Pax atomica

Atombewaffnung der Bundeswehr

von Detlef Bald
Schwerpunkt
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Die pax atomica beflügelte Machtphantasien, über unbegrenzte militärische Destruktionskapazitäten zu verfügen und mit Atomwaffen Kriege siegreich zu führen. Daher wurde die Atompolitik mit extremer Geheimhaltung der Verharmlosung und Täuschung betrieben. Atombomben wandelten sich zu „modernen Waffen“ für die „weiterentwickelte Artillerie“, überhaupt war Atomenergie „friedlich“. Medien halfen, die Realität der Atomwaffen zu vertuschen und zu verharmlosen, um den Protesten der Friedensbewegung Kraft zu nehmen. Den Spagat über die Gegensätze hinweg lieferte die Evangelische Kirche, als sie 1959 in den „Heidelberger Thesen“ die Atombewaffnung der Bundeswehr legitimierte – eine „noch“ christliche Handlungsweise. (1)

Die Anfänge der nuklearen Kriegführung lassen sich mit der Geheim-Planung zur Aufrüstung vom Oktober 1950 datieren. Ausgewählte Generäle verfassten im Kloster Himmerod für den Kanzler das Verteidigungs-Szenario eines Krieges vom Kap bis zum Kaukasus: mit diesen „modernen“ Waffen. Tatsächlich wurde ab 1957 die Bundeswehr mit Bombern, Raketen und Haubitzen, den Trägersystemen für Atombomben, ausgestattet. Die Bomben verwaltete sie gemeinsam mit den Amerikanern. Das damals eingeführte Verfahren der Teilhabe besagte, dass die Amerikaner das Recht behielten, über die Freigabe der atomaren Sprengkörper zu verfügen, während die Bundeswehr die Trägersysteme (Bomber usw.) zur Verfügung stellte; es war also geregelt, dass der Einsatz der Atomwaffen die Zustimmung beider Seiten vorsah. (2)

Die massive Ablehnung der Nuklearrüstung alarmierte Kanzler Adenauer; sogar den Vorstand der CDU schaltete er ein, „welche Propaganda wir treiben müssen“. Der Kanzler war entsetzt, dass das Wort „lieber rot als tot“ Anhänger fand. „Sie sagen, wir wollen lieber Jahre der Unfreiheit über uns ergehen lassen, als dass wir und unsere Kinder und Kindeskinder ausgerottet werden.“ (3) Die Propaganda lautete: die Atombewaffnung stünde „überhaupt nicht zur Debatte“. Im Herbst 1960 glaubten nur 14 Prozent der Bevölkerung, die Bundeswehr besitze Atomwaffen.

Die Zahl der Atombomben der Bundeswehr war nicht unerheblich. Im Jahr 1965 verfügte das Heer über 965 Atomsprengköpfe für Raketen und Haubitzen, die Luftwaffe hatte 1.250 für Luftabwehr und Jagdbomber. Jede Verteidigung sah den integrierten Einsatz nuklearer und konventioneller Waffen vor. Auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung im Jahr 1981 gab es die meisten Atomwaffen: Das Heer besaß 1.670 und die Luftwaffe 1.921, insgesamt verfügte also die Bundeswehr über eine Höchstzahl von 3.591 Atombomben. (4) Sogar 1992 besaß das Heer noch 990 Sprengsätze, die Luftwaffe sogar 1.592. Kanzler Kohl konnte nicht verhindern, dass bis 1994  die Denuklearisierung der Bundeswehr bis auf die „substrategischen“ Atomwaffen durchgesetzt wurde.

Den Einsatz der Atomwaffen illustriert 1981 ein Papier von General Karst für Minister Wörner: zur Entwicklung der, wie es hieß: „Kriegsbundeswehr“. (5) Das Dilemma der nuklearen Strategie, das zu vernichten, was es zu verteidigen gelte, wurde mit der Glaubwürdigkeit der mentalen Stärke der Soldaten gelöst: „Bei selektivem Einsatz von Atomsprengkörpern“ könne man „nur mit entschlossenem Willen zum Sieg am Ort ihres Gefechts kämpfen“. Allein „soldatische Erziehung“ biete die Voraussetzung für den Sieg im Atomkrieg.

Ein anderer Einblick. Die Generalität demonstrierte ihre neue Eigenständigkeit. General Schindler forderte im Juni 1965, man solle die Nuklearstrategie modifizieren und einen konventionell-nuklearen Kriegseinsatz planen. Er forderte „Pläne und Verfahren für den frühzeitigen selektiven Einsatz von nuklearen Gefechtsfeldwaffen und für den quasi-automatischen Einsatz von nuklearen Abwehr- und Sperrwaffen“. Die Einsatzschwelle solle niedrig bleiben, damit „jede noch so kleine konventionelle Feindaktion“ atomar beantwortet würde. (6)

Wieder tauchte 1965 die deutsche militaristische Tradition auf. Das Militär, deutsche und amerikanische Generäle, stimmten intern Pläne ab, eine Minen-Sperrzone mit ADM (Atomic Demolition Meanes) entlang der deutschen Grenze zu dislozieren. Dafür setzte man Mini-Nukes bis zu einer Größe der mehrfachen Kraft der Hiroshima-Bombe ein, insgesamt über 700 Sprengkörper. Das war ein echtes Hasardstück, denn die Regie des Militärs war, diese Atombomben ohne Abstimmung mit den Politiker*innen, Minister*innen oder Kanzler*in in Bonn zu zünden. Es zählt zu dem historischen Verdienst von Helmut Schmidt, dieses Geheimwerk entdeckt zu haben, schließlich abzubauen und außer Kraft zu setzen. (7)

Die Strategie, Atomeinsätze praktisch zu planen, ist das Signum der Bundeswehr über Jahrzehnte. Es waren Konzepte mit Amerikanern, die ADM sogar geheim außerhalb der NATO. Die nationale Staatsräson, die im Kalten Krieg mit einem quasi-religiös dirigierten Bewusstsein geladen war, dominierte die Doktrin des Nukleareinsatzes wie im totalen Krieg. Es gab auch andere Stimmen, mit Sinn für Realität und Moral, so General Wolf Graf von Baudissin im Jahr 1962 zu den Atomwaffen: „Es kommt der Augenblick, wo jede Kriegführung aufhört; von da an herrscht Kirchhofsruhe.“

Die Entscheidung zum Einsatz der ersten Atombombe fiel 1945 auf der Konferenz in Potsdam unter dem Codewort „Endstation“ – doch es eröffnete die globale Atomrüstung.

Anmerkungen
1 Hier Detlef Bald (Hg.): Europäische Friedenspolitik. Ethische Aufgaben, Baden-Baden 1990, S. 103 ff.
2 Vgl. Detlef Bald: Die Atombewaffnung der Bundeswehr. Militär, Politik und öffentliche Meinung in der Ära Adenauer, Bremen 1994
3 Adenauer: „Wir haben wirklich etwas geschaffen“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1953-1957, bearbeitet von Günter Buchstab, Düsseldorf 1990 (11. Mai 1957)
4 Detlef Bald: Hiroshima. 6. August 1945. Die nukleare Bedrohung, München 1999, S. 236
5 Vgl. Detlef Bald: Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955-2005, München 2005
6 Axel Gablik: „Strategie kann nicht zeitlos sein“. Offiziere, Politiker und strategische Planungen in Deutschland 1955-1966, Baden-Baden, S. 404 f
7 Vgl. Detlef Bald: Politik der Verantwortung. Das Beispiel Helmut Schmidt. Der Primat des Politischen über das Militärische 1965-1975, Berlin 2008

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Dr. Detlef Bald ist Historiker und Friedensforscher, Experte für deutsche Militärgeschichte und Sicherheitspolitik.