Aus US-amerikanischer Sicht

von Joanne Sheehan
Schwerpunkt
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Seit dem 11. September ist es in den USA schwer, KriegsgegnerIn zu sein. In den USA glauben viele - oder würden es jedenfalls gerne glauben - dass der sog. "Anti-Terror-Krieg" von jedermann unterstützt wird. Bald nach dem 11. September hieß es in Meinungsumfragen, dass knapp 90% der Bevölkerung Bush unterstützen (im Vergleich zu einem um mehr als 10% niedrigeren Ergebnis in den vorhergehenden Monaten); jedoch sind wir, die wir seine Politik ablehnen, nicht der Meinung, dass wir so wenige sind.

In vielfacher Hinsicht war die Unterstützung für Kriegseinsätze schwach, und die Zahl derer, die die US-Politik in Frage stellen, nimmt ständig zu. Spekulationen über eine Invasion im Irak sowie von einer "Achse des Bösen" beunruhigen die Bevölkerung und führen zu einer zunehmenden Bereitschaft, Kritik an der Regierung zu üben. Die Nahost-Politik von Bush, oder vielmehr das Fehlen eines solchen Konzeptes, trägt ebenfalls dazu bei. Aber wir sind immer noch eine kleine Gruppe mit einer großen Aufgabe.

Ein Beleg dafür, dass es nicht allgemeiner Konsens ist, den Kurs von Bush zu unterstützen, war eine Demonstration mit 80.000 TeilnehmerInnen am 20. April in Washington, D.C. Das ursprüngliche Ziel lag in der Forderung, den Krieg zu beenden. Aber viele Gruppen und Bündnisse kamen zu einem langen Protestwochenende zusammen, die die Zahl der TeilnehmerInnen vermehrten: Demonstrationen gegen die "School of Americas", den immer weiter eskalierenden Konflikt in Kolumbien, gegen den IWF und die Weltbank (deren Treffen an jenem Wochenende stattfand) und zwei Pro-Palästinensische Demonstrationen. Gerade die Krise in Israel/Palästina hat die meisten Leute zum Protest bewegt. Es war wichtig für die Menschen, an der größten Protestveranstaltung in den USA seit dem 11. September teilzunehmen. Es war wichtig, deutlich zu zeigen, dass es Widerstand gibt und uns selbst zu motivieren und zu bestärken für die einsamere Basisarbeit, die getan werden muss.
 

Wir müssen die Mechanismen der Einflussnahme auf die amerikanische Bevölkerung untersuchen, um die Herausforderungen zu begreifen, die uns bevorstehen.

Die "Pro-Amerikanische" Antwort auf den 11. September war überwältigend. Menschen haben das Bedürfnis, zusammenzuhalten, wenn sie angegriffen werden. Das trifft überall zu. Es gab nicht viel Verständnis für diejenigen von uns, die sich nicht geschlossen hinter den Kurs des Präsidenten, "das Böse auszulöschen", stellten. Amerikaner sind stolz auf die Freiheiten, die wir hier haben, aber in Zeiten des Krieges haben sie etwas gegen diejenigen von uns, die genau diese Freiheiten in Anspruch nehmen (Ich entsinne mich noch der Parole: "Love it or leave it!", also "Liebt es oder verlasst es!" aus dem Vietnam-Krieg). Denjenigen, die die US-Politik kritisierten, wurde unter anderem vom Generalbundesanwalt unterstellt, dass sie "den Terrorismus unterstützen". Angesichts des Krieges wurden Gesetze wie der sog. Patriot Act verabschiedet, die ausgerechnet genau die Bürgerrechte einschränken, auf die die Menschen so stolz sind.

Die Kriegshetze in den Medien war enorm. Einer Handvoll von Konzernen bzw. Medienzaren gehört der Großteil der Nachrichtenkanäle und -vertriebe, Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen. Einigen dieser Konzerne gehören auch Rüstungsbetriebe. Sie propagieren die Firmen- bzw. Regierungsdoktrin. Sie weigern sich, von Verlusten oder unliebsamen Vorkommnissen in Afghanistan oder Palästina zu berichten, oder Bilder von denjenigen zu zeigen, die durch US-Bomben getötet wurden. Über den Widerstand gegen den Krieg wurde nicht berichtet. Die New York Times, eine der größten Zeitungen, hat rein gar nichts über die Großdemonstration am 20. April in Washington berichtet. Während des Vietnam-Kriegs hat die Regierung gelernt, dass bei den BürgerInnen, je besser sie über den Krieg informiert sind, desto mehr auch der Widerstand dagegen wächst. Erinnerungen sind von kurzer Dauer, und viele AmerikanerInnen haben vergessen, wie während des Vietnam- und auch des Golfkrieges gelogen wurde. Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges; es ist eine absolute Notwendigkeit, dass die Menschen begreifen, dass sie von unserer Regierung und den Medien belogen werden.

Der großen Mehrheit der AmerikanerInnen fehlen Informationen über den Rest der Welt. In den vergangenen Jahren haben viele Medienkonzerne ihre Auslandsbüros geschlossen. Lediglich 15% der US-BürgerInnen besitzen einen Pass. Somit wird es einem Präsidenten, der kaum je selber vor seinem Amtsantritt gereist ist, leicht gemacht, einen Feind wirkungsvoll zu dämonisieren und Ausländer im In- und Ausland zu verdächtigen.

Es fehlt das Verständnis für die Auswirkungen der US-amerikanischen Politik. Eine Umfrage, die nach dem 11. September durchgeführt wurde, besagte, dass die allermeisten AmerikanerInnen glaubten, dass wir mehr als 10% unserer Haushaltsausgaben für Entwicklungshilfe ausgeben würden. Tatsächlich sind es weniger als 1%. Die USA stellen 5% der Weltbevölkerung, aber sie verbrauchen 25% der weltweiten Ressourcen. Anstatt tatsächlich großzügig zu sein, kommt das Gute zu uns, nicht von uns. Dies gibt die Richtung zur Antwort auf die Frage an, die sich so viele stellen, nämlich: "Warum hassen sie uns?" Viel zuviele glauben der Propaganda unserer Regierung, dass das Ziel der US-Politik sei, Demokratie und Freiheit zu verbreiten und nicht etwa Öl und Konzerne zu sichern bzw. zu schützen. Unsere Außenpolitik ist mehr auf der Devise gegründet: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund", statt eines Bemühens um Gerechtigkeit. Jedoch wollen die meisten Menschen dies nicht so sehen.

Trotz all dieser negativen Einflüsse hat sich sofort nach dem 11. September Widerstand gegen den Krieg organisiert. Die Slogans: "Auge um Auge macht die ganze Welt blind" und "Unsere Trauer ist kein Aufruf zum Krieg" waren im ganzen Land zu hören. Sogar in New York City wurde der Park, in dem sich die Menschen versammelten, zum Denkmal für die Opfer und zum Symbol der Forderung nach Frieden. In den ersten Wochen wurden Mahnwachen und Demonstrationen gegen den Krieg organisiert. Bevor die Bombardierung von Afghanistan am 7. Oktober begann, waren sogar die Medien irgendwie an unserer Botschaft interessiert. Aber als dann die USA tatsächlich in den Krieg zogen, haben die Medien in vorderster Reihe die Kriegsbefürworter angeführt, statt ehrlich über den Krieg und den Widerstand dagegen zu berichten.

Aber der Widerstand wächst beständig. Die "Anti-Kriegs-Bewegung" setzt sich zusammen aus:
 

  •  Gruppen wie der Liga der Kriegsgegner (War Resisters League), die seit Jahren Krieg ablehnen und sich mit den Ursachen von Kriegen auseinandersetzen. Nachdem sie am 11. September gesehen hatten, wie die Türme in sich zusammenfielen, schrieb die War Resisters League eine Botschaft, die unsere Position deutlich machte: die Terroranschläge waren falsch, Rache wäre falsch. Unsere Botschaft ist seit 79 Jahren dieselbe: Krieg ist keine Antwort, Krieg ist niemals die Antwort. Wir fahren fort, noch mehr von dem zu tun, was wir schon immer taten: Bildung, Training in Gewaltfreiheit, Unterstützung geben, Demonstrationen organisieren. Andere Friedensgruppen waren ähnlich klar in ihrer Antwort. Außerdem gibt es viele Gruppen innerhalb der Friedensbewegung, die nicht primär pazifistisch sind, aber all die US-geführten Kriege ablehnen. Gruppen, die in der Vergangenheit, insbesondere während des Golfkriegs, aktiv waren, haben sich neu organisiert. Überall im ganzen Land, in großen und kleinen Städten, gab es wöchentliche Mahnwachen und Informationsveranstaltungen.
     
  •  Diejenigen, deren Arbeitsschwerpunkt auf dem Widerstand gegen die Globalisierung, Arbeit gegen Rassismus oder der Umweltproblematik liegt, haben diese Anliegen mit dem Widerstand gegen Krieg verbunden. Somit machen sie auf die Wurzeln des Ganzen aufmerksam, nämlich die eigentlichen Kriegsursachen. Insbesondere an den Universitäten formierten sich auch neue Gruppen, die gleich nach dem 11. September Proteste gegen den Krieg organisierten. Die nationale Jugend- und Studenten-Friedenskoalition, die aus Globalisierungskritikern, Umweltgruppen und Kriegsgegnern besteht, war führend bei der Organisation der Aufrufe für die Demonstrationen am 20. April. Nach und nach kamen andere Gruppierungen und Vereinigungen hinzu. Eine der Herausforderungen unserer Arbeit liegt in den Unterschieden und Zersplitterungen der einzelnen Gruppen, die sich auf unterschiedliche politische Einstellungen und Stile gründet.
     
  •  Auch Soldaten werden kritischer. Obwohl wir nicht so eine deutliche Opposition bei den Soldaten haben, die z.B. mit den israelischen Refusniks (Kriegsdienstverweigerern) vergleichbar wäre, wird doch deutlich, dass Soldaten und Reservisten beunruhigt sind. Das Central Office for Conscientious Objection (COOO) hat eine hotline für Militärangehörige eingerichtet. Normalerweise gehen dort ca. 1.000 Anrufe pro Monat ein. Seit dem 11. September waren es ca. 5.000 Anrufe pro Monat.
     
  •  Bürgerrechtsorganisationen protestieren engagiert gegen die Inhaftierung von Tausenden von Muslimen, Arabern und anderen Immigranten, die in US-Gefängnissen festgehalten werden ohne Angabe von Inhaftierungsgründen; ebenso gibt es Proteste gegen die Behandlung der Gefangenen, die nach Guantanamo Bay auf Kuba gebracht wurden.
     
  •  Bei "September Eleventh Families for Peaceful Tomorrows" (Familien des 11. September für eine friedliche Zukunft) handelt es sich um eine neue Organisation, die sich aus Angehörigen derer zusammensetzt, die am 11. September in New York und im Pentagon umgekommen sind. Der Name geht zurück auf ein Zitat von Martin Luther King: "Krieg ist ein schlechter Meißel, um eine friedliche Zukunft zu schnitzen". Ihre Botschaft lautet: "Wirkunksvolle, gewaltfreie Antworten auf den Terrorismus zu finden, und darin eine Gemeinsamkeit mit allen Menschen zu finden, die ähnlich betroffen sind von weltweiter Gewalt". Sie arbeiten daran, "einen sicheren, offenen Dialog über Alternativen zu Krieg möglich zu machen". Sie halten Vörträge im ganzen Land; für Menschen, die persönlich so stark von dieser Tragödie betroffen sind, ist es - im Gegensatz zu uns - möglich, wirklich gehört zu werden.
     

Es ist wichtig, dass wir Strategien entwickeln, die nicht zu einer Polarisierung und damit zu einer immer kleiner werdenden Gruppe von Kriegsgegnern führen. In jahrelanger Arbeit haben wir Methoden des Miteinander-Redens, Zuhörens, der Konfliktlösung und von gewaltfreier Kommunikation entwickelt, die nun zum Einsatz kommen. Diese Diskussionen bringen Menschen zusammen, die sich ansonsten stark unterscheiden.

Ich zum Beispiel engagiere mich in einem kommunalen Zuhörprojekt. Indem wir viele Fragen stellen, ermutigen wir die Menschen, gründlicher über eine Sache nachzudenken. Mit dieser Methode möchten wir nun ein tieferes Nachdenken über den "Anti-Terror-Krieg" herbeiführen. Die Informationen, die wir dabei erhalten, helfen uns wiederum dabei, zukünftige Strategien zu entwickeln; sie helfen uns zu verstehen, welchen Überzeugungen Menschen anhängen, was ihnen die Augen öffnet und was ihre Wünsche und Ängste sind.

Die USA sind nicht strikt in zwei Meinungslager geteilt. Es gibt ein großes Spektrum an Meinungen, und dieses wandelt sich stetig. Uns fällt auf, dass es bei vielen, die sich fragen, warum wir gehasst werden, eine große Offenheit gibt, mehr über Alternativen zu Krieg zu erfahren. Das Internet ist hilfreich bei der Organisation und der Weiterverbreitung von Informationen. Websites sind eine gefragte Alternative zu den konzern-dominierten Medien. Unsere Statistiken zeigen, dass immer mehr Menschen diese Seiten nutzen.

Dies ist ein wichtiger Moment, eine einmalige Gelegenheit, amerikanisches Denken über Krieg und Militarisierung zu verändern. Innerhalb der Friedensbewegung müssen wir strategisch denken, Netzwerke aufbauen und Menschen außerhalb unserer Bewegung erreichen. Wir wollen unsere Kapazitäten stärken und ausbauen, unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten (mit-)teilen (eine ganz neue Generation ist neugierig auf diese Fähigkeiten), und weiterhin Strategien entwicklen, um die Bewegung aufzubauen. Wir werden uns immer wieder daran erinnern, dass wir einen langen Atem brauchen aber wir müssen eben auch versuchen, die nächste Etappe des Krieges aufzuhalten. Unsere Fortschritte sollten wir evaluieren und die Energie aus den April-Demonstrationen nutzen, um uns vorwärts zu bringen.

Übersetzung: Gina Mertens

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Joanne Sheehan, Vorsitzende der War Resisters` International, arbeitet mit bei der War Resisters` League in New England. Der Beitrag wurde redaktionell mit Einverständnis der Autorin gekürzt.