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Zivil eingreifen statt sozial verteidigen?
Zukunft der Sozialen Verteidigung
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Parallel zu der Verlagerung der Aufgaben der Bundeswehr zu Interventionen bei auswärtigen Krisen hat auch die Diskussion um zivile Alternativen sich auf gewaltfreies Eingreifen verlagert. Es sind direkte Verbindungspunkte zwischen dem Konzept des Zivilen Friedensdienstes und dem Konzept der Sozialen Verteidigung auszumachen.
Am deutlichsten ist dies bei Prof. Theodor Ebert (1), dem "Vater der Sozialen Verteidigung" in Deutschland, zu beobachten. Er initiierte in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, der er als Synodaler angehört, den Vorschlag, einen Zivilen Friedensdienst einzurichten, und begründet diesen letztlich mit dem Ziel, junge Menschen im großen Maßstab für Soziale Verteidigung auszubilden. Ähnlich wie früher die Soziale Verteidigung bezeichnet er den Zivilen Friedensdienst als Äquivalent zum Militär, wobei dieses Äquivalent gleichzeitig die Polizei entlasten soll. Dabei bedeutet gewaltfreies Eingreifen für ihn nicht, daß der ZFD in erster Linie im Ausland tätig werden solle: seine erste und vornehmste Aufgabe habe er im Inland, etwa bei dem Eingreifen in ausländerfeindliche Krawalle oder bei dem Schutz von Flüchtlingsheimen.
Beim Bund für Soziale Verteidigung fluktuiert das Interesse an dem ihm namensgebenden Konzept derzeit zwischen schwach und gar nicht. Eine Diskussion über die Zukunft des Konzeptes hat auf der vergangenen Mitgliederversammlung begonnen (2). Dabei hat sich herausgestellt, daß die Möglichkeit, daß Deutschland durch einen Krieg bedroht sein könnte, von den meisten Aktiven als sehr unwahrscheinlich angesehen wird. Andere Bedrohungen - etwa durch Umweltzerstörung oder rechtsextreme Gewalt - stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Hiervon unterscheiden allerdings praktisch alle die weltweite Situation mit eskalierenden nationalistischen und religiösen Konflikten. Bei einer kleinen Mitgliederbefragung nannte die Minderheit, die Soziale Verteidigung im klassischen Sinne als Verteidigung gegen eine militärische Aggression von außen oder innen für weiterhin relevant hält, drei Bedrohungsszenarien: eine mögliche Gefährdung Deutschlands durch nationalistische Konflikte, die anderenorts entstanden, eine Machtergreifung durch Rechtsextreme/Faschisten auch in Deutschland und als drittes eine militärische Bedrohung durch (wieder einmal) Russland im Kontext einer möglichen Machtergreifung Schirinowskis.
International gesehen, gibt es allerdings noch andere Faktoren als die genannten Bedrohungsängste, die dem Eindruck widersprechen, daß 'Soziale Verteidigung tot sei':
* Es hat nie so viele erfolgreiche gewaltlose Aufstände (3) wie in den letzten zehn Jahren gegeben ("people power-Bewegungen" werden sie treffend aber unübersetzbar im Englischen genannt)
* wurde die Existenzberechtigung des Militärs nach Auflösung der Blöcke zum ersten Mal seit den fünfziger Jahren grundsätzlich von vielen Menschen in Frage gestellt (4).
* haben sich in Spanien, Frankreich und den Niederlanden neue Gruppen gebildet, die über Soziale Verteidigung arbeiten (5); in Thailand, Kanada, Litauen, Schweden, Norwegen und vermutlich noch anderen Staaten (6) wurden Konzepte gewaltfreier Verteidigung in Kreisen von Regierung und Parlament bekanntgemacht und diskutiert.
* gibt es durchaus eine ganze Reihe alter und neuer Bedrohungsszenarien (s.oben), für die Soziale Verteidigung in ihren verschiedenen Facetten von Bedeutung sein kann.
Ich bin der Ansicht, daß es verfrüht ist, die Soziale Verteidigung als tot anzusehen. Nicht nur aus den genannten Gründen, sondern weil uns m.E. die Geschichte lehren sollte, daß alte eingefleischte Denkweisen nicht von heute auf morgen überwunden werden können. Damit meine ich, daß auch die Überzeugung, daß Deutschlands Sicherheit von irgendwelchem Nachbarn bedroht sei, aller Voraussicht nach wiederkommen wird. Die sich häufenden Hinweise auf Russland in diesem Zusammenhang lassen das Schlimmste fürchten.
Deutschland war zumindest in diesem Jahrhundert nie selbst bedroht. Es war immer der Bedroher, die Nation, von der für ihre Nachbarn Gefahr ausging und die Europa zweimal in einen Weltkrieg gestürzt hat. Doch leider ändert das nichts an dem Bedrohungs-Denken der DurchschnittsbürgerInnen. Von der zumindest theoretisch ebenfalls bestehenden Möglichkeit, daß tatsächlich eine kriegerische Bedrohung entstehen könnte, einmal ganz abgesehen.
Wenn wir das Militär wirklich abschaffen wollen, wird sich daher die Frage nach den Alternativen über früh oder lang wieder stellen. Und neben den Instrumentarien der Konfliktprävention könnte es dann auch wieder wichtig sein, ein Konzept zu haben, was in dem hoffentlich nie eintretenden Fall getan werden kann, daß die Prävention versagt hat.
Wer sich die (größtenteils wissenschaftliche) Literatur über Soziale Verteidigung ansieht, der/dem wird nur zu schmerzlich bewusst, daß dieses Konzept zur Zeiten des Kalten Krieges und mit der Möglichkeit einer Invasion des Warschauer Vertrags im Kopf erarbeitet wurde.
* Bürgerkriege, bei denen die Bevölkerung nicht mehrheitlich hinter der gewaltfreien Verteidigung steht, sondern in zwei Hälften polarisiert wurde;
* Kriege mit dem Ziel der Vertreibung oder Vernichtung einheimischer Bevölkerung, bei denen auf Kooperation der Eroberten kein Wert gelegt wird;
* die Aufrechterhaltung des Militärischen mit dem Ziel, die eigenen wirtschaftlichen Interessen weltweit zu verteidigen, sind Szenarien, die kaum (7) oder gar nicht in der Literatur über Soziale Verteidigung auftauchen. Hier stellen sich eine Reihe von Fragen und Aufgaben nicht nur für die Friedensforschung, sondern auch für die gewaltfreien Bewegungen.
Die grundsätzlichste Frage ist allerdings wohl die, ob Militär und Rüstung überhaupt durch die Schaffung von funktionalen Äquivalenten überwunden werden können, seien dies Äquivalente, die die Eingreifs- oder die die Verteidigungs-Funktion von Militär betreffen. Ich glaube, daß die Benennung und Praktizierung von Alternativen ein wichtiges Element in einer Gesamtstrategie sein kann, aber wohl kaum ihr einziges. Denn ein Teil wenn nicht die wesentlichen Funktionen von Militär und Rüstung sollen doch gar nicht ersetzt werden: weder die Aufrechterhaltung der "neuen Weltordnung" noch das rüstungsindustrie-gestützte Wirtschaftswachstum sind Ziele, die auf der Agenda von Friedens- und pazifistischer Bewegung stehen. Deshalb ist die Frage nicht, ob wir uns mehr mit Sozialer Verteidigung oder Gewaltfreiem Eingreifen befassen sollten, sondern die, ob es uns gelingt, zu einer Gesamtstrategie zu kommen, in der der Aufbau gewaltfreier Alternativen den ihm zukommenden Stellenwert bekommt.
1) Siehe die demnächst erscheinende Dokumentation des Fachgesprächs "Professionelle Friedenscorps" von der Akademie Berlin-Brandenburg.
2) Siehe den Beitrag von C.Schweitzer im Friedensforum 3/94 und die letzten beiden Ausgaben des "Rundbriefs" des Bundes für Soziale Verteidigung.
3) u.a. die verschiedenen osteuropäischen Aufstände vor 1989, Philippinen 1981, Madagaskar 1991 und der Widerstand gegen den Putsch in der Sowjetunion 1991. Zu den gegenwärtig andauernden im wesentlichen gewaltfreien Kämpfen zählen der Widerstand der AlbanerInnen im Kosovo, der schwarzen SüdafrikanerInnen, zum Teil der PalästinenserInnen in der Intifada, der politischen Opposition in Burma und in China und andere mehr.
4) Umfragen in Deutschland 1989/90 deuteten an, daß eine Mehrheit der BundesbürgerInnen sich ein Leben ohne Bundeswehr vorstellen konnte. In vielen anderen europäischen Ländern entstanden zu dieser Zeit Armeeabschaffungsbewegungen.
5) "Colectiva Utopía Contagiosa" in Madrid, "Collectif dissusiasion civile" in Frankreich, die Forschungsgruppe, deren Ergebnisse Giliam de Valk in seinem Büchlein "Research on Civilian-Based Defense" zusammenfaßt.
6) Vergleiche die Berichte in der amerikanischen Zeitschrift "Civilian-Based Defense", die regelmäßig über diese Initiativen berichtet.
7) Siehe auch Christine Schweitzer, Soziale Verteidigung - auch eine Strategie für reale Krisen?, in: Probleme des Friedens 3/93, Hrsg. Pax Christi, Idstein:Komzi-Verlag 1993, S. 15-73