Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt! " in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
Bericht über eine Reise in den Irak
Der Golfkrieg ist nicht beendet!
von
Dieser Bericht wurde im Dezember vergangenen Jahres geschrieben. Die jüngsten Ereignisse haben die Aktualität seines Titels voll unterstrichen. Wieder fielen Bomben im Irak, und Menschen mußten ihr Leben für eine sinnlose Kraftprobe zwischen zwei Staatsmännern lassen. An der Klugheit der irakischen Politik kann man zweifeln, aber nichts rechtfertigt den Zynismus, mit dem sich ein amerikanischer Präsident, gestützt auf die willfährige Haltung des Sicherheitsrates, bombenwerfend aus dem Amt verabschiedet. Das Fernsehen brachte Bilder des in Mitleidenschaft gezogenen Hotels Al Rashid in Bagdad.
Wir hatten dort einige Tage gewohnt und häufig auf der nun zerstörten Terrasse zur Gartenseite gesessen und Journalisten empfangen, um über die Friedensbewegung in Deutschland zu berichten. Erst diese neuen Bilder haben in mir eine Erinnerung wachgerufen, die ich bislang verdrängt hatte: den Besuch in dem zerstörten Al-Ameriya-Bunker. Man betritt das Gebäude durch den Keller und sieht durch drei Stockwerke empor in den Himmel. Eine punktgenaue Rakete hat durch eine zweimal zwei Meter dicke Eisenbetondecke ein Loch gefräst. Die Leute befanden sich im ersten Stock, erläutert uns die Führerin mit einem Blick, in dem Leid und Haß sich mischen. Sie hat dort fünf ihrer Kinder verloren und will jetzt nicht mit nach oben. Wir gehen beklommen weiter und kommen in einen rußgeschwärzten Raum. An den Wänden fallen merkwürdige Wölbungen auf. Später erfahren wir: Der Druck der Explosion hatte die Schutzsuchenden an den Betonmauern zerschmettert nur diese Wölbungen hat das nachfolgende Feuer von ihnen übriggelassen.
Vom 24. Oktober bis 11. November 1992 hatten wir die Möglichkeit, den Irak zu besuchen und dabei eine erste Medikamenten-Spende der Berliner Friedensbewegung an das Zentralkrankenhaus in Basra zu übergeben. Wir hatten Kontakte sowohl mit offiziellen Stellen als auch mit unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung, darunter Anhängern und Gegnern des Regimes. Aus den Gesprächen und den Besichtigungen sozialer Einrichtungen ergab sich, daß das Embargo - besonders der Mangel an Lebensmitteln, Medikamenten und wichtigen Ersatzteilen - vor allem die sozial Schwachen trifft: Kinder, Kranke, Rentner, Kriegsinvaliden, Menschen, die in den Vorstädten und auf dem Lande leben. Unnötiges Leiden ist die Folge, die Sterblichkeit bei besonders gefährdeten Gruppen wie Kindern, Diabetikern und Dialyse-Patienten hat aufgrund des Embargos enorm zugenommen. Die Maßnahmen des Sicherheitsrates der VN verursachen somit massenhafte Verletzungen elementarer Menschenrechte. Sie werden von allen gesellschaftlichen Gruppierungen im Irak als unmenschlich und ungerecht empfunden und abgelehnt. Statt Einsicht rufen sie Hass und Vergeltungslust hervor. Die Aktionen der UNO werden als eine von der Bush-Administration gesteuerte politische Bestrafungsaktion aufgefasst. Das Embargo hat somit die beabsichtigte Wirkung, einen Führungswechsel im Lande zu erzwingen, nicht nur nicht erreicht, sondern das Gegenteil bewirkt: Das System wurde durch die weitverbreitete, emotional gefärbten Antihaltung der Bevölkerung nicht nur gegenüber Amerika, sondern zunehmend auch gegenüber der gesamten westlichen Welt stabilisiert. Der Druck von außen und die Isolation des Landes vom internationalen Leben begünstigen radikale Tendenzen und fördern die Verknüpfung islamisch-fundamentalistischer Strömungen mit der herrschenden Staatsdoktrin.
Wer den Frieden will, muß mit dem Gegner sprechen - dieses Wort von Martin Niemöller gilt auch im Fall des Iraks. Nicht durch Diktat, sondern nur durch ein faires Gespräch zwischen den politisch Verantwortlichen lassen sich die Probleme, die der 2. Golfkrieg geschaffen hat, lösen. Das irakische Volk ist nicht unser Gegner, aber die Friedensbewegung würde zur Kriegspartei, wenn sie nicht dazu beiträgt, die Isolation zu durchbrechen, in die das irakische Volk, durch den Krieg und eine auf Vergeltung abgestimmte Nachkriegspolitik, gestürzt wurde.
Was ist zu tun? Wie kann man helfen?
1. Humanitäre Hilfe
Aufgrund unserer Recherche in verschiedenen Teilen Iraks sind wir zur Erkenntnis gekommen, daß Hilfe im medizinischen Bereich weiter dringend notwendig ist. Listen mit benötigten Medikamenten und medizinischem Gerät können zur Verfügung gestellt werden, und es gibt Wege, auf denen Spenden die Empfänger unmittelbar erreichen können.
Solidarität kann jedoch die Notlage nur überbrücken. Die Versorgung des Landes mit lebensnotwendigen Gütern, insbesondere Babynahrung, Medikamenten und medizinischem Gerät, muß normalisiert werden. Dies entspricht auch der Rechtslage. Die Embargoresolution hat diese Güter ausdrücklich von den Beschränkungen ausgenommen. Da der Irak aber kein Erdöl verkaufen kann, hat er nicht die nötigen Mittel, um entsprechende Einkäufe zu tätigen. Die irakischen Behörden bemühen sich daher um Freigabe der eingefrorenen Auslandsguthaben. Der Sicherheitsrat hat dies den nationalen Regierungen anheimgestellt. Die Bundesregierung verfolgt im Gegensatz etwa zur Schweiz bislang jedoch eine sehr restriktive Handhabung.
2. Partnerschaften
Eine wesentliche Erkenntnis bei der Vorbereitung unserer Mission und während des Aufenthaltes im Irak besteht darin, daß der Golfkrieg nicht nur zu einer tiefgehenden Verfeindung der Regierungen, sondern auch zu wachsendem Unverständnis und gegenseitiger Ablehnung zwischen den Völkern geführt hat. Gestört ist nicht nur das politische Verhältnis zwischen Amerika und den ehemaligen Kolonialmächten England und Frankreich einerseits und dem Irak andererseits, sondern die neue Konfrontationslinie verläuft zwischen dem Westen und der arabischen Welt insgesamt. Aus diesem Grunde schlagen wir die Herstellung von Partnerschaften zwischen interessierten Gruppen und entsprechenden Einrichtungen im Irak vor. Einstieg könnte die medizinische Soforthilfe sein, im weiteren müsste es um einen Dialog gehen über die Normalisierung der internationalen Beziehungen im Mittleren Osten, über Demokratie, Umwelt, Menschenrechte, eine neue Weltwirtschaftsordnung, Religion und Kultur.
Adl und As Salam in der Provinz Missan als Pilotprojekte
Mitten im amerikanischem Wahlkampf (Clinton hatte Bush gerade wegen mangelnder Aktivität in Sachen Irak und Jugoslawien angegriffen) meldete die Washington Post unter Hinweis auf iranische Quellen, daß die Republikanische Garde Saddam Husseins die Dörfer Adl und As Salam am 14. und 15. August 1992 wegen schiitischen Widerstands mit Artillerie beschossen und die Bewohner zur Flucht gezwungen habe. Wir konnten auf unserer Reise beide Orte besuchen und fanden ganz normale ländliche Gemeinden vor, in denen keinerlei Spuren solcher Vorgänge zu finden waren. Wir hörten allerdings, daß beide Orte im März 1991, unmittelbar nach dem Golfkrieg, stark von Unruhen betroffen waren. In den Auseinandersetzungen wurden die Gesundheitsstationen - angeblich von iranischen Provokateuren schwer beschädigt und ausgeraubt. In den Ambulanzräumen, die wir besichtigen konnten, fehlt es am Nötigsten zur Versorgung von jeweils zwanzigtausend Menschen. Darunter:
Insulin, Medikamente zur Behandlung von Herz-, Kreislauf-, Magen- und Darmerkrankungen
sowie Bronchialleiden, Spritzen und Kanülen,Verbandsmaterial,
Sterilisatoren, ein EKG-Gerät.
Adl und As Salam liegen am Rande der Sumpfgebiete zwischen Euphrat und Tigris in einer einmaligen Naturlandschaft. Hier fiel uns die besondere Herzlichkeit der Menschen auf. Unsere Zugehörigkeit zur Friedensbewegung wurde mit der spontanen Einladung in die Familien beantwortet.
3. Politische Initiativen
Der Golfkrieg hat mehr Probleme geschaffen als gelöst. Die unterschiedlichen Auffassungen über den Status von Kuwait (Teil der Provinz Basra oder selbständiger Staat) werden trotz der Waffenruhe weiterbestehen, ebenso die ungelösten Fragen des Grenzverlaufs am Schatt-al-Arab und zu Kuwait (mit durch das Ölfeld von Rumwaila). Die erzwungene Abrüstung des Iraks hat den nationalen Stolz der Iraker empfindlich verletzt und die Bereitschaft zum Verzicht auf militärische Mittel der Auseinandersetzung keineswegs gefördert, zumal die Sicherheit in der Region durch Waffenexporte in die Nachbarländer Türkei und Iran (hier sogar Lieferung von Nukleartechnik) beeinträchtigt ist. Das Regime der "Schutzzonen" im Norden und Süden sowie die Unterstützung bestimmter Oppositionsgruppen durch die Vereinigten Staaten, Israel und den Iran wird als Versuch der Spaltung des Landes sowie als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten verstanden. Schließlich sind eine Reihe humanitärer Fragen zu lösen wie die Freigabe der irakischen Kriegsgefangenen im Iran, die Rückführung der irakischen Flüchtlinge aus verschiedenen Lagern im Iran, in der Türkei und in Saudi Arabien, die Repatriierung von Personen, die vor und während des 1. Golfkrieges aus dem Irak vertrieben wurden, sowie die Rückführung kuwaitischer Flüchtlinge, jeweils auf der Grundlage überprüfbarer Amnestieversprechen.
Was ist von den Vereinigten Staaten und vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu fordern?
In erster Linie eine Beendigung der Politik "doppelter Standards" sowie der provokativen Handhabung der Embargobeschlüsse, die auf eine bewusste Demütigung und Isolierung der Iraker hinauslaufen. Ohne Zweifel ist die Menschenrechtssituation in Irak alles andere als zufriedenstellend, das gilt in gleicher Weise aber auch für andere arabische Länder, die als Verbündete Amerikas fungieren und erhebliche finanzielle und militärische Unterstützung des Westens genießen. Die beabsichtigte Erzwingung eines Führungswechels im Irak ist kein politisches Ziel, das durch das Völkerrecht legitimiert wäre.
Vom Sicherheitsrat ist zu fordern, daß die Embargomaßnahmen auf ihre weitere Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit überprüft und zumindest soweit modifiziert werden, daß der Zivilbevölkerung kein unzumutbarer Schaden zugefügt wird. Die Politik des Diktats per Resolution muß der Initiierung eines Verständigungsprozesses weichen, unter Wiederherstellung und Respektierung der Souveräntität des Iraks.
Was ist von der irakischen Führung zu erwarten?
In erster Linie eigene Schritte in Richtung einer Demokratisierung des Landes. Dazu gehört eine umfassende Amnestie, die Bereinigung des politischen Strafrechts, Herstellung und Gewährleistung der üblichen Menschenrechtsstandards, Einlösung der Absichtserklärungen, die auf Einführung des politischen Pluralismus und die Verwirklichung der Autonomie für alle Volksgruppen, insbesondere für die Kurden, im Rahmen eines einheitlichen irakischen Staates zielen.
In außenpolitischer Hinsicht ist angesichts der fortbestehenden unterschiedlichen Auffassungen über Grenzen und Kriegsschuld vom Irak vor allem eine eindeutige Gewaltverzichtserklärung zu fordern. Sie könnte der Beginn eines Prozesses gegenseitiger Vertrauensbildung werden.
Was ist von der Bundesregierung zu fordern?
Die Bundesrepublik muß eine von den globalpolitischen Vorstellungen der USA unabhängige Einstellung zum Irak als einem wichtigen Ölland finden und nach Wegen suchen, wie unsere legitimen Interessen auf der Grundlage gegenseitigen Vorteils und im Sinne freundschaftlicher Beziehungen langfristig gesichert werden können. Dies ist nur möglich durch Erhöhung der Sicherheit in der gesamten Region, verbunden mit einem Verzicht auf Waffenexporte in die Nachbarländer des weitgehend abgerüsteten Iraks.
Als ersten Schritt der Neuanbahnung eines guten Verhältnisses zu dem von zwei Kriegen schwer getroffenen Land sollte die Bundesregierung die eingefrorenen irakischen Guthaben freigeben, um dem Irak den kontrollierten Ankauf von Lebensmitteln, medizinischen Gütern und solchen Waren zu ermöglichen, die zur Wiederherstellung der Wasser- und Abwasserwirtschaft, in der Landwirtschaft, sowie zur Behebung kriegsbedingter Umweltschäden, benötigt werden.