Zivile Gesellschaft oder Konflikt? Makedonien

von Duncan Perry
Hintergrund
Hintergrund

Die Nachricht ging angesichts der Kriegsmeldungen aus Bosnien beinahe unter: Makedonien, seit 1993 unabhängig und Mitglied der UNO und der EU - Mitgliedsstaat Griechenland vereinbarten Mitte September nach langen Verhandlungen unter Vermittlung von UN und USA die Normalisierung ihrer Beziehungen. Beide Länder erkennen sich gegen­seitig an, Griechenland hebt sein Embargo gegen Makedonien auf und Makedonien stimmte zu, seine Fahne zu ändern, die bislang den sech­zehnstrahligen "makedonischen Stern" zeigte. Duncan Perry erläutert in dem folgenden Beitrag Hintergründe der vielfältigen Probleme dieser jüngsten Republik Ex - Jugoslawiens.

Mazedonien ist ein antikes territoriales Konzept, dessen Umrisse sich im Laufe der Jahrhunderte, seit Alexander der Große (336-321 v.Chr.) der Region zu Berühmtheit verhalf, vielfach änderten. Im 14. Jahrhundert wurde es Teil des Osmanischen Reiches und blieb es für die nächsten fünfhundert Jahre, bis das osmanische Makedonien zwischen Bul­garien, Griechenland und Serbien in Folge des Vertrags von Bukarest aufge­teilt wurde, der den Zweiten Balkani­schen Krieg 1913 beendete.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam das Gebiet der heutigen Republik Makedo­nien als "Südserbien" zu Belgrad. Titos Politik im Zweiten Weltkrieg hatte einen multiethnischen und multikul­turellen südslawischen Staat zum Ziel, der die künftige Republik Makedonien einschließen sollte. Zu diesem Zweck förderte er 1942 eine eigene makedoni­sche Nationalität, die es in den Jahrhun­derten zuvor nur in Ansätzen gegeben hatte. Heute, fast drei Generationen nach ihrer offiziellen Anerkennung in­nerhalb Jugoslawiens, besteht unbe­streitbar eine makedonische nationale Identität mit einer eigenen Kultur und Sprache. Und zwar nicht nur in der Re­publik Makedonien, sondern auch in seiner großen Exilgemeinde, die vor al­lem in Australien, Kanada, Schweden und den USA zu Hause ist.

Eine unfreundliche Nachbarschaft

Die Republik Makedonien hat vier un­mittelbare Nachbarn. Serbien, sein nördlicher Nachbar, nahm in den nach -jugoslawischen Jahren abwechselnd eine freundliche und drohende Haltung ein. Historisch haben beide starke ge­meinsame ökonomische Interessen, die trotz der UN - Wirtschaftsblockade ge­gen Serbien, die die Regierung in Skopje offiziell einhält, teilweise be­wahrt blieben. Ein weiteres verbinden­des Glied ist, daß beide Länder große und zusammenhängende albanische Be­völkerungen haben - Serbien in der Pro­vinz Kosovo, Makedonien in einem Halbmond, der in Kumanovo beginnt, sich westlich durch Skopje und Tetovo streckt und sich nach Süden durch Go­stivar und Debar nach Struga ausdehnt. Die Tatsache, daß beide Staaten eine "Albanische Frage" haben, könnte ent­scheidend sein, falls in Makedonien die Probleme zwischen ethnischen Make­doniern und makedonischen Albaniern überkochen sollten.

Albanien im Westen hat sich immer wieder in makedonische Angelegenhei­ten eingemischt, obwohl es von den USA gebremst wird und obwohl es Zu­sammenarbeit an der ökonomischen Front gibt. Ethnische Makedoniertendie­ren dazu, der Ansicht zu sein, daß das Regime von Präsident Sali Berisha die makedonische Stabilität unterminiere, indem es die makedonischen Albaner dazu ermutige, der Regierung und Ver­fassung Makedoniens Widerstand zu leisten. Dies im Interesse des Kampfes für Rechte der Albaner und, so meinen viele ethnische Makedonier, eines Großalbaniens. Die albanischen Wort­führer leugnen, ein Großalbanien schaf­fen zu wollen, das Albanien, den Ko­sovo und die albanisch bevölkerten Teile der Republik Makedoniens umfas­sen würde. Aber sie argumentieren, daß die Albaner, die mit 20 bis 40 Prozent die größte Minderheit im Staat darstel­len, es verdienen, als gleichberechtigte Nation in der Republik anerkannt zu werden. (Wie z.B. Flamen und Wallo­nen gleichberechtigte Nationen in Bel­gien sind; d.Übs.) Im Süden hat die Re­publik Makedonien eine gemeinsame Grenze mit Griechenland. Griechenland war wütend über die Verwendung des Wortes "Makedonien" im offiziellen Namen des neuen Staates. Es ärgerte sich auch über die Verfassung der Re­publik, die, wie Griechen behaupten, expansionistische Absichten gegenüber Griechisch-Makedonien ausdrücke. Skopjes Wahl eines sechzehnstrahligen Sterns, der mit Philip dem II von Make­donien (357-336 v.Chr.) in Verbindung gebracht wird, als Zentrum der neuen Staatsflagge stellte ein weiteres Ärger­nis für Griechenland dar. Athens Ant­wort war, zu versuchen, die makedoni­sche Wirtschaft zu ersticken, indem der Hafen Thessaloniki blockiert wurde, der vorher Makedoniens wichtigstes Tran­sitlager darstellte. Sektoren der griechi­schen Wirtschaft leiden aufgrund des Embargos und das Image des Staats als ein Möchtegern-westliches Land wurde durch das, was viele als einen willkürli­chen Versuch ansehen, ein bereits schwaches und wehrloses Land im Zen­trum des Balkans zu destabilisieren, be­schädigt. Das Embargo hat Skopje ge­zwungen, alternative Handelswege zu finden. Albanien, Bulgarien und die Türkei bekamen eine wesentlich größere Rolle im makedonischen Handel. Grie­chenland, das 1991 eine Chance gehabt hatte, die makedonische Wirtschaft zu beherrschen, könnte langfristige Verlu­ste als Folge der Veränderung im Han­del erleiden.

Beim griechisch-makedonischen Streit geht es um mehr als demagogische Po­litik, nationale Symbole und linguisti­sche Ansprüche. Griechenland erkennt keine makedonische Minderheit inner­halb seiner eigenen Grenzen an, obwohl es eine kleine besitzt, vermutlich zwi­schen 10.000 und 50.000 Köpfe zäh­lend. Hingegen behauptet es, daß in Griechenland nur slawisch- sprachige Griechen zu finden seien. Im griechi­schen Bürgerkrieg 1946 - 1949 kämpf­ten Makedonier und griechischen Kommunisten miteinander - auf der Seite der Verlierer. Danach flohen Ma­kedonier in großer Zahl aus Griechen­land und ließen viel Eigentum zurück, das der Staat enteignete, und das viele ehemalige griechische Bürger und ihre Nachkommen gerne zurückhaben möchten. Auch fürchtet Athen, daß ein wachsendes makedonisches Bewußtsein bei den griechischen Makedoniern die zahlenmäßig viel stärkeren griechischen Türken, offiziell als "griechische Mus­lime" bezeichnet, veranlassen könnte, ihre nationalen Interessen zu vertreten. Diese Sorge könnte sehr wohl einer der Hauptmotivationen hinter dem Streit sein.

Bulgarien schließlich, der östliche Nachbar der Republik Makedonien, weigert sich weiterhin, trotz bedeutsa­mer und wachsender ökonomischer Verbindungen, die Existenz einer make­donischen Nationalität anzuerkennen. Manche Bulgaren scheinen Makedonien immer noch als "Bulgaria irredentia" anzusehen, ein Ergebnis der Aufhebung des Vertrags von San Stefano durch den Berliner Kongreß von 1878. Diese Ver­einbarung beendete den russisch-türki­schen Krieg von 1878, in dem ein Groß­bulgarien geschaffen wurde, das einen Großteil des geographischen Makedoni­ens umfasste.

Albaner in Makedonien

Im Februar 1995 haben albanische Op­positionelle unter Missachtung von Ver­boten seitens der makedonischen Regie­rung eine Universität bei Tetovo in Nordwest-Makedonien eröffnet. Die Szenerie wurde hässlich, als die staatli­che Polizei intervenierte und die Ein­richtung gewaltsam schloss. Ein Albaner starb dabei und viele Menschen auf bei­den Seiten wurden verletzt. Seitdem ist die Lage in Makedonien friedlich aber angespannt. Unterhalb der oberflächli­chen Frage des Status der albanischen Bevölkerung liegen Fragen, die die Rolle der Albaner in Bezug auf den Ko­sovo und Tirana und sogar die der isla­mischen Länder betreffen.

Die politisch aktiven Albaner sind in zwei große Gruppen geteilt: Die eine wird von den in Prishtina ausgebildeten Aktivisten Arben Xhaferi und Menduh Thaci angeführt, die nach Beginn der Unterdrückung der Albaner in der serbi­schen Provinz Kosovo nach Makedo­nien gingen. Der andere Flügel wird von Abdurahman Aliti angeführt, der von Anfang an Teil der Infrastruktur des neuen makedonischen Staates war.

Eines scheint sicher: Vorschläge, die Republik Makedonien zu einer Födera­tion zu machen, indem makedonische und albanische Kantone geschaffen werden, werden durch ethnische Make­donier abgelehnt werden, die knapp feststellen, daß eine solche Entwicklung zum Bürgerkrieg führen würde. Derzeit gibt es in Makedonien keinerlei Bewe­gung in dieser Frage. Die makedonische Regierung selbst ist in einem schlechten Zustand. Als Folge angeblicher Wahl­fälschungen in der ersten Wahlrunde im Herbst 1994 weigerten sich die beiden stärksten Oppositionsparteien - die De­mokratische Partei und die Interne Ma­kedonische Revolutionäre Organisation - an der zweiten Runde der nationalen Wahlen teilzunehmen. Die Allianz für Makedonien, eine Dreiparteienkoalition, kam mit 95 Sitzen im 120-sitzigen Par­lament an die Macht. Die Albanische Partei für Demokratischen Wohlstand gewann zehn Sitze und schloss sich der Regierung an. Aber mit keiner wirkli­chen parlamentarischen Opposition hat die Regierung eine nur fragwürdige Le­gitimität. Die Oppositionsparteien ver­halten sich ruhig und warten auf das Versagen der Regierung.

 

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Hintergrund
Duncan Perry ist leitender Direktor des Open Media Research Institute in Prag. Der Beitrag wurde - in stark gekürzter Form - dem "War Report" Juli/August 1995 entnommen.