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Bericht über die IX. END-Convention in Helsinki/Tallinn
Verpaßte Chancen
vonDie END-Convention, das zum neuntenmal veranstaltete alljährliche Treffen der internationalen Friedensbewegung, diesmal vom 3. bis 7. Juli 1990 in Helsinki und Tallinn, hat leider die einmalige Chance verpaßt, in der durch den Umbruch in Mittel- und Osteuropa entstandenen historischen Situation ein auch öffentlich sichtbares deutliches Zeichen für eine Blocküberwindung und Demilitarisierung Europas zu setzen. Die Appelle von END-Veteranen wie John Lambert und E.P. Thompson, sich auf die im Gründungsaufruf von 1980 festgelegten END-Ziele zurückzubesinnen und die Friedensbewegung in Europa wieder sichtbar zu machen, verhallten ungehört.
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Preis: 24,80 DM
Wer den END-Prozeß seit Jahren verfolgt, hatte eigentlich auch nichts anderes erwartet. Es wäre - sieht man vom END-Gründungsappell ab - das erstemal gewesen, daß sich die Convention zum Abschluß zu einer profilierten Erklärung zusammengerauft hätte. Deshalb gab es auch diesmal nicht einmal den Versuch dazu. Die Initiative hätte eigentlich vom Liaison-Komitee ausgehen müssen. In diesem END-Lenkungsgremium, das aufgrund der immer weiter steigenden Mitgliederzahl von Organisationen und Gruppen - der Zeit rund 80 - aus den europäischen Ländern mittlerweile fast handlungsunfähig geworden ist, blockieren sich jedoch die verschiedenen Strömungen, zumindest soweit es um inhaltliche Profilierung geht.
Das einzig Neue und Erfreuliche an der diesjährigen Convention mit ihren 1150 Teilnehmern aus 44 Ländern war die durch den Umbruch in Mittel- und Osteuropa möglich gewordene erstmalige zahlenmäßig starke Beteiligung von VertreterInnen von Friedensgruppen aus fast sämtlichen osteuropäischen Ländern, davon allein 160 aus der Sowjetunion und 76 aus Estland. Damit ist ein Konfliktpunkt, der den END-Prozeß über Jahre hinweg stark belastet hat, endlich ausgeräumt. Die größte Delegation kam mit 233 Leuten vom Mitgastgeber Finnland. Beachtliche Delegationen hatte auch Italien (99), Schweden (84( und Großbrritannien (73) geschickt. Die bundesdeutsche Delegation, vorwiegend mit Grünen und SPD-nahen Vertretern bestückt, umfaßte rund 20 Teilnehmer. Aus der DDR waren laut Registrierung 14 Leute dabei, darunter zwei SPD-Volkskammerabgeordnete, Grüne und PDS-Vertreter.
Der Verlauf der Convention bewegte sich im üblich gewordenen Rahmen. Der blassen Eröffnung in der Finlandia-Halle (vor 15 Jahren wurde dort die Helsinki-Schlußakte unterzeichnet) mit dem früheren nicaraguanischen Außenminister D'Escoto anstelle des kurzfristig verhinderten Daniel Ortega als einzigem halbwegs bekannten Redner folgten über zwei Tage in Helsinki und - nach einem gemeinsamen Fährtrip über die Ostsee - über drei Tage in Tallinn rund 50 Plenarsitzungen, Follow-ups und Workshops mit einer ganzen Bandbreite von Themen vom Frieden über Umwelt, "Dritte Welt" und Demokratisierung bis hin zu Nationalitätenfragen. Weniger und dafür konzentrierter wäre mehr gewesen. Aber das Liaison-Komitee wollte eben allen Strömungen gerecht werden. Bei den einzelnen Veranstaltungen wurde auf im Durchschnitt eher niedrigen inhaltlichen Niveau viel und kaum handlungsbezogen frontal berieselt und zu wenig diskutiert. Kommunikation spielte sich meist außerhalb der zeitweilig halbleeren Veranstaltungsräume ab. Man traf wie immer alte Freunde von früheren Conventions, lernte neue kennen, tauschte Informationen und Erfahrungen aus - eine zweifelsohne positive Seite der Convention, aber zu wenig, um von einem Erfolg zu sprechen. Die fehlende inhaltliche Zuspitzung und die Abwesenheit von bekannten politischen Personen hatte zur Folge, daß sich die Convention von der Lokalpresse abgesehen in den wichtigen Medien überhaupt nicht niederschlug. Was für eine vertane Chance, wenn man bedenkt, daß zeitgleich der NATO-Gipfel in London in London stattfand! Zu vermerken gilt es schließlich, daß die nach dem Eklat beim Abschluß der letzten Convention in Vittoria im spanischen Baskenland von Skeptikern befürchtete Instrumentalisierung der Convention für Zwecke der estnischen Unabhängigkeitsbewegung nicht stattfind. Die Convention endete wie sie begonnen hatte: Mit einer akzentlosen Schlußsitzung, aus der lediglich der Appell des britischen Historikers und Großvaters von END, E.P. Thompson, an die Friedensbewegung in BRD und DR erwähnenswert ist, so rasch wie möglich gegen die Vereinnahmung der DDR durch die NATO zu mobilisieren. Zwischenzeitlich wurde diese Aufforderung von maßgeblichen Vertretern der englischen Friedensbewegung in einem Brief an die deutsche Friedensbewegung wiederholt und Unterstützung zugesagt.
Die X. Convention wird vorraussichtlich in Moskau stattfinden. So hat es das Liaison-Komitee zumindest grundsätzlich mit großer Mehrheit gegen die Stimmen von Vertretern der Grünen aus mehreren europäischen Länder beschlossen. Vorher soll es - so eib deutscher Vorschlag - im November ein Treffen in Berlin geben, bei dem die Zukunft von END und die NATO-Frage auf der Tagesordnung stehen.