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Antikriegs-
tag 2002


vom:
16.09.2002

Antikriegstag 2002:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede bei der Antikriegstag Kundgebung, 31.08.02, Frankfurt

Für aktive Friedenspolitik und globale Gerechtigkeit

Prof. Martin Stöhr

Der Frieden wird lange vor dem ersten Schuss, lange vor der ersten Bombe tödlich getroffen. Dabei sind nicht nur Terroristen oder Diktaturen die Täter. Auch Demokratien nehmen den Frieden ins Fadenkreuz ihrer hochgerüsteten Interessen. Wir leben - wie viele unserer Verbündeten - in einem Land mit demokratischer Verfassung. Doch stellen wir nüchtern fest, dass Demokratie im Inneren nicht davor bewahrt, sich an einer undemokratischen und gewalttätigen Aussenpolitik zu beteiligen.

Weil die westlichen Demokratien in den meisten Fällen zugleich zu den reichsten Staaten gehören, steckt in ihrer rücksichtslosen Wirtschafts- und Interessenpolitik ein ungeheuerliches Gewaltpotential. Die internationale, ökumenische Bewegung vertritt seit den sechziger Jahren als ihre Ziele Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung - in dieser Reihenfolge. "Die Frucht der Gerechtigkeit ist Frieden und die Frucht des Rechtes ist Sicherheit" - so formuliert der Profet Jesaja (den Juden, Christen und Muslime alle hochschätzen) die Basis einer menschlichen Ethik. Recht und Gerechtigkeit sind die Grundlagen des Friedens und der Sicherheit und nicht eine durch hochgerüstete Sicherheitspolitik und nicht ein durch wirtschaftliche Macht erzwungener Frieden, der die Rechtlosen rechtlos, die Hungrigen hungrig, die Ohnmächtigen unten hält.

Es sagt sich leicht - und ist auch richtig - : Freiheit und Demokratie müssen überall durchgesetzt werden. Die Armen und Schwachen machen aber die Erfahrung, dass der Reichtum der Reichen und ihre Rohstoffquellen mit Militär gesichert und vergrössert werden sollen - zB ohne Rücksicht auf Freiheit und Demokratie werden in Afrika - und nicht nur dort - bei den Warlords Diamanten und Öl gegen Waffen gekauft.

Sie fragen mit wachsender Wut und Ohnmacht. wie glaubwürdig die guten Ziele von Freiheit und Demokratie von den grossen Industrienationen selbst vertreten werden? Sind sie nicht zugleich auch die grössten Waffenlieferanten? Sind die internationalen Waffenhändler, - es sind Staaten, Konzerne oder Privatleute -, nicht eine Mafia, der gegenüber die traditionelle Mafia wie kleine Ladendiebe aussehen? Verbünden sich die Industrienationen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht skrupellos mit Staaten, die ihrer eigenen Bevölkerung Freiheit und Gerechtigkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorenthalten, die mit Terror gegen Teile der eigenen Zivilbevölkerung vorgehen?

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Antikriegs-
tag 2002
Ich erinnere beispielsweise an China, Saudiarabien, Pakistan oder Russland. Ihr jeweiliges Vorgehen gegen Uiguren, gegen Frauen oder Tschetschenen scheint halb so schlimm, wenn sie nur auf der Seite der "Guten" stehen. Was gut ist, misst sich nicht an einer guten Politik für die Menschen, nicht an der Einhaltung der Menschenrechte, nicht am Umgang mit Frauenrechten, nicht an der Behandlung von Minderheiten, nicht an einer guten Bildungs- und Sozialpolitik für die Kinder, sondern daran, ob sie im Bündnis mit dem Westen Waffen kaufen, Flugplätze zur Verfügung stellen und in der UNO stillhalten.

Unversehens gerät die notwendige Verteidigung gegen den Terror auch zum Kampf gegen elementare Menschenrechte im eigenen Land, vor allem aber gegen die Armen der Welt. Ein fantastischer Erfolg des Terrorismus! Weil die Verteidigung gegen den Terrorismus das Gesetz des Handelns sich von den Terroristen vorschreiben lässt: Nämlich Einschränkung der Menschenrechte und eine Bejahung der Gewalt, die darauf verzichtet, zu fragen, warum die Armen jubeln, wenn zB zwei Zentren westlicher Macht wie das World Trade Center und das Pentagon getroffen werden. Sie erleben den Tod von Tausenden unschuldiger Menschen täglich. Eine solche Verteidigung geschieht nicht nur mit Waffen, sondern auch mit einer aussperrenden Ausländerpolitik, mit Stacheldraht und Nachtsichtgeräten an den Grenzen des wohlhabenden Europa, Amerika oder Australien.

Eine solche Verteidigung braucht auch eine Ideologie, die die unhaltbare Situation auf unserem Globus mit schönen Floskeln zuzukleistern hilft. Damit man nicht nach den Ursachen von Ungerechtigkeit, von Flüchtlingsströmen, von Bürgerkriegen fragt, hält man sich Augen und Ohren vor der wachsenden Wut der Armen zuhält. So nur kann man unaufgeklärt auf wirtschaftliche und militärische Gewalt vertrauen.

Die billigste Form einer solchen Ideologie ist die im letzten Kalten Krieg erprobte: Man teilt die Welt in gut und böse ein, fühlt sich auf der Seite der Guten, behält sich vor, zu bestimmen, wer zu den Bösen gehört und wer zu den Guten. Dabei verliert man die Fähigkeit, die Lage unserer einen Welt aus der Perspektive der Habenichtse zu betrachten, einmal sich in die Lage der Millionen zu versetzen, die als Zivilisten täglich Kriegsopfer und Opfer einer zerstörten Umwelt wurden und jeden Augenblick werden. Noch immer gilt, was der frühere Präsident der Ev. Kirche in Hessen und Nassau und Präsident des Weltkirchenrates gesagt hat: Martin Niemöller sagte: Unser Planet ist derartig klein geworden, Dass unser Denken und Planen mit den herkömmlichen Vorstellungen nicht mehr auskommen kann... Der Zeitpunkt ist gekommen, wo nicht mehr eine Gruppe von Menschen sich auf Kosten einer anderen Gruppe - es ist die Mehrheit - das eigene Leben sichern kann."

Im selben Atemzug muss ich aber sagen, dass auch extreme Armut und Unrechtserfahrungen ein fruchtbarer Boden für jene Ideologien sind, die Welt in gut und böse einzuteilen. Was bringt denn Menschen dazu, ihre Hoffnung auf Fundamentalisten zu setzen, auf Zeitgenossen, die schwierige Probleme ganz simpel machen, die Kopfnicken verlangen statt Kopfbenutzung, die auf Sprengstoff vertrauen statt auf Völkerrecht und Menschenrecht, die die eigenen Völker und Religionen missbrauchen, um den politischen Gegner zu verteufeln, damit die eigene Kampfmoral gestärkt wird? Dabei hat unsere Welt nichts nötiger als Werte wie Recht und Gerechtigkeit, Befreiung und Frieden in Taten umzusetzen.

Wo die Selbstgefälligkeit und Selbstzufriedenheit der reichen Nationen sich weigern, das Leiden und die Armut der Mehrheit der Weltbevölkerung ernst zunehmen, gefährden sie den Frieden. Wo nationale, ökonomische oder religiöse Fundamentalisten die Armen instrumentalisieren und vorgeben, wie Al Kaida und ähnliche Gruppen sowie ihre waffengläubigen Gegner für die Rechte der Entrechteten zu streiten, bringen sie den Frieden in Gefahr und Recht und Gerechtigkeit um.

Beide Seiten benutzen doppelte Standards für sich und die anderen. Aber mit Verlogenheiten wird niemand satt. Ein zwischen arm und reich, zwischen mächtig und ohnmächtig gespaltenes Recht hilft niemandem zu seinem Recht. Wir werden im Umfeld des 11. September mit patriotischem Pathos wieder hören, dass nichts mehr so ist wie es vor dem 11. September war. Das stimmt nicht. Haben wir nicht eine Neuauflage des alten, kalten Krieges, der in der Zweidrittelwelt immer ein heisser Stellvertreterkrieg war? Werden die Versprechungen von Rio und der Agenda 21 nicht mit Füssen getreten? Wird der internationale Gerichtshof in Den Haag gestärkt und ausgebaut? Verhandelt man beim Geschäft mit Kaffee und Öl, beim Verkauf von Flugzeugen und Traktoren, beim Verkauf von Minen und Handfeuerwaffen, die inzwischen zu Massenvernichtungsmitteln wurden, auch über Menschenrechte? Es geht dabei nicht nur um die individuellen Menschenrechte, sondern auch um die sozialen Menschenrechte. Sie wurden als Menschenrechtspakte mit den Stimmen fast aller Nationen in der UNO 1960 beschlossen und formulieren die Rechte auf Nahrung, Wohnung, Arbeit, körperliche Unversehrtheit, Bildung und Teilnahme am öffentlichen Leben unserer Weltgesellschaft.

Es sind drei Einsichten und Forderungen festzuhalten:

1.Die Arbeit für ein besseres Völkerrecht, die Stärkung der Vereinten Nationen und der internationalen Gerichtsbarkeit stehen auf der Tagesordnung unserer öffentlichen Debatte und Politik. Wie schaffen wir es, dass sie nicht von dort verdrängt wird?


Recht ist die einzige Alternative zur Gewalt. Konflikte wird es immer geben. Aber die militärische Gewalt ist unfähig, soziale und politische Konflikte zu lösen. Das zeigt der ganze afrikanische Kontinent, Nahost und auch Afghanistan. Die zehnfache Zahl an Zivilisten im Vergleich zu Soldaten wird getötet.

2.So wie in der Medizin Prävention, Vorbeugen die halbe Arbeit ist, so auch in der Politik. Wer nicht nach den Ursachen des weltweiten Ungerechtigkeit und Konfliktherde fragt, handelt unverantwortlich. Der neugewählte Erzbischof von Canterbury, Oberhaupt der weltweiten anglikanischen Kirche, spricht sich eindeutig gegen Gewalt aus und verlangt:" Ich will diskutieren, ehe Entscheidungen fallen, und gerade ein christlicher Pfarrer muss dabei hässliche fragen stellen".

3.Eine Politik, die sich von der Ethik der Gerechtigkeit, des Friedens und des Rechtes abkoppelt, kann zwar wunderbar die wirtschaftlichen Interessen starker Staaten vertreten, aber die sind nicht identisch mit den Interessen der Schwachen und Armen. Der Markt hat keine Moral. Wir können nicht die Macht einer Supermacht beklagen und anklagen und uns selbst für ohnmächtig halten. Was für Energien im Volk stecken, zeigen die Tschechen, Deutschen und Österreicher bei der Bekämpfung der Flutkatastrophe. Frieden und Gerechtigkeit brauchen den langen Atem solcher Energien. Wenn wir auseinandergehen, dürfen wir nicht aufhören, den Kandidatinnen und Kandidaten für die Bundestagswahl sowie unseren Nachbarn und Bekannten "hässliche Fragen" zu stellen.


Martin Stöhr ist Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung in Wiesbaden.
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