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Kriegsursachen
Das friedliche Gehirn?
vonEs gibt eine Reihe von Erklärungsmodellen für die Entstehung von Krieg (z.B. ökonomische Gesetzmäßigkeiten, geostrategische Interessen, historische Entwicklungen, Theorien über menschliche Aggression). Seit zehn bis zwanzig Jahren liefern auch die Neurowissenschaften wesentliche Erkenntnisse zum Ursprung von Gewalt.
Die Untersuchungen von Aktivierungsmustern des Gehirns und Hormonkonzentrationen zeigen, dass durch positive zwischenmenschliche Erfahrungen und Fairness das "Belohnungsystem" des Gehirns aktiviert und "Wohlfühlbotenstoffe" ausgeschüttet werden. Aggressive Handlungen dagegen führen bei durchschnittlich psychisch gesunden Menschen nicht zu einer solchen Belohnung. Es gibt also keinen Aggressionstrieb. Andernfalls würde unprovozierte Aggression ein "gutes Gefühl" im Menschen auslösen. Aggression ist vielmehr ein reaktives Verhaltensprogramm.
Ein Auslösereiz für das aggressive Verhaltensprogramm ist willkürlich zugefügter Schmerz. Er aktiviert im Gehirn die Angstzentren (Mandelkerne) und das Ekelzentrum (Insula), einbezogen werden der Hypothalamus (Stresszentrum) und der Hirnstamm (vegetative Erregung). Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Demütigung führen zu den gleichen Aktivierungsmustern wie körperlicher Schmerz. Sie folgen nicht nur auf eigene körperliche oder seelische Verletzung, sondern auch, wenn diese bei anderen beobachtet wird.
Bevor es zu aggressiven Akten kommt, wird im Normalfall eine neurobiologische Kontrollschleife durchlaufen. Im Stirnhirn (Präfrontaler Cortex) werden die Folgen für die eigene und andere Personen abgeschätzt. Im Cingulären Cortex, zu dem auch ein "Empathiezentrum" gehört, wird der aggressive Impuls mit dem Einfluss der Hirnrinde integriert, meist im Sinne einer Mäßigung. Dies gilt für die Phase vor dem aggressiven Akt; wenn dieser erst in Gang gekommen ist, kann der präfrontale Cortex deutlich weniger ausrichten. Wenn sich die Aggression nicht gegen ihre Ursache richten kann, erfolgt eine Verschiebung auf ein anderes Ziel oder einen anderen Zeitpunkt. Dadurch erscheinen Aggressionsausbrüche oft auf den ersten Blick unerklärlich.
Während der überwiegenden Zeit ihrer Entwicklung waren Menschen gejagte und gefährdete Wesen und der Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft überlebenswichtig. Dementsprechend wird unser internes Belohnungssystem aktiv, wenn wir uns kooperativ verhalten oder kooperatives Verhalten beobachten. Aber auch Aggression ist zunächst einmal ein sinnvolles Verhaltensprogramm. Wenn auf Schmerz oder Verlassenwerden mit aggressiven Signalen und Gegenwehr reagiert wird, hat das eine kommunikative Funktion. Wird diese kommunikative Funktion verfehlt, sei es auf Seiten des Senders oder des Empfängers, wird Aggression destruktiv.
Der menschliche Wunsch nach Zugehörigkeit hat allerdings eine traurige Kehrseite. Er kann dazu führen, dass Menschen sich an Aktivitäten beteiligen, die auf Kosten der "Anderen" oder "Fremden" gehen. Aggression dient dem Erhalt von Bindungen und das Risiko für Aggression steigt, wenn der Zusammenhalt einer Gruppe von innen oder außen bedroht ist. Die Kehrseite der internen Verbundenheit besteht oft in Abgrenzung und Aggressivität gegenüber anderen.
Es spricht einiges dafür, dass das Zusammenleben der Menschen lange von Gleichheit, dem Teilen aller Ressourcen und gegenseitiger Fürsorge bestimmt war. Vor etwa 12.000 Jahren begann eine Wende. Sesshaftigkeit in größerem Ausmaß, handwerklicher Fortschritt, Bevölkerungswachstum, ökologische Probleme (z.B. Abholzung) zusammen mit Klimaveränderungen führten zu Ressourcenknappheit. Es kam zur Entwicklung von Privateigentum und zur festen Zuordnung in Familien, denn die menschliche Arbeitskraft wurde ebenfalls zur knappen Ressource. Die Entstehung größerer Siedlungseinheiten verbunden mit geringerer sozialer Kontrolle und weniger Empathie gegenüber den entfernteren Mitgliedern verschärfte soziale Konflikte, die zunehmend mit Gewalt ausgetragen wurden.
Wir können nicht genau wissen, wie dieser Prozess verlief. Aber wir müssen akzeptieren, dass wir heute in anderer Weise miteinander leben als vor dieser Wende und in anderer Weise, als es unserer "Natur" entspricht.
Unser Hirn ist aber weiterhin stärker von den 200.000 Jahren des Homo sapiens geformt als von den letzten 10.000 Jahren. Das Wissen über die soziale Kompetenz und die soziale Verletzlichkeit des Menschen kann genutzt werden, um Aggressionsdynamiken zu begrenzen.
Das Wissen über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zeigt, dass eine gerechte Güterverteilung und Armutsbekämpfung für das friedliche Zusammenleben unverzichtbar sind. Die schon lange erhobenen Forderungen nach gewaltfreier Erziehung, Förderung der Empathiefähigkeit und Abschaffung des Militärs als Quelle von Demütigung und Verletzung sind wissenschaftlich begründbar. Neurophysiologische Fakten untermauern unsere Überzeugung, dass Gewaltfreiheit und der Verzicht auf Demütigung im Umgang mit dem (politischen) Gegner nachhaltige Konfliktlösungen ermöglichen. Wir können uns durch die Neurowissenschaften in unserer Sicht bestätigt und in unserem künftigen Engagement ermutigt fühlen.
Der Artikel beruht vor allem auf Vorträgen und Publikationen von Professor Joachim Bauer, Abt. Psychosomatische Medizin der Universtätsklinik Freiburg (u.a. "Schmerzgrenze", 2013) sowie auf dem Buch von Ryan und Jethá "Sex at Dawn", 2010.