Wie gute Geschäfte Indien und Pakistan zu Atomwaffenmächten machten

Atomwaffenprogramme waren "made in Germany"

von Thomas Klein
Krisen und Kriege
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Die wachsenden Spannungen zwischen Indien und Pakistan sind begleitet von Appellen westlicher Politiker, den Konflikt nicht in einen offenen Krieg eskalieren zu lassen. Als Mitte Februar 1992 kaschmirische Kämpfer von Pakistan aus die Grenze nach Indien zu durchbrechen drohten, tauchte schon vor zehn Jahren für einen Augenblick das Gespenst eines möglichen Atomkrieges auf. Damals bestritten noch beide Mächte über Atomwaffen zu verfügen. Dass deutsche Firmen bei den jeweiligen Atomwaffenprogrammen ein herausragende Rolle spielten lässt sich anhand einiger Beispiele schnell verdeutlichen.

Bereits im Jahr 1972 schloss Pakistan ein Abkommen mit der Bundesrepublik über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit ab. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe (KFK) bildete danach nicht nur pakistanische Atomforscher aus, es lieferte außerdem Teile eines Massenspektrometers an das "Pakistan Institute for Science and Technology". Der Atomwissenschaftler Abdul Qadeer Khan - er wird als "Vater der pakistanischen Atombombe" bezeichnet - war von 1972 bis 1975 Mitarbeiter in der Uransanreicherungsanlage Almelo, einer deutsch-britisch-niederländischen Gemeinschaftsanlage und konnte sich seinerzeit Listen der Lieferfirmen beschaffen, die bei der Realisierung einer pakistanischen Atombombe notwendige Komponenten beisteuerten.

In den zurückliegenden Jahrzehnten profitierten deutsche Unternehmen in besonderer Weise von den Bemühungen Pakistans Atommacht zu werden: Die Vakuumpumpen für eine eigene Anlage zur Urananreicherung besorgte sich das Land u.a. von der Firma Leybold Heräus. Die außerdem benötigte Uranghexafluoridanlage erhielt das Land durch deutsche Ingenieure der Firma CES-Kalthoff. Für die illegale Lieferung der 16 Mio. DM teuren Anlage verurteilte später ein Gericht einen der verantwortlichen Ingenieure zu einer Geldstrafe von DM 30.000.- und 8 Monate Haft auf Bewährung.

Weiterhin lieferte Mitte der achtziger Jahre Arbed Saarstahl Spezialstahl für die Urananreicherungsanlage. Und der Hanauer Betrieb NUKEM versorgte Pakistan mit Uranhexafluorid.
 

Zur selben Zeit erhielt das Land von der "Neuen Technologie GmbH" (NTG), unter Einschaltung der PTB (Physikalisch-Technische Beratung), eine Tritium Sammel- und Reinigungsanlage zur Gewinnung militärisch nutzbaren Tritiums, das zur Sprengkraftverstärkung von Atomwaffen geeignet ist. Das know-how für die Tritium-Anlage hatte sich zuvor ein NTG-Mitarbeiter im Max-Planck-Institut in Garching besorgt und für ein Honorar von 1,5 Mio. DM weiterverkauft.

Siemens-Manager inspizierten im Jahr 1986 den Natururanreaktor bei Karachi, und bei der Schulung pakistanische Atomingenieure spielte der deutsche Multi ebenfalls eine entscheidende Rolle.

Auch in den Jahren danach erhielt Pakistan reichlich Unterstützung aus Deutschland. In einem 1998 geführten Prozess gegen einen Leonberger Unternehmer wurde bekannt, dass dieser offenkundig einen wesentlichen Beitrag zur Herstellung und Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, dem Bau der pakistanischen Atombombe und von Trägertechnologie geleistet hat. Zwischen 1988 und 1993 sind danach im großen Stil immer wieder atomwaffentaugliche Rüstungsgüter exportiert worden.

Auf dem Weg hin zum Bau eigener Atomwaffen war die Unterstützung für Indien kaum weniger relevant. 1974, zwei Jahre nach dem deutsch-pakistanischen Abkommen, schloss die Bundesrepublik auch mit Indien ein Rahmenabkommen zur technisch-wissenschaftlichen Kooperation, in dem nicht nur das Kernforschungszentrum Karlsruhe als Lieferant von know-how in Erscheinung trat, sondern auch die Zusammenarbeit der Forschungsanlage Jülich mit dem indischen Atomministerium beschlossen wurde.

Im selben Jahr war Indien, nicht zuletzt durch den Export einer sog. Schwerwasseranlage für ein Natururanreaktor in der Lage einen Atomtest durchzuführen. Für den Betrieb des kanadischen Natururanreaktors hatte die Firma Hempel über 20 Tonnen sog. Schweres Wasser aus Norwegen - die offiziellen Angaben lauteten damals "für deutsche Forschungszwecke" - über China und Dubai an Indien geliefert.

Und die bereits mit Pakistan ins Geschäft gekommene Firma NTG versorgte das indische "Department of Energy" mit Informationen aus der Atomwaffenforschung und -technik.

Ebenfalls Mitte der achtziger Jahre trat die Firma Degussa auf den Plan. Sie lieferte 95 kg Beryllium, das als Neutronenreflektor beim Bau von Atomwaffen eingesetzt werden kann.

Auch bei der Trägertechnologie wurde von deutscher Seite beiden Staaten unter die Arme gegriffen. Rund 30 Jahre alt ist ein deutsch-indisches Abkommen über die Zusammenarbeit in der Weltraumforschung. Die indische Weltraumbehörde ISRO nutzte bei der Entwicklung von Raketen mit großer Reichweite - z.B. der mittlerweile nach Schätzungen von Militärexperten in beachtlicher Stückzahl vorhandenen Mittelsreckenrakete vom Typ AGNI - nicht zuletzt deutsches know-how: So versorgte die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt Indien mit den nötigen Hitzeschutzschilden und den Navigationssystemen, die für die AGNI-Raketen unentbehrlich sind.

Fazit: Bei der Realisierung des indischen und pakistanischen Atomwaffenprogramms waren zwar auch andere westeuropäische Rüstungsfirmen und die Sowjetunion - zu Zeiten des Kalten Krieges zugunsten Indiens - beteiligt. Aber erst die deutschen Atomgeschäfte mit den sich als regionale Großmächte verstehenden Nachbarländern trugen entscheidend dazu bei, dass sich die beiden Staaten nun mit Atomwaffen bedrohen.

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