parlamentarier. Das verdient als Note für Friedenskompetenz eine "Sechs". Im Supermarkt nebenan bedient eine Verkäuferin bis zum Abend viele hundert Kunden - darunter sehr lästige oder gar bösartige - und behält dabei geduldig ihren guten Stil. Das verdient als Friedens-Note eine "Eins". Unsere Vision von Stärke ist eben ganz anders als die der offiziellen Ideologie. Das sollten wir bei jeder Gelegenheit vermitteln. Wir haben andere Vorbilder! Vom Frieden versteht die genannte "kleine" Verkäuferin mehr als unser "große" Bundeskanzler.

Wir sollten lernen, vom gehetzten Aktionismus Abschied zu nehmen

Die Ereignisse überrollen sich im Moment. Wir jagen ihnen gehetzt nach, weil wir eben nicht die Gleichgültigen sind. "Es drängt uns!" Ständig reagieren wir auf etwas. Eine Resolution löst die andere ab, jeder Aktion folgt schon die nächste. Das halten wir nicht durch. (Viele von uns sind ohnehin schon beruflich oder privat sozial sehr engagiert.) Auf diesem Weg werden wir ungenießbare Aktivisten, eine gestresste Bewegung in ständiger Eile, ja ein Spiegelbild der gegenwärtigen Gesellschaft. Als Ertrag für eine solche Friedensarbeit werden wir nur den Kollaps und schwere Depressionen ernten.

Wir brauchen Arbeitsteilung. Wir haben Leute, die uns angesichts der Informationsflut auch der kritischen Medien Orientierungen erarbeiten. Und es ist gut, dass einige sich aus dem gehetzten Geschäft der Tagesereignisse weitgehend heraushalten.

Eine wichtige Notwendigkeit sehe ich darin, dass wir uns die Zeit nehmen, in persönlichen Begegnungen Menschen, Persönlichkeiten und nicht einfach Mitläufer zu gewinnen. Die mobilisierte Menge kommt und geht. Friedensarbeit machen nur "Einzelne". Und: Ohne Herzlichkeit und Freundschaften werden wir keine neuen Energien bekommen. Die Jugendlichen, die Alten, die Künstler, die Kreativen und auch die klugen Köpfe werden nur zu uns kommen, wenn sie sich bei uns wohl fühlen.

Wir sind nicht nur Protestbewegung, sondern wir sind Anwalt des Einzelnen und der Demokratie

Das Fernsehen zeigt uns Tag für Tag die größten Abscheulichkeiten. Aber was man uns nicht zeigt in unseren Medien, das sind die Leichen, die westliche Massenmordwaffen zu verantworten haben. Und diese Leichen werden wir auch zukünftig nicht sehen. Diese Dauerzensur nimmt dem Einzelnen etwas sehr Kostbares, nämlich die Möglichkeit, sein natürliches menschliches Mitgefühl ins Spiel zu bringen. Wir sind eine Bewegung gegen den manipulierten, gefühllosen und dumm gemachten Massenmenschen. Mit einem solchen "Image" können wir Menschen von den Rattenfängern fernhalten, etwa sensible Jugendlichen, die ihre eigene Mitte und einen aufrechten Gang suchen.

Heute sehen wir, wie die selbsternannten "Verteidiger der Freiheit" die Menschrechtsstandards der Völkergemeinschaft und die eigenen Werte einer rechtstaatlichen Demokratie Stück für Stück preisgeben. Die Ethik der Verkünder von Todesstrafen will kollektive Geltung erlangen. Die hysterische Paranoia nimmt in unserer Gesellschaft so groteske Züge an, dass das Kopftuch einer Lehrerin bereits zu einer Art Staatsbedrohung anwächst. In einem solchen Klima beanspruchen wir die Werte, die angeblich verteidigt werden: Demokratie, Menschenrechte, rechtstaatliche Justiz, Religions- und Meinungsfreiheit, Individualität versus Gleichschaltung.

Wir sind eine Bewegung für weltweite Gerechtigkeit

Die Botschaft vom Weltgipfel der Religionen in Assisi lautet: "Kein Frieden ohne Gerechtigkeit!" Diese Überzeugung der ganzen Friedensbewegung rückt heute in den Vordergrund. Wir leben in einer gespaltenen Welt mit ökonomischen Interessen im Großmaßstab. Die Drahtzieher dieser Interessen gehen rücksichtslos über Leichen. Terror und Konfliktherde werden auf diese Weise angestachelt. Die Rüstungshaushalte blähen sich ins Unvorstellbare auf, und bei der kosmetischen Entwicklungshilfe wird gleichzeitig über lächerliche Prozentzahlen diskutiert. Die weltweite Bewegung dagegen, eine Bewegung für Wasser, Nahrung und Grundversorgung für jeden Menschen, ist viel größer als die engere Friedensbewegung. Wir gehören dazu.

Wir sollten uns vor bitterem Prophetentum und Selbstmitleid hüten

Auf längere Sicht hin wird die Friedensbewegung kaum eine gesellschaftliche Mehrheit bilden. Wenn wir als Minderheit nicht lernen, mit unserer Ohnmacht gut umzugehen, dann werden wir unversehens wie die Politiker, die wir kritisieren. Bei Ohnmachtsgefühlen reagieren diese ja sofort mit den schwersten Geschützen. So verdecken sie ihre Ohnmacht und gaukeln der Menge Stärke vor.

Im Gegensatz zur grenzenlosen Selbstgerechtigkeit der neuen Kreuzritter halten wir uns - hoffentlich - nicht für tadellose Heilige. Der Wahn der "Guten" ist gefährlich; das sehen wir aktuell in Washington. Wir sind einfach Menschen, Menschen guten Willens. Als solche betrachten wir die Fähigkeit zur Selbstkritik überall als Grundvoraussetzung von Frieden. Ich finde es wichtig, dass wir das sagen. Auch wenn wir die verbrecherische "neue Moral" der westlichen Staaten beim Namen nennen, so tragen wir doch nicht den Heiligenschein einer auserwählten Elite. Wir sind Menschen, das ist sympathisch. Sehr schnell könnten wir durch unsere berechtigte Empörung zu bitteren Moralisten werden, zu laut brüllenden Rednern, unduldsamen Nachbarn oder zu hilflosen Rufern in der Wüste, die sich schließlich in Selbstmitleid ergehen. Dann werden wir auf jeden Fall unsympathisch sein.

Wir müssen die Feinde des Lebens benennen, ohne selbst platte Feindbilder zu kultivieren

Wie für jede Gruppe ist die größte Gefahr für uns, dass wir nach dem Vorbild von G.W. Bush primitivste Schwarz/Weiß- bzw. Gut/Böse-Muster in Hollywood-Manier aufstellen. Und dann leben auch wir als Gruppe aus Feindbildern, aus der Abgrenzung von den "bösen Anderen" - und nicht aus reifen Werten und menschlichen Visionen.

Unsere Empörung muss bleiben. Doch wir sollten Brücken bauen, wo es nur geht. So zeigen wir Friedenskompetenz. Schon lange solidarisieren wir uns mit der Friedensbewegung in den USA oder in Israel. Wir sollten die wunderbare "Bill Of Rights", die amerikanische Deklaration der Menschrechte, bewundern und zugleich fordern, dass dieses Manifest der Zivilisation für jeden Menschen auf dem Planeten gilt, eben in Afghanistan, Somalia, im Irak oder wo auch immer. Amerikanische Kulturschaffende haben über Jahrzehnte die schmerzlichen Erfahrungen der zahlreichen USA-Militärschläge in großartigen Anti-Kriegs-Filmen verarbeiten. Diese Werke sollten wir als Friedensbewegung bei uns überall empfehlen. Wir planen hier in Düsseldorf ein entsprechendes Filmfestival.

Ein anderes mögliches Feindbild: Gedrillte Soldaten morden massenhaft auf staatlichen Befehl hin. Doch sie sind als Kanonenfutter gleichzeitig auch Opfer von Politikern in sauberen Anzügen. Natürlich sind wir als Friedensbewegung keine Soldatenfeinde, sondern der zuverlässigste Anwalt von Menschen, deren Leben in "Kriegsabenteuern" gefährdet ist.

Die Friedensbewegung muss selbst schon ein Friedensmodell sein

Friedensbewegung ist immer politisch. Politik ist bei uns aber infiziert von Geltungssucht und Konkurrenz, von Nicht-zuhören-können und von Bestechlichkeit. Es ist sehr gut, dass in der Friedensbewegung keine Großspenden fließen und keine Großgehälter bezahlt werden. So können wir nämlich eher ein Gegenmodell entwickeln, in dem keine Polit-Aktivisten den großen Politfunktionären nacheifern und ihr Ego aufputzen. Unsere Schwäche (und auch unsere "Erfolglosigkeit") ist da unsere mögliche Stärke. Und wer schließlich nur strategische Bündnisse knüpft, ohne echten Respekt vor anderen, der hat vom Frieden noch nichts kapiert.

In Düsseldorf erlebe ich, wie Friedensbewegte aus unterschiedlichsten Gruppen und mit unterschiedlichster Herkunft Freude an einem neuen Stil bekommen: Wir propagieren nicht nur eine Vielfalt der Kulturen, sondern wir leben selbst ein Miteinander von unterschiedlichsten Menschen. Wir üben uns darin, auch von den anderen her zu denken und sie zu verstehen. Wir wollen möglichst viel mit den anderen machen. Wir verfallen nicht dem Wahn, dass jeder, der etwas anderes als wir im Auge hat, deshalb schon gegen uns ist. Und wir lernen, dass Konkurrenz - anders als man uns weismachen will - überhaupt keinen Spaß macht. Eine solche Friedensbewegung könnte glaubwürdig sein.

Wir brauchen eine neue Sprache, einen neuen Stil und ein neues Symbol

Die alte "anti-imperalistische Intellektuellensprache" will keiner mehr hören. Rap und Graffiti für den Frieden sind im Kommen. Die Politiker reden abstrakt und gefühllos und verschweigen ihre Opfer, die aus Fleisch und Blut sind. So dürfen wir nicht reden.

Unser wunderbares Symbol, die Friedenstaube, braucht im Zeitalter der Taubenfeindlichkeit dringend ein neues Ausgehkleid. Wir brauchen ein Bild, das nicht nur die Nostalgiker aus früheren Jahrzehnten anspricht. Wir brauchen eine Taube, die uns die Erdkugel zeigt und auch die ganze Menschenfamilie auf der Erde. Wir brauchen eine globale "weiße Fahne", die die alten Götzenbilder, den lästerlichen Kult der Nationalflaggen ablöst. Ja, wir brauchen ganz dringend ein neues Symbol.

Und wenn wir in der gleichgültigen Spaßgesellschaft gehört werden wollen, dann jedenfalls nicht als griesgrämige Spaßverderber. Im Gegenteil, wir müssen einen Spaß am Leben zeigen, der echt ist, einen Spaß, der mit Unabhängigkeit, mit Menschlichkeit, mit der Freilegung verschütteter Gefühle und mit ehrlichen Beziehungen zu tun hat. Wir meinen einen Spaß, den es ohne Mitgefühl und auch ohne Traurigkeit nicht geben kann. Wir meinen Feste und keine kommerziellen Spektakel-Events. Und wenn ich recht sehe, sind wir in diesem guten Spaß, mit dem die Friedensbewegung aufersteht, schon mitten drin.



Kontakt: Ökumenisches Friedensnetz Düsseldorfer Christinnen & Christen c./o. Peter Bürger, Lichtstr. 47, 40235 Düsseldorf


Peter Bürger ist Mitglied im Sprecherteam des Ökumenischen Friedensnetzes Düsseldorfer Christinnen & Christen

E-Mail:   post@oekumenisches-friedensnetz.de
Internet: http://www.oekumenisches-friedensnetz.de
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