Atomwaffenstaat auf Abruf?

von Hans-Peter Hubter

Zum 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, der den II. Weltkrieg auslöste, brachten die Grünen im Bundestag einen Gesetzentwurf zur Veranke­rung des Atomwaffenverzicht im Grundgesetz ein.

Noch wenige Jahre davor gab es im In- und Ausland Illusionen über die Ernsthaftigkeit deutscher kriegerischer Absichten. Daß die Bundes­republik bis heute offiziell nicht eigenständig über Atomwaffen verfügen darf, ist eine Konsequenz aus dem letzten Krieg. Nichts­destoweniger haben es die BRD-Regierungen verstanden, trotz des Beitritts zum sog. Atomwaffen­sperrvertrag (NPT) und auch trotz des "Nuklearvorbehaltes" anläßlich des NATO-Beitritts 1954 ein umfang­reiches, militärisch nutzbares Atom­programm zu installieren. Durch ihre Exportpolitik im Atomtechnologie-Be­reich und durch diplomati­sche Vor­stöße in Richtung einer gemeinsamen Westeuropäischen Atom­streitmacht wurden und werden auch die politi­schen Voraussetzung für eine militäri­sche "Atommacht BRD" geschaffen.

Die Bundesregierung verweist, wenn ihre militärische Atomoptio­nen nachgesagt werden, gerne auf die genannten Nuklearvorbehalte. Doch beide erwei­sen sich bei genauem Hinsehen nicht als wirkliche Hindernisse auf dem Weg zur "Atommacht BRD". So verbietet der Ver­zicht von 1954 nicht den Er­werb oder Besitz von Atomwaffen oder deren Herstellung im Auftrag der BRD auf dem Territorium eines an­deren Staates. Der NPT ermöglicht ohne Vertragsverletzung die Ent­wicklung weitreichender Trägersy­steme, die Atomwaffenforschung und die Entwicklung einzelner Kompo­nenten für Atomwaffen. Auf Betrei­ben der Großen Koalition und hier vor al­len des Außenministers Willy Brandt wurde in den Vertrag der Vorbehalt aufgenommen, daß sich die BRD an einer Atomstreitmacht im Rahmen ei­ner Europäischen Union mit gemeinsamer Außen- und Sicherheits­politik beteiligen darf. Außerdem tritt er im Kriegsfall außer Kraft, was be­deutet, daß die BRD im Handumdre­hen nukleare Komponenten zu Atom­sprengköpfen zusammenbasteln und so mit eigenen Atomwaffen drohen könnte. Sollte der Atomwaffensperr­vertrag 1995 nicht verlängert werden, könnte sich die BRD auf Grundlage der NATO/WEU-Erklärung von 1954 eigene Atomwaffen erwerben.

Die Bundesrepublik ist ein Atomwaf­fenstaat auf Abruf. Bereits in den sieb­ziger Jahren wurde, als "Atomwaffen­schutzforschung" ge­tarnt, im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums am Fraunho­fer-Institut die Waffen­tauglichkeit von WAA-Plutonium so­wie ver­schiedene Atomwaffenkomponenten untersucht. Die Bundesrepu­blik ist den Weg eines "zivilen Atom­programms" gegangen. Über diesen Weg, den zu fördern ein ausdrückli­ches Ziel des NPT ist, verschaffte sich die BRD eine Vielzahl von Möglich­keiten, in den Besitz mili­tärisch ver­wendbarer Atomtechnologie zu kom­men: In den bundesdeut­schen Kern­forschungszentren und der Atomwirtschaft ist das Know-how vorhanden, und im Bunker der Hanauer Atomfa­brik Alkem lagert das nötige Pluto­nium.

Atomexporte
Die Reihe skandalöser Exporte von Atomtechnologie ist lang: Im Rahmen der Affäre um die Firma Transnuklear Anfang 1988 wollte Mi­nisterpräsident Wallmann nicht ausschließen, daß Plutonium nach Pakistan geliefert worden war; dann wurde bekannt, daß BRD-Firmen in Argentinien Rake­ten und im Irak und Ägypten Raketenfa­briken bauen; und erst kürz­lich wur­den die dubiosen Genehmigungsprak­tiken des Bundesamtes für Wirtschaft bei Atomtechnologie bekannt. Die Bundesrepublik ist schon heute welt­weit gefragt, wenn es um die Lieferung von  atoma­rer Spitzentechnologie für militärische Zwecke geht. Die Bundesre­publik trägt durch diese Atomexporte zur Vermehrung von Atomwaf­fenstaaten bei und untergräbt damit nicht nur Geist und Buchstaben NPT, sondern senkt gleichzeitig die politische Akzeptanzschwelle dafür, daß auch der Bundesrepublik mit Auslaufen des NPT 1995 der Status ei­nes Atomwaffen-Staates zugestanden wird.

Erste Schritte sind getan
Zur außenpolitischer Akzeptanz des Status einer eigenständigen Atom­macht geht die BRD den Weg, den schon der NPT vorzeichnet: Mit ihren Initiativen zur Forcierung der Euro­päischen Integration im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) ver­sucht sie sich an der Schaffung der Europäischen Union, inner­halb derer auch die BRD Mitverfü­gungsgewalt über Atomwaffen hat. Be­sonders augenfällig sind in diesem Zu­sammenhang die Bemühungen um das Bündnis mit Frankreich. So wird mit dem Gesetz zu den Protokollen vom 22.1.1988 des Elysee-Vertrages im Rahmen des geschaffenen deutsch-französische Verteidigungsrates die bilaterale Zusammenarbeit erstmals vertraglich auf den Bereich der nu­klearen Aufrüstung aus­gedehnt. Alle politisch-diplomatischen Bestrebungen der BRD laufen also darauf hinaus, selbst atomar abschrecken zu können, statt einen eigenen Beitrag zu einem Abrüstungsprozeß zu leisten, wie er von Gorbatschow initiiert wurde.

Auf der Pressekonferenz zur Einbrin­gung des Grünen Gesetzentwurfes mahnte der Zukunftsforscher Robert Jungk: "Es ist keine Phantasterei, daß in der BRD die Option auf Atomwaf­fen offengehalten wird", und Atomwis­senschaftler Klaus Traube unterstrich:" Es ist eine abrufbare Infrastruktur für die Herstellung von Kernwaffen vor­handen." 50 Jahre nach Beginns des II. Weltkrieges geht es darum, diesen be­denklichen Entwicklungen einen grundgesetz­lich verankerten Selbstver­zicht der Bundesrepublik entgegenzu­setzen, statt sich Il­lusionen über die bundesdeutschen militärischen Atom­optionen hin­zugeben. Wir meinen: In einer Zeit, in der die Sowjetunion mit zahlreichen Vorschlägen ihren Abrü­stungswillen dokumentiert, wäre ein "Atom­waffenverzicht im Grundgesetz" ein positives Signal für Frieden und Abrüstung.

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Hans-Peter Hubert ist wissenschaftli¬cher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Grünen.