Bericht über eine Reise in den Irak

Der Golfkrieg ist nicht beendet!

von Peter Gerlinghoff
Hintergrund
Hintergrund

Dieser Bericht wurde im Dezember vergangenen Jahres geschrieben. Die jüngsten Ereignisse haben die Aktualität seines Titels voll unterstri­chen. Wieder fielen Bomben im Irak, und Menschen mußten ihr Leben für eine sinnlose Kraftprobe zwischen zwei Staatsmännern lassen. An der Klugheit der irakischen Politik kann man zweifeln, aber nichts recht­fertigt den Zynismus, mit dem sich ein amerikanischer Präsident, ge­stützt auf die willfährige Haltung des Sicherheitsrates, bombenwerfend aus dem Amt verabschiedet. Das Fernsehen brachte Bilder des in Mit­leidenschaft gezogenen Hotels Al Rashid in Bagdad.

Wir hatten dort einige Tage gewohnt und häufig auf der nun zerstörten Ter­rasse zur Gartenseite gesessen und Jour­nalisten empfangen, um über die Frie­densbewegung in Deutschland zu be­richten. Erst diese neuen Bilder haben in mir eine Erinnerung wachgerufen, die ich bislang verdrängt hatte: den Besuch in dem zerstörten Al-Ameriya-Bunker. Man betritt das Gebäude durch den Keller und sieht durch drei Stockwerke empor in den Himmel. Eine punkt­genaue Rakete hat durch eine zweimal zwei Meter dicke Eisenbetondecke ein Loch gefräst. Die Leute befanden sich im ersten Stock, erläutert uns die Führe­rin mit einem Blick, in dem Leid und Haß sich mischen. Sie hat dort fünf ihrer Kinder verloren und will jetzt nicht mit nach oben. Wir gehen beklommen wei­ter und kommen in einen rußge­schwärzten Raum. An den Wänden fal­len merkwürdige Wölbungen auf. Später erfahren wir: Der Druck der Explosion hatte die Schutzsuchenden an den Be­tonmauern zerschmettert nur diese Wöl­bungen hat das nachfolgende Feuer von ihnen übriggelassen.

Vom 24. Oktober bis 11. November 1992 hatten wir die Möglichkeit, den Irak zu besuchen und dabei eine erste Medikamenten-Spende der Berliner Friedensbewegung an das Zentralkran­kenhaus in Basra zu übergeben. Wir hatten Kontakte sowohl mit offiziellen Stellen als auch mit unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung, darunter An­hängern und Gegnern  des Regimes. Aus den Gesprächen und den Besichti­gungen sozialer Einrichtungen ergab sich, daß das Embargo - besonders der Mangel an  Lebensmitteln, Medika­menten und wichtigen Ersatzteilen -  vor allem die sozial Schwachen trifft: Kin­der, Kranke, Rentner, Kriegsinvaliden,  Menschen, die in den Vorstädten und auf dem Lande leben. Unnötiges Leiden ist die Folge, die Sterblichkeit bei be­sonders gefährdeten Gruppen wie Kin­dern, Diabetikern und Dialyse-Patienten hat aufgrund des Embargos enorm zu­genommen. Die Maßnahmen des Si­cherheitsrates der VN verursachen somit  massenhafte Verletzungen elementarer Menschenrechte. Sie werden von allen gesellschaftlichen Gruppierungen im Irak als unmenschlich und ungerecht empfunden und abgelehnt. Statt Einsicht rufen sie Hass und Vergeltungslust her­vor. Die Aktionen der UNO werden als eine von der Bush-Administration ge­steuerte politische Bestrafungsaktion aufgefasst. Das Embargo hat somit die beabsichtigte Wirkung, einen Füh­rungswechsel im Lande zu erzwingen, nicht nur nicht erreicht, sondern das Ge­genteil bewirkt: Das System wurde durch die weitverbreitete, emotional ge­färbten Antihaltung der Bevölkerung nicht nur gegenüber Amerika, sondern zunehmend auch gegenüber der ge­samten westlichen Welt stabilisiert. Der Druck von außen und die Isolation des Landes vom internationalen  Leben be­günstigen radikale Tendenzen und för­dern die Verknüpfung islamisch-funda­mentalistischer Strömungen mit der herrschenden  Staatsdoktrin.

Wer den Frieden will, muß mit dem Gegner sprechen - dieses Wort von Martin Niemöller gilt auch im Fall des Iraks. Nicht durch Diktat, sondern nur durch ein faires Gespräch zwischen  den politisch Verantwortlichen lassen sich die Probleme, die der 2. Golfkrieg ge­schaffen hat, lösen. Das irakische Volk ist nicht unser Gegner, aber die Frie­densbewegung würde zur  Kriegspartei, wenn sie nicht dazu beiträgt, die Isola­tion zu durchbrechen, in die das iraki­sche Volk, durch den Krieg und eine auf Vergeltung abgestimmte Nachkriegspo­litik, gestürzt wurde.

Was ist zu tun? Wie kann man helfen?

1. Humanitäre Hilfe

Aufgrund unserer Recherche in ver­schiedenen Teilen Iraks sind wir zur  Erkenntnis gekommen, daß Hilfe im medizinischen Bereich weiter dringend  notwendig ist. Listen mit benötigten Medikamenten und medizinischem Ge­rät können zur Verfügung gestellt wer­den, und es gibt Wege, auf denen Spen­den die Empfänger unmittelbar errei­chen können.

Solidarität kann jedoch die Notlage nur überbrücken. Die Versorgung des Lan­des mit lebensnotwendigen Gütern, ins­besondere Babynahrung,  Medikamen­ten und medizinischem Gerät, muß normalisiert werden. Dies entspricht auch der Rechtslage. Die Embargore­solution hat diese Güter ausdrücklich von den Beschränkungen ausgenom­men. Da der Irak aber kein Erdöl ver­kaufen kann, hat er nicht die nötigen Mittel, um entsprechende  Einkäufe zu tätigen. Die irakischen Behörden bemü­hen sich daher um Freigabe der einge­frorenen Auslandsguthaben. Der Si­cherheitsrat hat dies den nationalen Re­gierungen anheimgestellt. Die Bundes­regierung verfolgt im Gegensatz etwa zur Schweiz bislang jedoch eine sehr re­striktive Handhabung.

2. Partnerschaften

Eine wesentliche Erkenntnis bei der Vorbereitung unserer Mission und wäh­rend des Aufenthaltes im Irak besteht darin, daß der Golfkrieg nicht nur zu ei­ner tiefgehenden Verfeindung der Re­gierungen, sondern auch zu wachsen­dem Unverständnis und gegenseitiger Ablehnung zwischen den Völkern ge­führt hat. Gestört ist nicht nur das politi­sche Verhältnis zwischen Amerika und den ehemaligen Kolonialmächten Eng­land und Frankreich einerseits und dem Irak andererseits, sondern die neue Kon­frontationslinie verläuft zwischen dem Westen und der arabischen Welt insge­samt. Aus diesem Grunde schlagen wir die Herstellung von Partnerschaften zwischen interessierten Gruppen und entsprechenden Einrichtungen im Irak vor. Einstieg könnte die medizinische Soforthilfe sein, im weiteren müsste es um einen Dialog gehen über die Nor­malisierung der internationalen Bezie­hungen im Mittleren Osten, über Demo­kratie, Umwelt, Menschenrechte, eine neue Weltwirtschaftsordnung, Religion und Kultur.

Adl und As Salam in der Provinz Mis­san als Pilotprojekte

Mitten im amerikanischem Wahlkampf (Clinton hatte Bush gerade wegen  mangelnder Aktivität in Sachen Irak und Jugoslawien angegriffen) meldete die Washington Post unter Hinweis auf ira­nische Quellen, daß die Republikanische Garde Saddam Husseins die Dörfer Adl und As Salam am 14. und 15. August 1992 wegen schiitischen Widerstands mit Artillerie beschossen und die Bewohner zur Flucht gezwungen habe. Wir konn­ten auf unserer Reise beide Orte besu­chen und fanden ganz normale ländliche Gemeinden vor, in denen keinerlei Spu­ren solcher Vorgänge zu finden waren. Wir hörten allerdings, daß beide Orte im März 1991, unmittelbar nach dem Golf­krieg, stark von Unruhen betroffen wa­ren. In den Auseinandersetzungen  wur­den die Gesundheitsstationen - angeb­lich von iranischen Provokateuren schwer beschädigt und ausgeraubt. In den Ambulanzräumen, die wir besichti­gen konnten, fehlt es am Nötigsten zur Versorgung von jeweils zwanzigtausend Menschen. Darunter:

      Insulin, Medikamente zur Behand­lung von Herz-, Kreislauf-, Magen- und Darmerkran­kungen

      sowie Bronchialleiden, Spritzen und Kanü­len,Verbandsmaterial,

      Sterilisatoren, ein EKG-Gerät.

Adl und As Salam liegen am Rande der Sumpfgebiete zwischen Euphrat und Tigris in einer einmaligen Naturland­schaft. Hier fiel uns die besondere Herzlichkeit der Menschen auf. Unsere Zugehörigkeit zur Friedensbewegung wurde mit der spontanen Einladung in die Familien beantwortet.

3. Politische Initiativen

Der Golfkrieg hat mehr Probleme ge­schaffen als gelöst. Die unterschiedli­chen Auffassungen über den Status von Kuwait (Teil der Provinz Basra oder selbständiger Staat) werden trotz der Waffenruhe weiterbestehen, ebenso die ungelösten Fragen des Grenzverlaufs am Schatt-al-Arab und zu Kuwait (mit durch das Ölfeld von Rumwaila). Die erzwungene Abrüstung des Iraks hat den nationalen Stolz der Iraker empfindlich verletzt und die Bereitschaft zum Ver­zicht auf militärische Mittel der Ausein­andersetzung keineswegs gefördert, zumal die Sicherheit in der Region durch Waffenexporte in die Nachbar­länder Türkei und Iran (hier sogar Liefe­rung von Nukleartechnik) beeinträchtigt ist. Das Regime der "Schutzzonen"  im Norden und Süden sowie die Unterstüt­zung bestimmter Oppositionsgruppen durch die Vereinigten Staaten, Israel und den Iran wird als Versuch der Spaltung des Landes sowie als Einmi­schung in seine inneren Angelegenhei­ten verstanden. Schließlich sind eine Reihe humanitärer Fragen zu lösen wie die Freigabe der irakischen Kriegsge­fangenen im Iran, die  Rückführung der irakischen Flüchtlinge aus verschie­denen Lagern im Iran, in der Türkei und in Saudi Arabien, die Repatriierung von Personen, die vor und während des 1. Golfkrieges aus dem Irak vertrieben wurden, sowie die Rückführung kuwai­tischer Flüchtlinge, jeweils auf der Grundlage überprüfbarer Amnestiever­sprechen.

Was ist von den Vereinigten Staaten und vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu fordern?

In erster Linie eine Beendigung der Po­litik "doppelter Standards"  sowie der provokativen Handhabung der Embar­gobeschlüsse, die auf eine bewusste De­mütigung und Isolierung der Iraker hin­auslaufen. Ohne Zweifel ist die Men­schenrechtssituation in Irak alles andere als zufriedenstellend, das gilt in gleicher Weise aber auch für andere arabische Länder, die als Verbündete Amerikas fungieren und erhebliche finanzielle und militärische Unterstützung des Westens genießen. Die beabsichtigte Erzwingung eines Führungswechels im Irak ist kein politisches Ziel, das durch das Völker­recht legitimiert wäre.

Vom Sicherheitsrat ist zu fordern, daß die Embargomaßnahmen auf ihre wei­tere Notwendigkeit und Verhältnismä­ßigkeit überprüft und zumindest soweit modifiziert werden, daß der Zivilbevöl­kerung kein unzumutbarer Schaden zu­gefügt wird. Die Politik des Diktats per Resolution muß der Initiierung eines Verständigungsprozesses weichen, unter Wiederherstellung und Respektierung der Souveräntität des Iraks.

Was ist von der irakischen Führung zu erwarten?

In erster Linie eigene Schritte in Rich­tung einer Demokratisierung des Lan­des. Dazu gehört eine umfassende Amnestie, die Bereinigung des politi­schen Strafrechts, Herstellung und Ge­währleistung der üblichen Menschen­rechtsstandards, Einlösung der Ab­sichtserklärungen, die auf Einführung des politischen Pluralismus und die Verwirklichung der Autonomie für alle Volksgruppen, insbesondere für die Kurden, im Rahmen eines einheitlichen irakischen Staates zielen.

In außenpolitischer Hinsicht ist ange­sichts der fortbestehenden unterschiedli­chen Auffassungen über Grenzen und Kriegsschuld vom Irak vor allem eine eindeutige Gewaltverzichtserklärung zu fordern. Sie könnte der Beginn eines Prozesses gegenseitiger Vertrauensbil­dung werden.

Was ist von der Bundesregierung zu fordern?

Die Bundesrepublik muß eine von den globalpolitischen Vorstellungen der USA unabhängige Einstellung zum Irak als einem wichtigen Ölland finden und nach Wegen suchen, wie unsere legiti­men Interessen auf der Grundlage ge­genseitigen Vorteils und im Sinne freundschaftlicher Beziehungen  langfri­stig gesichert werden können. Dies ist nur möglich durch Erhöhung der Si­cherheit in der gesamten Region, ver­bunden mit einem Verzicht auf Waffen­exporte in die Nachbarländer des weit­gehend abgerüsteten Iraks.

Als ersten Schritt der Neuanbahnung ei­nes guten Verhältnisses zu dem von zwei Kriegen schwer getroffenen Land sollte die Bundesregierung die eingefro­renen irakischen Guthaben freigeben, um dem Irak den kontrollierten Ankauf von Lebensmitteln, medizinischen Gü­tern und solchen Waren zu ermöglichen, die zur Wiederherstellung der Wasser- und Abwasserwirtschaft, in der Land­wirtschaft, sowie zur Behebung kriegs­bedingter Umweltschäden, benötigt wer­den.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund