Redebeitrag für die Demonstration "Nie wieder kriegstüchtig!“ in Berlin am 3. Oktober 2025

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Friedensfreunde,

wobei das ja fast die falsche Ansprache ist, Friedensfreunde sollten wir eigentlich alle sein, finde ich und nicht nur die, die hier sind. Aber es ein gutes Zeichen, dass heute in Berlin und in Stuttgart Menschen für den Frieden auf die Straße gehen und dass über 400 Gruppen dabei sind, für Frieden zu demonstrieren.

Was sich verändert im letzten Jahr hat ist, es ist noch schlimmer geworden. Und deswegen will ich noch mal so anfangen, wie ich das meistens bei den Demonstrationen tue, nämlich daran zu erinnern, was Krieg eigentlich bedeutet. Krieg ist nicht ein Social Media Event. Da tritt nicht irgendjemand für irgendwelche Werte ein, abstrakt. Krieg heißt, dass täglich Menschen sterben, Frauen vergewaltigt werden, Kinder entführt werden, Zerstörung, Angst, Kälte, Hunger, Traumatisierung. Das ist das, was Krieg bedeutet. Deswegen muss man es fast schon sagen: Jeder schlechte Frieden ist besser als Krieg.

In der Tat haben wir ein Manifest geschrieben mit dem Erhard-Eppler-Kreis, für den ich hier stehe, und für die Sozialdemokratie, mit dem wir uns gegen das Wettrüsten gewandt und daran erinnert haben, dass meine Generation und die von vielen, die hier stehen, im Westen in Frieden und Wohlstand groß geworden ist, und dass wir unseren Kindern und Enkeln schulden, dass auch sie in Frieden und Wohlstand aufwachsen können und keinen Krieg erleben müssen.

Wir haben weltweit 21 Kriege und 150 militärische Auseinandersetzungen, manche, um die wir uns kümmern und manche, die uns ganz egal sind oder auf die die Öffentlichkeit gar nicht schaut. Ich will auf die zwei Kriege eingehen, die uns sehr stark beschäftigen.

Der Ukrainekrieg, der inzwischen seit über drei Jahren tobt. Es gab die Behauptung, wenn wir nur genug Waffen liefern, dann wird Putin an den Verhandlungstisch gezwungen. Das Gegenteil ist eingetreten. Nun bin ich auch dafür, dass wir Beistand leisten und dass sich die Ukraine verteidigen kann. Aber die militärische Logik hat versagt! Als Rolf Mützenich im letzten Mai gefordert hat, man solle den Krieg einfrieren, wurde er beschimpft. Heute ist das die offizielle Position von Deutschland, England, Frankreich und USA. Nur dass die Lage schlechter geworden ist und Trump da ist. Vielleicht hätte man Rolf Mützenich nicht beschimpfen, sondern auf ihn hören sollen im letzten Jahr.

Und deswegen glaube ich, muss es darum gehen, die Diplomatie zu stärken und nicht zu sagen, dass sie gescheitert sei, nur weil es eben dauert. Diplomatie ist schwierig, sie ist nur hinter verschlossenen Türen möglich.

Und ich muss ganz ehrlich sagen, mir ist das egal, ob der Trump einen Friedensnobelpreis kriegt oder nicht. Wenn er den Frieden bewegen würde, wäre mir das recht. Und man muss mit denen reden, die da sind und nicht so tun, als ob wir es besser wüssten und als ob man ihn militärisch erzwingen könnte. Das kann man nicht.

Im Nahen Osten hat sich die Lage noch mehr verschärft. Seit dem Terroranschlag sind die Geiseln immer noch in Haft und wir haben in Gaza eine humanitäre Katastrophe, die jeden Tag schlimmer wird. Kein Kampf gegen Terrorismus rechtfertigt, Kinder verhungern zu lassen, Medikamente nicht zu schicken oder zivile Gebäude zu bombardieren oder eine Siedlungspolitik zu betreiben, die völkerrechtswidrig ist.

Was wir dringend brauchen ist sofortige humanitäre Hilfe, medizinische Hilfe, Waffenstillstand und Geiselbefreiung und eine Zwei-Staaten-Lösung! Von der dürfen wir nicht nur reden, sondern sie muss kommen, weil die Zwei-Staaten-Lösung die einzige Möglichkeit ist, dass sowohl Israel in Sicherheit als auch die Palästinenser in Selbstbestimmung und Wohlstand leben können. Alles andere führt nur zu weiterem Krieg und dazu, dass weitere Generationen im Hass gegeneinander aufwachsen.

Das muss von Europa erzwungen werden.

Ich glaube, was wir daraus auch lernen können, ist: Es ist falsch, Regierungen und Völker gleichzusetzen. Wir sind solidarisch mit dem Staat Israel, aber nicht mit der Regierung Netanjahu und den rechtsradikalen Mitgliedern dort. Und Russland ist nicht Putin und Amerika ist nicht Trump.

Wenn unsere Nachbarn nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht hätten, wir Deutschen wären alle Nazis, dann wären wir kein wohlhabendes Land heute, sondern ein armer Agrarstaat.

Sie haben uns aufgenommen in die Völkergemeinschaft, und daraus sollten wir lernen: dass wir mit den Völkern Frieden schließen müssen und nicht, weil uns die Religionen nicht passen, sagen, da kann überhaupt nichts mehr stattfinden.

Deswegen muss man für den Frieden eintreten.

Die weltweite Aufrüstung ist furchtbar in ihrem Ausmaß. Ja, wir brauchen Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit, aber nein, wir brauchen keine Rekorde bei den Waffenexporten. Und die Behauptung: wir machen das mit den Waffen alles nur, damit sie niemals eingesetzt werden! Wer soll das glauben von der Menschheitsgeschichte her? Die Rüstungskonzerne boomen, sie haben Riesengewinne. Die Kriegswirtschaft ist Todeswirtschaft! Das kann nicht die Lokomotive der Industriepolitik sein!

Ich will auch deutlich sagen: Glaubt irgendjemand, wenn wir so viel Geld für Rüstung ausgeben, dass dann genug Geld dafür da ist, die eigentlichen Weltprobleme zu lösen, die Armut heißen, die Bürgerkrieg heißen, die Umweltzerstörung heißen, die Wanderungsbewegung heißen, die Handelsungleichgewichte heißen? Nein, dafür wird kein Geld da sein!

Schon jetzt wird die humanitäre Hilfe um die Hälfte gekürzt. Amerika hat sich ganz zurückgezogen. Da kann man ausrechnen, wie viel mehr Kinder verhungern werden, wie viel weniger Impfungen stattfinden und wie viel Krieg und Elend daraus resultiert. Niemand kann glauben, dass man das Geld zweimal hat.

Wenn jemand von einem anderen Planeten auf die Erde gucken würde, würde er sagen, ihr gebt Milliarden aus für Rüstung und ihr gebt Milliarden aus, um die Gebiete wieder aufzubauen. Was ist das für ein Umgang mit dem menschlichen Verstand?

Und deswegen müssen wir auch sehen, dass wir mittlerweile eine Militarisierung von Sprache und Denken haben. Da ist die Rede vom letzten Friedenssommer. Da ist die Rede vom Spannungsfall, den man ausrufen sollte. Da ist die Rede davon, man soll den Krieg weit nach Russland tragen. Was ist das für ein gefährlicher Unfug? Das muss gestoppt werden, wenn die Menschen hier nicht in den Krieg geraten wollen!

Und ja, wir müssen uns auch darum kümmern, dass wieder Rüstungskontrolle stattfindet. Rüstungskontrolle gab's in der Vergangenheit nicht in Friedenszeiten zwischen Freunden, sondern in schwierigen Zeiten zwischen Gegnern.

Ich will keine Raketen in Kaliningrad haben, aber ich will auch keine amerikanischen Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden haben! Nichts davon! Und die verschwinden nicht, wenn wir uns nicht anstrengen! Von alleine passiert das nicht.

Deswegen muss man sich natürlich auch fragen, was ist zu tun? Zum einen müssen wir die internationalen Organisationen stärken. Wir müssen die OSZE und die UNO stärken. Wir haben nichts anderes. Sie sind da, um dafür zu sorgen, dass Länder zusammenkommen und Frieden schließen können.

Wir müssen dafür sorgen, dass über gemeinsame Sicherheit gesprochen wird! Es ist dumm zu glauben, gemeinsame Sicherheit sei ein Konzept von gestern. Willy Brandt hat den Friedensnobelpreis nicht bekommen, weil er naiv war, sondern weil er mit den anderen darüber gesprochen hat, dass es besser ist, wenn die Generationen miteinander im Frieden leben. Und gemeinsame Sicherheit heißt, dass man bei allen Unterschieden, die man haben kann, versteht, dass wir uns wechselseitig den Planeten kaputt machen, wenn wir weiter aufrüsten.

Und was auch gilt, es braucht nicht einmal bösen Willen. Es reicht doch schon, dass ein Atomkraftwerk richtig getroffen wird, dass ein regionaler Kommandeur versagt oder dass irgendeine Entwicklung in den Krieg führt, ohne dass das jemand will. Auch das muss verhindert werden. Die Menschheit hat inzwischen eine Fähigkeit erworben, diesen Planeten auszulöschen, dass einem angst und bange werden kann.

Deswegen muss die schweigende Mehrheit lauter werden! Deswegen müssen wir uns gegen Aufrüstung und Hochrüstung auf die Straße begeben!

Ich muss ehrlich sagen, man wird ja beschimpft, wenn man das macht. Man sei ein Putin-Freund, man sei ein Dummkopf, man sei unmoralisch oder sonst irgendetwas. Ich kann nur sagen, es gibt nichts Ehrenvolleres als für Frieden auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren! Und es ist nicht naiv, für Frieden zu sein!

Um eins möchte ich gerne bitten, weil das teilweise eine Schwäche auch von uns selbst ist. Wir sollten einsehen, dass Frieden, Bürgerrechte und Menschenrechte für alle Menschen in der Welt gelten und nicht nur für die einen und für die anderen nicht.

Kein Kriegsverbrechen wird damit gerechtfertigt, dass man ein anderes begeht! Alle Menschen haben Anspruch auf diese Rechte. Sogar die Soldaten, die eingezogen werden und mit 23, 24 Jahren sterben, ohne dass sie das wollen. Auch sie haben Mütter und Väter, auch sie haben Ehefrauen und Geschwister. Und erst recht gilt das für Kinder, die dafür schon gar nichts können. Ich will das sehr deutlich sagen: Kriege haben den Effekt, wenn die Menschen tot sind, sind sie tot. Das kann man nicht mehr zurücknehmen. Und deswegen, allein schon deswegen, lohnt sich jede Anstrengung für Frieden, jede!

Und deswegen möchte ich zum Schluss sagen, ich bezweifle die Umfragen, die sagen, die Menschen seien mehrheitlich für Aufrüstung. Das sind sie, glaube ich, nicht. Aber wir müssen wach werden, wir müssen laut werden! Wir müssen den Leuten sagen, wir wollen keinen Krieg! Und wir bereiten uns auch nicht auf Kriege vor! Wer behauptet, wer für Frieden sei, müsse für Krieg eintreten, sich kriegstüchtig machen, macht einen ganz großen Fehler. Das ist nicht der Fall, sondern wichtig ist, dass wir friedensfähig werden, nicht kriegstüchtig.

Übrigens, der Krieg ist nicht nur grausam, wenn er von Diktaturen geführt wird. Er ist auch nicht besser, wenn demokratische Staaten im Krieg sind, denn im Krieg wird das getan, was ich vorhin beschrieben habe. Und deswegen sage ich mit Erich Kästner: Der Weg zum Frieden ist nicht Krieg. Frieden ist der Weg und dafür sollten wir eintreten.

Vielen herzlichen Dank.

Schön, dass Sie alle da sind.

 

Ralf Stegner ist Mitglied des Bundestages (MdB) für die SPD.