Parlamentsbeteiligung als Hürde?

Die Koalition sucht nach Hintertüren

von Kathrin Vogler

In den letzten Wochen hat die Bundesregierung in Sachen Bundeswehr die Offensive ergriffen. Das Ende des bisherigen und den Beginn eines neuen Afghanistanmandats vor Augen, steuert die große Koalition massiv auf weitere, mehr und längere Bundeswehreinsätze zu. Die „militärische Zurückhaltung“, von der noch im schwarz-gelben Koalitionsvertrag von 2009 die Rede war, ist nicht einmal mehr ansatzweise zu erkennen.

Nur selten wird allerdings offen von einer Ausweitung der Bundeswehreinsätze gesprochen. Stattdessen werden diese Forderungen in angenehm klingenden Phrasen versteckt. So sprachen sowohl Bundespräsident Gauck als auch Außenminister Steinmeier bei der Münchener „Sicherheitskonferenz“ darüber, dass Deutschland „mehr Verantwortung“ in der Welt übernehmen müsse, Verteidigungsministerin von der Leyen warb dort für mehr „europäische Kooperation“. Das klingt gut, verheißt aber nichts Gutes. Letzten Endes geht es um das, was im Koalitionsvertrag beschrieben ist: „Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern wollen wir zu schwach ausgebildete Fähigkeiten stärken und die Durchhaltefähigkeit erhöhen. Wir streben einen immer engeren Verbund der europäischen Streitkräfte an, der sich zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee weiterentwickeln kann.“

Die Stärkung von Fähigkeiten bedeutet auf gut deutsch ‚Aufrüstung‘ und die Erhöhung der Durchhaltfähigkeit, langfristige Kampfeinsätze in aller Welt‘. Gleichzeitig werden neue Missionen vorbereitet, wie etwa bei der Beseitigung der Chemiewaffen in Syrien oder zur Ausbildung von Streitkräften in Somalia, dem Schauplatz eines der ersten größeren ‚Out-of-Area-Einsätze‘ der Bundeswehr vor jetzt 21 Jahren. Wie eine ‚europäische Armee‘ parlamentarisch kontrolliert werden soll, wo die Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik der EU bislang vor allem eine Regierungsangelegenheit ist, bleibt ebenfalls zweifelhaft.

Zurück nach Deutschland: Obwohl das Parlamentsbeteiligungsgesetz von 2005 bislang noch kein einziges Mal dazu genutzt wurde, einen von der Bundesregierung vorgelegten Bundeswehreinsatz abzulehnen oder zu beenden, steht es in dieser Legislaturperiode auf der inoffiziellen Abschussliste der Regierungsparteien. Denn die öffentliche Debatte im Parlament zwingt die Regierung dazu, jeden einzelnen Bundeswehreinsatz in Konfliktregionen öffentlich zu begründen und der Kritik der parlamentarischen wie der außerparlamentarischen Opposition auszusetzen.

Dass auch in den Regierungsparteien Unmut über die regelmäßige ‚Abnickerei‘ der Militäreinsätze und die Militarisierung der deutschen Außenpolitik herrscht, belegt ein Vorgang von Ende Januar. Der Abgeordnete Peter Gauweiler (CSU) und der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Philipp Mißfelder (CSU) forderten mit einem Brief den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU) auf, eine eigenständige Auswertung des Afghanistaneinsatzes durch den Bundestag vornehmen zu lassen und dazu den ehemaligen Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier in den Ausschuss einzuladen. Papier ist Mitautor des von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) herausgegebenen Textes „Selig sind die Friedfertigen. Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik“. Um die Bedeutung dieses Vorstoßes zu begreifen, muss man wissen, dass die Einladung externer Sachverständiger im Auswärtigen Ausschuss keineswegs alltäglich ist. In der Regel tagt dieser streng nichtöffentlich und lässt sich von der Bundesregierung, vom diplomatischen Dienst oder von den Geheimdiensten über die Lage in einzelnen Ländern und Regionen informieren.

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD formuliert vorsichtig: „Wir wollen die Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten auch angesichts vermehrter Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit unseren Partnern sicherstellen. Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldatinnen und Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein.“

Dazu will die Koalition eine Kommission einrichten, die „binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können“. Inzwischen wurde bekannt, dass diese Kommission von Volker Rühe geleitet werden soll, der als erster Verteidigungsminister Auslandseinsätze der Bundeswehr systematisch vorantrieb, und vom SPD-Politiker Walter Kolbow.

Daneben findet sich im Koalitionsvertrag ein eindeutiges Bekenntnis zur NATO und zu deren Konzept der ‚smart defence‘, zu mehr militärischer Integration im Rahmen des EU-Konzepts ‚pooling and sharing‘ sowie zu einer stärkeren Vernetzung ziviler und militärischer Mittel der deutschen und europäischen Außenpolitik.

Aber auch ganz konkret wird die Aushöhlung der Parlamentsbeteiligung vorangetrieben. So gab es im November 2013, noch vor Verabschiedung des Koalitionsvertrags, den Versuch von Union und SPD, das Mandat der Operation Active Endeavour (OAE) im Mittelmeer still und heimlich auslaufen zu lassen, keine Verlängerung im Bundestag zu beantragen und dann aber doch mit der Bundesmarine in diesem NATO-Einsatz mitzumachen. OAE, so erklärte Hans-Peter Bartels von der SPD am 28.1. den erstaunten Abgeordneten von LINKEN und Grünen, sei „eher symbolisch“, eine Verlängerung sei nicht geplant, aber die NATO müsse dennoch im Mittelmeer präsent sein und daran solle sich auch Deutschland beteiligen. Er erklärte auch: „Es ist aber auch klar, dass es, wenn es keine bewaffnete Unternehmung gibt, keine Mandatierung durch das Parlament geben muss. Wir müssen den Parlamentsvorbehalt nicht ins Leere laufen lassen.“ Knapp zwei Monate später erneuerte die Große Koalition das Bundeswehrmandat für OAE. Von einer Fortsetzung des Einsatzes ohne Mandat hatte man – diesmal noch – Abstand genommen. Möglicherweise hatte es sich bei dem Manöver um einen Testlauf gehandelt, mit dem geprüft werden sollte, wie vehement die Opposition die Rechte des Parlaments verteidigen würde. Weitere Testläufe stehen bevor. So wurde am 12. Februar dieses Jahres bekannt, dass die Bundesregierung eine Beteiligung von Kriegsschiffen zur Sicherung US-amerikanischer Truppen bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen vorbereitet. Hierzu zitiert die Frankfurter Rundschau Außenminister Steinmeier: „Wir sind bereit, uns mit maritimen Fähigkeiten im Verbund mit anderen Staaten zu beteiligen“. Details zum Umfang und zum möglichen Beginn des neuen Einsatzes nannte er nach Angaben der Zeitung nicht. Geklärt werden müsse „ob dazu ein Mandat des Bundestags erforderlich ist. An einer breiten Mehrheit gäbe es keinen Zweifel.“

Wie diese „breite Mehrheit“ zustande kommt, und warum Abgeordnete auch gegen eigentlich besseres Wissen und manchmal sogar gegen ihr Gewissen solchen Einsätzen zustimmen, habe ich 2011 für den Bund für Soziale Verteidigung beschrieben. (http://www.soziale-verteidigung.de/news/meldungen/infoblatt-vier-fallen-...) Auch die aktuelle Debatte um eine mögliche Öffnung der SPD zu Kooperationen mit der LINKEN belegt eindrucksvoll, dass die Abgeordneten in dieser Entscheidung nur selten frei und sachbezogen agieren können. Die Zustimmung zu Bundeswehreinsätzen, auch zu Kampfeinsätzen, scheint inzwischen zur unabdingbaren Voraussetzung für Regierungsbeteiligung geworden zu sein. Es ist gut, dass es in der LINKEN dagegen noch solide Mehrheiten gibt und diese eine Fraktion im Bundestag immer wieder demonstriert, dass man sehr wohl auch nein sagen kann. Aber das allein reicht nicht, um einen neuen, friedensorientierten Kurs in der deutschen Außenpolitik anzubahnen, denn diese Position wird den Angriffen von außen und innen nur standhalten können, wenn sich die überwiegenden Mehrheiten in der Bevölkerung gegen Bundeswehreinsätze in konkrete Bewegung umsetzen. Erst, wenn jede und jeder Abgeordnete im eigenen Wahlkreis Rechenschaft ablegen muss, warum sie oder er den Auslandseinsätzen jeweils zugestimmt hat, dann können aus Umfragemehrheiten auch parlamentarische Mehrheiten werden.

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