Menschenrechte grob verletzt

von Paul Russmann

Die Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) legt seit 1997 jährlich einen Rüstungsexportbericht vor. Dieser stellt öffentlich verfügbare Informationen über die deutschen Ausfuhren von Kriegswaffen und Rüstungsgütern zusammen und ordnet sie in das politische Umfeld ein. Er versteht sich auch als Reaktion auf die jährlichen Rüstungsexportberichte der Bundesregierung. Dies geschieht in der Absicht, den Stellenwert der deutschen Rüstungsausfuhren im Zusammenhang der Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik herauszuarbeiten und um die Grundlagen für einen Dialog mit den Trägern politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verantwortung bereitzustellen. Der »Fachgruppe Rüstungsexporte« gehören Vertreter der Kirchen, Fachleute aus wissenschaftlichen Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen an. Der folgende Beitrag, den Ohne Rüstung Leben auch als Flugblatt verteilt, fasst die wesentlichen Ergebnisse des GKKE-Rüstungsexportberichtes von 2011 zusammen.

Der Wert der im Jahr 2010 exportierten Kriegswaffen liegt mit 2,119 Milliarden Euro erheblich über dem Stand von 2009 mit 1,339 Milliarden Euro; ein Anstieg von mehr als 50 Prozent. Der Rekordumsatz mit Kriegswaffen beruht insbesondere auf dem Export von zwei U-Booten nach Portugal und einem U-Boot in das hoch verschuldete Griechenland. Der Wert der Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter ist im Jahr 2010 mit 4,754 Milliarden im Vergleich zu einem Wert von 5,043 Milliarden Euro in 2009 leicht zurückgegangen.

Der Wert von genehmigten Rüstungslieferungen in Länder, die mindestens vier der Kriterien des EU-Verhaltenskodexes nicht erfüllen, hat deutlich zugenommen. Sie stellen damit nach Auffassung der GKKE eine eindeutige Missachtung der EU-Richtlinien dar. Zu den problematischsten Empfängerländern gehören die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien, Irak und Ägypten. Im Jahr 2010 erhielten 48 Länder, deren Menschenrechtssituation als sehr bedenklich eingestuft wird, Liefergenehmigungen, in 49 Empfängerländern gab es interne Gewaltkonflikte. Geographisch bildeten Staaten in der Region des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrika eine der größten Gruppen der „problematischen“ Empfängerstaaten.

Kleine und leichte Waffen
Waffen und Rüstungsgüter werden beschönigend als Erzeugnisse der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie bezeichnet. Schaut man dagegen genauer auf Waffengeschäfte, so entpuppen sich Rüstungstransfers häufig als Exporte von Risiken für Frieden und Sicherheit. Besonders deutlich zeigt sich das bei der Ausfuhr von kleinen und leichten Waffen. Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan hat sie zu Recht als „Massenvernichtungswaffen des kleinen Mannes“ bezeichnet. Deutschland zählt nach den USA und Italien weltweit zu den größten Herstellerländern von kleinen und leichten Waffen. Die deutschen Exporte von kleinen Waffen und Munition haben sich seit 1998 vervierfacht. Waffen deutscher Herkunft tauchen auf fast allen Schauplätzen gegenwärtiger Gewaltkonflikte auf. Waffenfunde in Georgien, Mexiko oder Libyen zeigen, dass Endverbleibszusagen ins Leere laufen.

Im Jahr 2010 ist, wie in den Vorjahren, die Ausfuhr von über 40.000 kleinen und leichten Waffen aus Deutschland genehmigt worden. Relevante Abnehmer unter den Drittstaaten finden sich im Mittleren Osten (Katar, Kuwait, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate), in Südasien (Brunei, Indien, Indonesien, Malaysia, Philippinen) und in Südamerika (Brasilien, Chile). Verglichen mit der deutschen Ausfuhr von Großwaffensystemen ist der wertmäßige Anteil der Exporte von kleinen und leichten Waffen sowie von Munition gering (ca. 120 Millionen Euro jährlich). Angesichts der Risiken für Frieden, Sicherheit und Entwicklung ist der potentielle Schaden jedoch erheblich. Die Expansion der hiesigen Kleinwaffenexporte widerspricht allen Bemühungen, der „Kleinwaffenplage“ Einhalt zu gebieten.

Dual-use-Güter
Auch der Handel mit „Dual-use-Gütern“, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können, vollzieht sich ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei erreichen die Genehmigungswerte durchaus das Niveau der Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter (2010: 4,8 Milliarden Euro). In diese Angaben sind nicht die Transfers von Gütern eingegangen, die sich in Waffensysteme einbauen lassen, deren Export aber nicht der Genehmigungspflicht unterliegt. Gravierend ist das besonders für das Segment der Motoren und Getriebe. Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstitutes SIPRI verweisen auf die Lieferung von deutschen Motoren für Kriegsschiffsexporte an Brasilien, Kolumbien, Spanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Venezuela. Motoren deutscher Herkunft treiben gepanzerte Fahrzeuge u. a. in Angola, China, Griechenland, Indien, Iran, Israel, Neuseeland, Südkorea, Spanien, in der Türkei oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten an.

Die Bundesregierung blockiert Bemühungen der Europäischen Union, schärfere Kontrollen einzuführen. Aus Sicht der GKKE haben Risiken für Sicherheit und Nichtverbreitung das Nachsehen gegenüber der Rücksichtnahme auf Interessen der Rüstungsindustrie und von Zulieferern.

Beispiel Saudi-Arabien
Anfang Juli 2011 wurde über die Presse bekannt, dass die Bundesregierung die Ausfuhr von mehr als 200 Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 A7+ nach Saudi-Arabien im Grundsatz gebilligt habe. Sowohl die GKKE als auch Repräsentanten unserer beiden Kirchen haben die mutmaßliche Exportgenehmigung als unannehmbar verurteilt. Die Menschenrechte werden in Saudi-Arabien aufs Gröbste verletzt. Die Rüstungsdynamik in der Region wird mit dieser Lieferentscheidung weiter angeheizt. Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien widersprechen darüber hinaus der deutschen Außenpolitik, die sich zur Unterstützung der arabischen Demokratiebewegungen bekannt hat. Das Argument, dass dieser Rüstungsexport zur Stabilität in der Region beitrage, kann aus unserer Sicht nicht akzeptiert werden.

Chance nutzen – Konsequenzen ziehen!
Im Jahr 2012 steht die Überprüfung des „Gemeinsamen Standpunkts der Europäischen Union“ für Rüstungsexporte aus dem Jahr 2008 an. Die GKKE mahnt, die sich jetzt bietende Chance zu nutzen und Konsequenzen aus den Waffenlieferungen an autoritäre und repressive Regime im arabischen Raum zu ziehen. Deren verhängnisvolle Wirkungen sind während der ersten Hälfte des Jahres 2011 im Kontext der arabischen Auf- und Umbrüche drastisch zu Tage getreten. Die Waffen haben dazu beigetragen, dass ein hohes Gewaltpotential freigesetzt wurde, erhebliches menschliches Leid erzeugt, Entwicklungspotentiale zerstört und politisch-institutionelle Unwägbarkeiten geschaffen wurden. Die GKKE fordert die Bundesregierung auf, mit einer restriktiven Rüstungsexportkontrolle Lehren aus diesen Fehlentwicklungen zu ziehen. Darüber hinaus sollte sie sich mit Nachdruck für ein strenges und verbindliches europäisches Regelwerk zur Kontrolle von Rüstungsexporten jenseits nationaler Kompetenzen einsetzen.

Der vollständige Rüstungsexportbericht 2011 der GKKE kann als PDF-Datei unter http://www3.gkke.org/fileadmin/files/downloads-allgemein/GKKE_56_REB_201... bezogen werden.

Die gedruckte Broschüre (DIN A5, 120 Seiten) kann – solange der Vorrat reicht – kostenlos bei der Geschäftsstelle von Ohne Rüstung Leben angefordert werden.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt