Vor 20 Jahren begann der zweite Irakkrieg

Am Anfang stand die Lüge

von Reiner Braun
Hintergrund
Hintergrund

In der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 zog eine selbsternannte Koalition der Willigen unter der Führung der USA und Großbritanniens gegen Saddam Hussein in den zweiten Irak-Krieg. Nach einer zweijährigen Debatte begann ohne Beachtung des Völkerrechts der Kreuzzug gegen den Diktator in Bagdad und erfundene Massenvernichtungswaffen im Irak.

Bis heute kommt es im Irak zu Terror, Gewalt und gezieltenTötungen durch Drohnen. Der schnelle Krieg gegen den Diktator wurde mehr und mehr zu einem Desaster. Und er wurde zu einem Krieg der Bilder. Sogenannte Embedded Journalists wurden an ausgewählte Orte gebracht , um von dort aus der Sicht der Kriegspartei zu berichteten. Die Kriegsbilder sahen oft aus wie Bilder aus einem Computerspiel.

Ein Krieg – drei Bilder
Das stärkste Bild, das der Irak-Krieg ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingeprägt hat, kam vom Firdos-Platz in Bagdad: Ein Panzer der amerikanischen Marineinfanterie zog am 9. April 2003 die Statue des irakischen Diktators Saddam Hussein vom Sockel. Wenig später schleiften jubelnde Demonstranten den abgetrennten Kopf des Denkmals durch die Straßen und schlugen mit Schuhen auf ihn ein.

Saddam Hussein selbst wurde von Soldaten der Operation Morgenröte am 13. Dezember 2003 nördlich der Stadt Dur in der Ortschaft Adwar in einem Erdloch im Keller entdeckt, versteckt unter Geröll in einem Teppich. Drei Jahre später wurde er durch den Strang hingerichtet.

Zuvor hatte sich bereits ein anderes Bild ins kollektive Bewusstsein der Menschheit eingebrannt: der Auftritt von Colin Powell am 5. Februar 2003 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Der US-Außenminister versuchte die Weltöffentlichkeit mit konstruierten Lügen auf einen Krieg gegen den Irak einzuschwören. Er behauptete, Saddam Hussein sei im Besitz biologischer und chemischer Waffen. Die Lügen und Täuschungen der Öffentlichkeit der US-amerikanischen Regierung, aber auch des britischen Premierministers, waren hemmungslos.

Natürlich war Saddam Hussein ein Diktator, der Menschen gequält, getötet hat, aber die Begründungen für den Krieg waren falsch und erlogen. Auf der Grundlage der UN-Resolution 1441 vom November 2002 hatten Waffeninspekteure der UNO das Land durchsucht, ohne ABC-Waffen zu finden. Das Land verfügte weder über Massenvernichtungswaffen noch wurden Programme zu ihrer Herstellung gefunden.

Zwei Jahre später bezeichnete Powell seine Präsentation vor dem UN-Sicherheitsrat als „Schandfleck“ seiner Karriere.

Das dritte Bild, das zu einem Schrecken für die Welt wurde, waren die schwarzen Fahnen und Banner des Islamischen Staates (IS), einer terroristisch-dschihadistischen Miliz, die mit dem Irak-Krieg einen starken Zulauf fand. Nach zahlreichen Terrorakten kam es zur Eroberung eines größeren Gebietes im Nordwesten des Iraks und im Osten Syriens und zum Schreckensregime des Kalifats.

Der IS war zu der Zeit die einflussreichste Organisation des islamistischen Terrorismus, eine brutale Mördertruppe. Im Dezember 2017 war nach massiven militärischen Gegenmaßnahmen der große IS-Spuk im Irak vorbei, im März 2019 auch der in Syrien. Bis heute ist die militante Miliz mit Terroranschlägen aktiv.

Der erste Irakkrieg
Zur Vorgeschichte: Von 1979 bis 1990 erhielt Saddam Hussein zahlreiche Rüstungsgüter vor allem von amerikanischen und deutschen Firmen. Er galt als Verbündeter des Westens, obwohl sich schon das herrschende Baath-Regime schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hatte.

Im August 1990 überfiel der Irak den Nachbarstaat Kuwait, um neben Saudi-Arabien zum stärksten Ölland der Region aufzusteigen. Autorisiert durch ein UN-Mandat kam es zum ersten Irak-Krieg. Die Alliierten drängten die irakische Armee schnell aus dem am Ende brennenden Kuwait zurück.

Die amerikanischen Truppen drangen bis Basra vor, stoppten dann, so dass Saddam Hussein im Amt bleiben konnte. Laut WHO verursachten die gegen den Irak verhängten Wirtschaftssanktionen eine schwerwiegende Mangelernährung, so dass es zum Tod von Millionen Irakern kam. Über den Irak verhängten die USA und Großbritannien eine Flugverbotszone ohne UN-Zustimmung. Unter Aufsicht der UN wurden bis 1998 rund 90 Prozent aller irakischen Massenvernichtungswaffen sowie 980 von 1.000 Raketen mit einer Reichweite von mehr als 150 Kilometer zerstört.

Doch die konservative „Denkfabrik“ Project for the New American Century wollte mehr. Sie forderte den Sturz Saddam Husseins. Die Neuordnung der ganzen Region nach amerikanischen Vorgaben sollte zum Ziel der Sicherheitspolitik gemacht werden.

Nach dem Terrorakt vom 11. September 2001 wollte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gleichzeitig Afghanistan und den Irak angreifen, obwohl Bushs Sicherheitsberater Richard Clarke die behauptete Beteiligung des Iraks am Attentat mehrmals intensiv geprüft und ausgeschlossen hatte.

Der zweite Irakkrieg
Am 8. Dezember 2002 übergab der Irak dem UN-Sicherheitsrat einen detaillierten Rüstungsbericht, den die UN-Inspektoren als weitgehend richtig bestätigten. Die USA und Großbritannien schmiedeten trotzdem die Koalition der Willigen für den Angriffskrieg auf Bagdad, während im UN-Sicherheitsrat Russland, Frankreich, China und Deutschland die Fortsetzung der Inspektionen und eine genaue Klärung des UN-Mandats befürworteten. London und Washington erhielten im Sicherheitsrat kein explizites Mandat für einen militärischen Angriff. Der Irak-Krieg war ein Bruch der UN-Charta.

In der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 begann der Luft- und Bodenkrieg. Offiziell war der Krieg am 1. Mai 2003 vorbei, noch im gleichen Jahr wurde eine neue irakische Regierung eingesetzt. Amerikanische Soldaten blieben bis Dezember 2011 im Land. Die US-Statthalter hatten massenhaft die Mitglieder der Baath-Partei von Saddam Hussein aus staatlichen Ämtern und den Sicherheitsorganen entfernt. Dadurch entstand ein gefährliches Vakuum, das auch die rund 170.000 amerikanischen Soldaten im Irak nicht füllen konnten. Das Land fiel ins Chaos, Extremisten bekamen viel Zulauf, Unmengen amerikanischer Waffen fielen in ihre Hände.

Schon frühzeitig hatten Expert*innen davor gewarnt, dass sich der Widerstand verschärfen könnte. Gegen die Besatzung der Alliierten kämpften nicht nur die früheren Baathisten. Alltägliche Gewalt nahm zu, Hungersnöte und Seuchen breiteten sich aus. 28 Prozent der Kinder waren im Jahr 2004 unterernährt, 15 Prozent der irakischen Bevölkerung litt unter Hunger, 70 Prozent der dortigen Menschen hatten keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser. Über 650.000 Tote wurden 2006 in dem geschundenen und zerstörten Land geschätzt.

Der Krieg stürzte das ganze Land in ein Chaos von Anschlägen und IS-Terror. Dabei war sich die US-Regierung vor dem Krieg sicher, dass die militärische Intervention die Vorherrschaft der USA in der ölreichsten Region der Welt für lange Zeit festigen könne. Das Gegenteil trat ein.

In dem Hochmut der amerikanischen Falken sollte der Irakkrieg sogar nur ein erster Schritt sein, dem die Vertreibung des Mullah-Regimes im Iran folgen sollte.

Doch der Irak-Krieg wurde für Rumsfeld und Co. zum Alptraum. Der Terrorismus und auch der Einfluss des Irans in der Region wurde gestärkt.

Im Jahr 2004 wurden erschütternde Fotos von Misshandlungen irakischer Gefangener durch das amerikanische Wachpersonal in den Kerkern von Abu-Ghraib bekannt.

Die Rolle Deutschlands
Mehrere Staaten Europas haben sich nicht an der Koalition der Willigen beteiligt. Deshalb wurden diese, von Donald Rumsfeld als „altes Europa“ abqualifiziert, das im Gegensatz zum „neuen Europa“ stünde, von dem sich Länder wie Großbritannien, Italien oder Polen aktiv am Irak-Krieg beteiligten. Die deutsche Bundesregierung löste mit ihrer öffentlichen Kritik an der amerikanischen Politik international eine Debatte aus. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte im Bundestagswahlkampf 2002 einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg eine Absage erteilt – im Gegensatz zu der Vorsitzenden der CDU, Angela Merkel, und dem Vorsitzenden der CSU, Edmund Stoiber.

Merkel warf in der Debatte Schröder vor, mit seinem „Irrweg“ nur „außenpolitischen Schaden“ angerichtet und den Krieg „wahrscheinlicher“ gemacht zu haben. Die spätere Bundeskanzlerin behauptete, Schröder sei ein „überambitionierter Amateur“, der mit seinem „Sonderweg“ Deutschland in EU, Nato und UNO „isoliert“ habe.

Wie sich jedoch zeigte, ging es im Irak weder um die Menschenrechte noch um einen neuen demokratischen Irak, sondern um eine Machtpolitik für die militärische Neuordnung der Region im Kampf um Gas und Erdöl. Die Folgen waren katastrophal.

Deutschland war zwar nicht direkt am Krieg beteiligt, aber auf deutschem Boden organisierten die USA einen Teil ihrer militärischen Logistik. Die alliierten Truppen erhielten Überflugrechte und deutsche Soldat*innen flogen in AWACS-Aufklärungsmaschinen mit.

Erneut brauchen wir eine starke Friedensbewegung
Am 15. Februar 2003 fanden weltweit Massendemonstrationen gegen den drohenden Krieg statt. In Rom, London und Barcelona gingen jeweils mehr als eine Million Menschen für den Frieden auf die Straße. Historisch waren es die bisher größten Demonstrationen der Friedensbewegung. In Berlin protestierten rund 500.000 Demonstrant*innen, aufgerufen von einer breiten Koalition aus Friedensgruppen, Gewerkschaften und Kirchen.

Heute brauchen wir wieder eine starke Friedensbewegung, denn nicht die Sprache des Militärs und der Kalten Krieger, sondern nur die der Diplomatie kann für Frieden sorgen.

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Reiner Braun war Geschäftsführer der IALANA Deutschland und ist ehem. Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).