Tagungsbericht

Friedensarbeit intersektional denken

von Ralf Buchterkirchen
Initiativen
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Wie hier im Friedensforum spielt das Thema Gender in der Friedensarbeit eine immer größere Rolle. Was der Friedensbewegung jedoch fehlt, ist eine weitergehende Perspektive, die von einem intersektionalem Ansatz heraus auch „race“ und Klasse mit einbezieht und vor allem eigene Privilegierung in den Blick nimmt. Diese Lücke versuchte ein Symposium in Hannover zu schließen.

Am 1. Februar fand in Hannover die Tagung „Feministische Friedensarbeit: Reflexion. Organisation. Thema - Gender und Intersektionalität als Chancen der antimilitaristischen und pazifistischen Arbeit“ statt. Dieses Symposium kann und wird unzweifelhaft der Ausgangspunkt für weitere Veranstaltungen zum weiten Themenfeld „Frieden und Intersektionalität“ sein. Initiiert wurde es von Aktiven aus der DFG-VK, die sich in einer Projektgruppe (und inzwischen institutionalisierten Arbeitsgemeinschaft der DFG-VK) „bertha – Werkstatt für intersektionale Friedensarbeit“ zusammengefunden haben. Die Organisator*innen planten anfangs mit 40 Teilnehmenden. Zählt man diejenigen mit, denen aus Platzgründen abgesagt werden musste bzw. die selbst kurzfristig absagten und somit für Nachrücker*innen Platz machten, interessierten sich beinahe 150 Menschen für die Veranstaltung, bei überschaubarem Werbeaufwand. Knapp 100 Personen waren dann dabei und diskutierten einen Tag lang über die Chancen und Möglichkeiten, Friedensarbeit intersektional aufzustellen. Die Anwesenden waren: zahlreiche, meist weiße, Aktivist*innen aus der Friedensbewegung, People of Color (PoC), in der Regel aus anderen aktivistischen Zusammenhängen, Vertreter*innen der Friedens- und Konfliktforschung und andere Interessierte. Das Spektrum der Teilnehmer*innen war breit gefächert, was der Veranstaltung sehr gut tat, da unterschiedliche Perspektiven und Expertisen zusammenkamen.

Dass das Symposium stattfinden konnte, ist nicht unerheblich der DFG-VK auf Bundesebene, dem Landesverband Niedersachsen-Bremen sowie der Gruppe Hannover zu verdanken. Stiftung Leben und Umwelt – Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen, Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen, KURVE Wustrow und die AG Gender und Frieden des BSV förderten die Veranstaltung finanziell und/oder ideell.

Was ist eigentlich Intersektionalität?
Einfach gesagt, zielt Intersektionalität darauf ab, unterschiedliche gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse – und zwar Geschlecht, „race“ und Klasse – in ihrer Verschränkung zu betrachten. Auf diese Weise können Diskriminierungen und Gewalt, von denen Menschen betroffen sind, besser verstanden werden. Gleichzeitig kommt der gesellschaftliche Hintergrund in den Blick, also die Herrschaftsverhältnisse, die die kapitalistische Gesellschaftsordnung strukturieren. Historisch hat die Intersektionalitätsdebatte ihren Ursprung in der Erfahrung Schwarzer Frauen und Lesben, die sich im Feminismus weißer westlicher Mittelstandsfrauen nicht wiederfanden. Der Begriff Intersektionalität wurde Ende der 1980er Jahre von der Schwarzen Juristin Kimberleé Crenshaw geprägt, die mit dem Bild einer Straßenkreuzung (intersection), auf der sich Machtwege überkreuzen und überlagern, die Verwobenheit sozialer Ungleichheiten zu illustrieren versuchte. Im Aktivismus von People of Color entwickelt und in den vergangenen Jahren auch im akademischen Kontext diskutiert, wird es Zeit, dass auch weitere politische Bewegungen – konkret die Friedensbewegung – das Konzept der Intersektionalität nutzen, um gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse und Machtstrukturen angemessen in den eigenen Analysen und Ableitungen berücksichtigen zu können. Damit können beispielsweise Rekrutierung, Kriegsursachen, Kriegsführung, gesellschaftlich diskutierte Kriegsgründe etc. hinterfragt und auf Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmuster abgeklopft werden.

Was hat das Ganze mit der Friedensbewegung zu tun?
Kriege und Konflikte treffen Menschen in unterschiedlicher Art und Weise und haben verschiedene Wirkungen. Erst die kritische Analyse und Reflexion – auch verbunden mit mitunter schmerzhafter Selbstreflexion – ermöglichen fundierte Erkenntnisse und passgenaue Lösungen.

An einem einfachen Beispiel lassen sich die Ebenen von intersektionalem Denken in der Friedensarbeit umreißen: Antirekrutierungsarbeit sollte auf alle potenziellen Rekrut*innen abzielen, zielt bisher aber überwiegend auf junge weiße Männer. Inwieweit es beispielsweise migrantische Auseinandersetzung zum Thema gibt, hat ‚uns‘ bislang nicht interessiert. Auch folgende Fragestellungen blieben bisher außer Acht: Warum gehen People of Color (PoC) zur Bundeswehr? Ist es erwartete Anerkennung? Oder sind es geringere Chancen auf dem Berufsmarkt aufgrund rassistischer Diskriminierung? Wie verträgt sich das mit rassistischen und neonazistischen Skandalen beim Bund? Hier spielen also Klasse und „race“ eine Rolle. Wie erreichen ‚wir‘ diese Personen? Analog kann die Frage gestellt werden: Was treibt Frauen zur Bundeswehr? Gibt es hier spezifische Gründe? Wie müssen Konzepte der Antirekrutierung aussehen, die diese Gruppen einbeziehen? Und: Mit welcher Position und welchen innewohnenden Privilegien vermitteln ‚wir‘ – als Aktive in der Friedensbewegung – Antirekrutierungsarbeit?

Die Tagung
Der Vortragsteil war so angelegt, dass ausgehend von Reflexionen zu Geschlecht (Gesa Bent) sowie zu Rassismus und Kolonialismus (Mai Ali Shatta) das Konzept der Intersektionalität mit seiner Bedeutung für die praktische Arbeit (Joanna Mechnich) vorgestellt wurde. Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß.

Im Eröffnungsvortrag „Frieden und Gender. Möglichkeiten und Herausforderungen von Ansätzen in ihrer praktischen Umsetzung“ legte Gesa Bent den Schwerpunkt auf die Kategorie Geschlecht. Nach einer kurzen Vorstellung der relevanten Definitionen von Gender, Intersektionalität und Gender Mainstreaming schlug Bent Möglichkeiten vor, wie Gender Mainstreaming in Friedensorganisationen implementiert werden könnte. Wichtig sei, dass ein planvoller, offener und fehlerfreundlicher Prozess auf den Weg komme. Anhand zweier Beispiele machte die Referentin das Vorgehen deutlich, wie ein solcher Prozess vorangebracht werden kann.

Die für die erkrankte Katharina Oguntoye kurzfristig eingesprungene Trainerin und Aktivistin Mai Ali Shatta erläuterte in ihrem Referat mit direkten Bezügen zu eigenen Erfahrungen rassistische gesellschaftliche Strukturen und die Folgen des Kolonialismus, der bis heute die deutsche Gesellschaft und den Umgang mit Schwarzen Menschen prägt. Jeder Konflikt, den sie als PoC wahrnehme, sei kolonial bedingt. Schwarz/weiß kennzeichnete Shatta als die zentrale Kategorie zur Unterscheidung von Menschen. Anhand dieser Kategorie werde der Umgang der Menschen miteinander bis hin zu Kleidung und Aussehen definiert. Mai Ali Shatta schlug immer wieder den Bogen zur Praxis von friedens-(politisch) aktiven Organisationen. Ohne ernstzunehmende Beschäftigung mit ihren eigenen kolonialen und rassistischen Strukturen und Herausforderungen würden sie etwa beschließen, dass sie „dann einfach in den Konflikt im Sudan eingreifen“ könnten. Aus einer derart unreflektierten Position heraus sei es kein Wunder, dass es in Deutschland einerseits kein wirkliches Verständnis von Rassismus als immer noch existenter Struktur gebe und andererseits Friedens- und Entwicklungsarbeit immer noch ein kolonialrassistisches Problem habe.

Der abschließende der Eingangsvorträge wurde von Joanna Mechnich zum Thema „‘Intersektionalität‘ - was soll das denn? Von ‚race‘, class, gender – eine Unterdrückungsgeschichte und ihre emanzipatorischen Gegenentwürfe“ gehalten. Wichtig für intersektionale Arbeit ist es, so Mechnich, eine kritische Sprache zu entwickeln. Feminismus und Antirassismus nicht intersektional zu denken, befördere nur bestehende Missstände. Nach gängiger feministischer Theorie genüge allein die Kategorie „Frau“, um für die Rechte aller Frauen zu kämpfen. Das sei falsch. Vielmehr gelte es, die vielfältigen Erfahrungen von Frauen – u. a. in Bezug auf Rassismus – in den Blick zu bekommen. Ein verbreiteter Fehler sei es, Rassismus aus einer männlichen Perspektive zu betrachten. Anhand konkreter Beispiele machte Mechnich den – schlechten – Stand intersektionalen Denkens in Deutschland deutlich. So fehle weitgehend die (kritische) Beschäftigung mit Weiß-Sein und den damit verbundenen Privilegien. In der Folge werde Rassismus nicht als solcher erkannt. Abschließend stellte Mechnich notwendige Bedingungen für eine mögliche intersektionale Friedensarbeit auf. Dazu stellte sie insbesondere fest, dass Wissens(re)produktion hauptsächlich im globalen Norden stattfindet und hauptsächlich durch weiße Männer erfolgt. Eine institutionalisierte Selbstreflexion und postkoloniale Ansätze fehlen bisher.

Aufgabe der Friedensbewegung sei es entsprechend, die eigenen Strukturen zu reflektieren und daran anschließend die eigenen Organisationen intersektional aufzustellen.

Den Hauptteil der Tagung machten dreistündige Workshops aus, die sich aus verschiedenen Perspektiven individuell dem Thema näherten. In den Workshops und im Abschlussplenum wurde diskutiert, wie sich Friedensarbeit intersektional neu aufstellen kann. Auch wenn die Debatte erst am Anfang steht, wurden einige Ansätze deutlich. Wichtig sei es etwa, intersektionalen Themen Raum in der Praxis zu geben, sowohl nach innen als auch nach außen. Marginalisierte Gruppen in der Friedensbewegung müssten sichtbar werden, und Intersektionalität müsse selbstverständlicher Bezugspunkt aller Materialien und Veranstaltungskonzepte werden – das könne bis hin zur Einforderung einer intersektionalen Betrachtungsweise als Voraussetzung für den Erhalt von Geldern reichen.

Mit bertha wird innerhalb der DFG-VK und darüber hinaus die Arbeit weitergehen. Mehr Infos – u.a. einen ausführlichen Tagungsbericht und fortlaufend aktualisierte Infos – gibt es auf www.friedensbertha.de. Wer interessiert ist, sich in die intersektionale feministische Friedensarbeit einzubringen, schreibe bitte an: info [at] friedensbertha [dot] de .

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