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vom:
August 2001


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  "Humanitäre Intervention"

Friedensarbeit in der DDR - Handlungsfeld, Spielraum

Hans-Jochen Vogel

Halten wir es gleich zu Beginn fest: die DDR gab es so wenig wie die Friedensinitiativen in der DDR. Jeder Versuch, zu schildern, was sich in den Friedensinitiativen der DDR abgespielt hat, kann, wenn er nicht akademisch - soziologisch oder politologisch - verfahren will, nur subjektiv sein, eigene Erfahrungen an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Umfeld, beschreiben und reflektieren und von da aus versuchen, möglicherweise doch Verallgemeinerbares zu erschließen.


Die DDR war - falls dies schon vergessen sein sollte, sei hier daran erinnert - einer von zwei deutschen Staaten, die im Gefolge von Faschismus und Zweitem Weltkrieg im Rahmen der alliierten Aufteilung von Einflusszonen und Grenzziehungen von Jalta und Potsdam entstanden. Wie sie beurteilt wird, hängt in hohem Maße von der jeweiligen Sicht auf die vorhergegangene Geschichte wie auch auf die internationalen Prozesse ab, in die ihre Existenz eingebettet war und die sie in nicht geringem Maße reflektierte.

Friedensengagement begann für Männer, die der Generation des Verfassers dieser Zeilen angehören, und die wie er evangelisch-kirchlich geprägt waren und der DDR und ihrem System damals distanziert bis ablehnend gegenüberstanden, damit, dass man sich dem Druck zur (mehr oder weniger) freiwilligen Verpflichtung zum Dienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) zu entziehen versuchte. Die Einführung der Wehrpflicht 1962 spitzte die Entscheidungssituation zu. Nach einer Zeit der Ungewissheit, wie mit Waffendienst-Verweigerern umgegangen werden würde, wurde 1964 durch die Veröffentlichung der Bausoldaten-Verordnung Klarheit geschaffen: die offizielle Alternative war waffenloser Dienst mit dem Spaten und anderen friedlichen Gerätschaften in Baueinheiten der NVA. Bis zuletzt wurde dieser militärische Rahmen für den waffenlosen Dienst als belastend und unbefriedigend empfunden, wurde ein Ziviler Friedensdienst (so das Stichwort einer Initiative aus dem kirchlichen Raum Anfang der 80er Jahre) gefordert.

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Aus den Kreisen der Wehrdienstverweigerer gingen die ersten Friedensgruppen und -seminare hervor. Ihr Motiv war, nicht als bloße Verweigerer dazustehen, nicht nur Nein zu sagen, nicht nur gegen etwas zu sein, sondern etwas für den Frieden zu tun. Nach dem Bau der Berliner Mauer setzte in den evangelischen Kirchen in der DDR ein Prozess der Auseinandersetzung mit ihrer Situation ein: die DDR samt ihrem "Sozialismus" wurden nun nicht mehr als schnell vergehendes Provisorium verstanden, sondern als das Umfeld, auf das sich Christen und Kirchen auf längere Zeit würden beziehen, in dem sie ihren Glauben würden leben müssen. Auch in diesem Sinn wollten christliche Friedensengagierte Positionen finden, die es dem Staat nicht leicht machen sollten, sie als Feinde zu betrachten.

Etwa seit Mitte der 70er Jahre etablierten sich einzelne Friedensgruppen und -seminare. Information, ethische und politische Diskussion, Bewusstseinsbildung, Motivierung und Stärkung waren ihre selbstgestellten Aufgaben. Aber weit über explizite Friedensgruppen hinaus, in der Jugendarbeit und den Studentengemeinden (ESG), nahmen Themen um Krieg und Frieden, um Gewalt und Gewaltlosigkeit einen breiten Raum ein. In die außerkirchliche Öffentlichkeit gelangte dies alles nicht unmittelbar. Wohl aber wirkte es über die informellen Kontakte unter den Menschen in die Gesellschaft hinein. Die offiziellen Gespräche zwischen Vertretern des Staates und der Kirchen auf den verschiedenen Ebenen wie auch die Aufmerksamkeit des Ministeriums für Staatssicherheit sorgten in nicht zu unterschätzendem Maße für eine Vermittlung der Friedensarbeit aus dem Raum der Kirche hinein in staatliche Zusammenhänge. In Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) gelang 1980 am Rande eines großen Treffens von Freier Deutscher Jugend (der ofiziellen DDR-Jugendorganisation) und Komsomol (dem sowjetischen Pendant) einer kleinen Friedensgruppe mit einer Friedensausstellung in einer zentral gelegenen Kirche eine bescheidene Grenzüberschreitung.

Der Beginn der 80er Jahre erlebte, bedingt durch die immer offener zu Tage tretende Krise des Systems der Ost-West-Blockkonfrontation und des atomaren Wettrüstens, einen Aufschwung der Friedensbewegung, der auch die DDR einschloss. In Kirchengemeinden bildeten sich Friedensgruppen. Menschen, die nicht unbedingt einer Kirche angehörten, aber beunruhigt waren und angesichts der von ihnen erlebten Bedrohung und der Notwendigkeit zu handeln, aktiv werden wollten, entdeckten das Dach der Kirche als Schutzraum, in dem sie sich treffen, diskutieren und Aktionen vorbereiten konnten. Es war die Staatsführung der DDR selbst, die 1978 in einem Grundsatzgespräch mit der Leitung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR durch die Gewährung größerer Spielräume für die Kirchen eine wichtige Voraussetzung für diese Entwicklung geschaffen hatte.

Welche Handlungsmöglichkeiten haben Friedensengagierte nun in dieser Hochzeit der Friedensbewegung und bis zum Ende der DDR wahrgenommen? Ich erlaube mir hier, in der ersten Person zu sprechen, d.h. ich spreche hier für mich selbst und eine Anzahl von Menschen, mit denen ich damals zusammengearbeitet habe.

Ich arbeitete als evangelischer Studentenpfarrer mit einem Friedenskreis der ESG, dann bei der ESG. Dieser Kreis beteiligte sich am örtlichen Friedensseminar, an den regelmäßig stattfindenden Friedensgebeten und maßgeblich an halbjährlichen "Festen" (größere kulturell-politisch-religiöse Veranstaltungen), die aus der Offenen Jugendarbeit hervorgegangen waren. Wir waren Mitglied im Friedenskern, einer Kontaktgruppe aller Friedens-, Gerechtigkeits-, Öko-, Frauen- und Lesben/Schwulengruppen der Stadt; hier wurden auch die Friedensdekaden vorbereitet.

Bei all unseren Veranstaltungen handelte es sich um öffentliche Veranstaltungen in geschlossenen Räumen bzw. auf kirchlichem Gelände. Es gab wohl Ansätze zu Demonstrationen, etwa durch alternative Einmischungsversuche bei staatlich verordneten Demos. Die Wahrscheinlichkeit, damit positives Aufsehen zu erregen, war jedoch in der DDR-Provinz relativ gering. Auch die staatliche Repression ging wesentlich sang- und klangloser über die Bühne als in Berlin, wo nicht nur ein viel größeres menschliches Potential seitens der Aktivisten vorhanden war, sondern auch die Westmedien für sofortige grenzüberschreitende Publizität sorgten. Die 3 oder 4 jungen Leute, die 1983 in Karl-Marx-Stadt mit selbstgemachten Plakaten eine Mahnwache gegen die Atomrüstung versuchten, wurden schnell abgeräumt und in Gewahrsam genommen. Im Falle der Verhaftung eines Paares 1986 gelang es dann schon, Unterstützung von außen zu mobilisieren; aber hier waren, wie nachträglich aus den Akten hervorging, auch die Interessenkonflikte im staatlichen Machtapparat so massiv, dass Stasi und Staatsanwaltschaft in Karl-Marx-Stadt u.a. vom Generalstaatsanwalt der DDR schnell klar gemacht bekamen, dass sie der DDR mit ihrem Eingreifen Schaden zugefügt und einen geordneten Rückzug anzutreten hatten.

Mit Papieren, Stellungnahmen, Eingaben an kirchliche oder auch direkt an staatliche Stellen haben wir auf Meinungsbildung und Entscheidungen politisch Einfluss zu nehmen versucht. Dazu dienten auch die "Basisparlamente" "Konkret für den Frieden/Frieden konkret (ddr-weit)" bzw. die sächsischen Basisgruppen-Treffen; aus diesen Aktivitäten und starken ökumenischen Impulsen heraus entstand ja dann auch die Ökumenische Versammlung der DDR, deren Abschlussdokumente nicht nur so etwas wie ein Reformprogramm für die Gesellschaft enthielten, sondern Positionen markierten, hinter die etwa in der Friedensdiskussion nicht mehr zurückgegangen werden sollte - obwohl es in den Kirchen inzwischen eine deutliche Distanz zu dem gibt, was sie da einmal selbst aufgeschrieben haben.

Mit einem Diskussionsvorschlag zum Thema Frieden in Europa hat der Friedensarbeitskreis bei der ESG Karl-Marx-Stadt 1984 versucht, auf die mit dem zu erwartenden Ende der Blockkonfrontation auf Europa erst recht zu kommenden Probleme hinzuweisen. In der Europaregion des Christlichen Studentenweltbundes wurde dies in einer größeren Konferenz aufgegriffen. Ein dazu geplantes internationales Seminar in der DDR selbst musste abgesagt werden, da den ausländischen Teilnehmern Visa verweigert wurden.

Wichtig war für uns bei allen unseren Bemühungen dreierlei:

1.Eine geistige Unabhängigkeit, die weder eine Vereinnahmung durch den Westen noch ein Akzeptieren von Denk- und Redeverboten durch die SED möglich machte. Wir wollten mit unserem Land kritische Solidarität üben. Dies passte vielen nicht ins schwarz-weiße Weltbild.

2.Grenzüberschreitende Kontakte, z.B. in die BRD, die Niederlande, Italien, zur amerikanischen Pflugscharbewegung, aber auch in die "Dritte Welt". Wir wollten nicht eurozentrisch sein. Wir wollten über unsere Probleme nicht unter Absehung von weltweiten Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen sprechen.

3
.Unsere inhaltliche, organisatorische und personelle Vernetzung im Kontext einer breiteren Bewegung der gesellschaftlichen Reflexion und Diskussion mit dem Ziel gesellschaftlicher Veränderung. Wir wollten nie nur Friedensbewegung sein, oder eben dann doch eine solche, die sich an einem positiven und dynamischen Friedensbegriff orientiert.

Und was war mit den "linientreuen" Friedenskräften? Mit dem Friedensrat der DDR hatten wir keinen Kontakt, wohl aber z.B. mit der Christlichen Friedenskonferenz (CFK), die ja auch - nicht ohne Grund - in dem Ruch stand, weithin die offizielle Staatspolitik zu vertreten. Aber war denn letzteres so verurteilenswert? Es wird der DDR kaum jemand ernsthaft bestreiten, dass sie nach ihren Möglichkeiten außen- und sicherheitspolitisch für Entspannung und Abrüstung gewirkt hat. Zudem hat die CFK für viele Menschen die einzige oder einfachste Möglichkeit zu Kontakten dargestellt, die sie sonst nicht oder kaum hätten haben können.

Und die Stasi? Ein weites Feld, das eine eigene Behandlung verdiente. Nur so viel: es waren oft nicht die Schlechtesten, die sich nach der "Wende" als inoffizielle MfS-Mitarbeiter (IM) erwiesen. Ihre Motive, ihre Biografien, ihre Einstellung, ihr Verhalten waren unterschiedlich. Der engagierte, aktive, zuverlässige Mitstreiter in unseren Reihen, der uns keinen Schaden zufügen wollte und mit seinem Führungsoffizier über das diskutierte, worüber wir diskutiert hatten, steht da neben dem machtgeilen Intriganten, der Arbeit behindern und Menschen gegeneinander ausspielen sollte und wollte. Der Versuch, unter weitgehendem Verzicht auf offene Repression die Lage durch eine allgegenwärtige Überwachung und verdeckte Steuerung oder Blockierung möglicher Opposition im Griff zu behalten, konnte nicht gelingen. Heute wissen wir, wie schonungslos kritisch in den höheren Etagen des MfS - und wohl auch weiter unten - die Situation der DDR gesehen wurde. So haben wohl auch die vielen IM in unseren Reihen dazu beigetragen, dass das "Schild und Schwert der Partei" im Herbst 1989 so friedlich geblieben ist.


Hans-Jochen Vogel ist Pfarrer im Ruhestand und lebt in Chemnitz.
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