Die menschenverachtende Rüstungsexportpolitik der Bundesregierungen

Bronze für Deutschland

von Jürgen Grässlin

Bronze für Deutschland! Was beeindruckend klingt, ist Ausdruck einer an Menschenverachtung und Inhumanität unüberbietbaren Außen- und Wirtschaftspolitik. Kein anderer Politikbereich ist derart folgenschwer wie der der Rüstungsexporte. Die Opferzahlen sind dramatisch: Allein durch Waffen aus dem Hause Heckler & Koch sind bislang mehr als 1.500.000 Menschen ums Leben gekommen – täglich kommen durchschnittlich weitere 100 Opfer hinzu, noch mehr Menschen werden zeitlebens verstümmelt. Diese Fakten sind nicht neu, und die heutige Bundesregierung reagiert wie ihre Vorgänger: mit einer Steigerung der Waffenexporte selbst an kriegsführende Staaten und menschenrechtsverletzende Regime. In der Friedensbewegung formiert sich breiter Widerstand: mit der neuen Kampagne AKTION AUFSCHREI!, die im Herbst startet.

Deutsche Waffen für die Welt
Unbeschadet der Wirtschaftskrise konnte die deutsche Rüstungsindustrie Firmenzusammenbrüche und Massenentlassungen vermeiden, die Werftenindustrie stärkte ihre Position durch einen Restrukturierungsprozess. In Zeiten allgemeiner Rezession liefen und laufen die Waffengeschäfte dank einer überaus großzügigen Exportförderungspolitik der Bundesregierung und personell chronisch unterbesetzter Rüstungskontrollbehörden wie geschmiert.

Nach den Berechnungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI (siehe www.sipri.org) hat die Bundesregierung von 2005 bis 2009, also in der Ära der „christlich-sozialen“ Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD, den Export legaler Rüstungsexporte nahezu verdoppelt. Der Weltmarktanteil stieg von sechs auf elf Prozent. Deutschland hat sich, nach den USA und Russland, als Europameister endgültig auf Platz 3 der Weltwaffenexporteure etabliert – allen voran durch Waffenlieferungen an kriegführende Nato-Partner wie die USA und Großbritannien.

Maßgeblich am deutschen Rüstungsexportboom beteiligt ist die European Aeronautic Defence and Space Company (EADS). Einer der beiden führenden Stimmrechtseigner ist der deutsche Automobil- und Rüstungsriese Daimler AG mit 22,5 Prozent. Auf Platz 18 der weltgrößten Rüstungskonzerne folgt der Lenkflugkörperproduzent MBDA, dessen maßgeblicher Anteilseigner mit 37,5 Prozent die EADS ist. Unter den Top 100 rangierten 2007 (laut dem Sipri-Jahrbuch 2009) mit Rheinmetall (Platz 29), Thyssen-Krupp (39), Krauss-Maffei Wegmann (42), Diehl (58) und MTU Aero Engines (69) fünf weitere deutsche Rüstungskonzerne.

Zu den „Verkaufsschlagern“ zählen Panzer vom Typ Leopard-2A4, teilweise im Ausland in Lizenz gefertigte deutsche U-Boote des Typs 214, in Kooperationen produzierte Kampfhubschrauber, Militärjets wie der „Eurofighter“, Tankflugzeuge und Drohnen, Granatwerfer und Sturmgewehre des Typs G36.

Deutsche Waffenexporte selbst in „problematische“ Länder
Politisch besonders brisante Rüstungsexporte werden im geheim tagenden Bundessicherheitsrat beschieden. Die Sitzungsleitung obliegt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Zu den weiteren acht stimmberechtigten Mitgliedern gehört Guido Westerwelle (FDP) als Vizekanzler und Bundesminister des Auswärtigen.

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 lassen vor allem die für den „Krieg gegen den Terror“ benötigten Waffen mit den Kriegseinsätzen im Irak, in Afghanistan und Pakistan die Kassen der Rüstungskonzerne klingen. In ihrem aktuellen Rüstungsexportbericht kritisiert die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) vehement die erneut dramatisch gestiegenen Waffenlieferungen aus Deutschland. Laut Analyse der beiden großen christlichen Kirchen genehmigte die Bundesregierung 2008 Einzelausfuhrgenehmigungen im Volumen von 5,78 Milliarden Euro, das sind gut zwei Milliarden mehr als im Jahr zuvor.

Als „problematisch“ einzustufen waren laut GKKE eine Vielzahl von Staaten, die 2008 legal in den Besitz deutscher Waffen gelangten. Allen voran erhielt Singapur Waffen im Wert von 349,7 Millionen Euro, Saudi-Arabien für 170,3 Millionen und die Vereinigten Arabischen Emirate für 142,1 Millionen. Zudem lieferte Deutschland Waffen an Afghanistan, Ägypten, Angola, Brasilien, Indien, Indonesien, Israel, Kolumbien, Malaysia, Nigeria, Oman, Pakistan, Russland, Thailand, Türkei und Venezuela, obwohl deren Menschenrechtssituation gleichsam als „sehr schlecht“ eingestuft werden musste. In mehreren dieser Länder - Afghanistan, Indien, Israel, Kolumbien, Nigeria, Pakistan, Thailand, Türkei und in Venezuela - herrschten zudem interne Gewaltkonflikte. So verbleibt einzig die recht überschaubare Embargoliste von momentan gerade mal 17 Staaten als Exporthemmnis. Länder wie Saudi-Arabien, Israel, Libyen oder Pakistan sind im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung nicht zu finden.

Daimler/EADS-Waffen an menschenrechtsverletzende Staaten
Würde die Bundesregierung ihre eigenen - wohlgemerkt rechtlich nicht verbindlichen - Grundsätze zur Grundlage ihres Handels erheben, müsste sie Waffentransfers an Empfängerländer unterbinden, in denen Menschenrechte verletzt werden. Dass sie dies nicht tut, begründet sich in ihrer industriekonformen Wirtschafts- und ihrer militärorientierten Außenpolitik. In Zukunft drohen alle Dämme zu brechen. Denn in ihrem Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und FDP die Zielsetzung einer „restriktiven“ Rüstungsexportpolitik gestrichen.

Maßgeblicher Profiteur dieser Waffenexportförderungspolitik ist die EADS, die auf Platz 7 der Rüstungsexporteure rangiert. Der Vorstand der Daimler AG, personell eng verwoben mit der EADS-Führungsebene, unterstützt Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende Regime. Beispielsweise erhalten die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien A330MRTT- Tankflugzeuge. Folgenschwer ist der Export von Militärhelikoptern, einem Bereich, in dem EADS/Eurocopter über die „weltweit größte Auswahl“ verfügt. 140 Länder sind Eurocopter-Kunden, darunter menschenrechtsverletzende und kriegsführende Staaten. So erhalten die brasilianischen Streitkräfte EC725-Hubschrauber.

Auch zukünftig sind Waffenexporte an Gewaltregime geplant: Malaysia soll Militärtransporter des Typs A400M erhalten. Die immense Zahl von 72 Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter/Typhoon soll an das menschenrechtsverletzende Regime in Saudi-Arabien exportiert werden. All diese Empfängerländer stehen auf der GKKE-Liste mit einer „sehr schlechten“  Menschenrechtssituation.

Noch mehr zivile Opfer mit dem XM25
Die Zahl der durch H&K-Waffen Getöteten beläuft sich seit der Firmengründung 1949 auf mehr als 1.500.000 Millionen Menschen. Durchschnittlich alle 14 Minuten stirbt ein weiterer Mensch durch eine Kugel aus dem Lauf einer H&K-Waffe. Damit ist Heckler & Koch Deutschlands „tödlichstes“ Unternehmen. Bereits heute sterben laut Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes rund 63 Prozent aller Kriegsopfer durch Gewehrkugeln. Auch in Zukunft wird die neue H&K-Waffengeneration mit der Maschinenpistole MP7, den Sturmgewehren G36, HK416 sowie HK417 und dem Maschinengewehr MG4 zu den Exportschlagern zählen.

Top aktuell ist die Angriffswaffe XM25, als derart revolutionär einstuft wie die Panzer im Ersten Weltkrieg. Die XM25-Munition kann direkt über dem Gegner zur Explosion gebracht werden und damit noch mehr Menschen töten. Die H&K-Geschäftspolitik veranlasste Friedensaktivist/innen in Nottingham, die dortige H&K-Außenstelle zumindest für einen Tag lahmzulegen. Jetzt gilt es, mit einer Spendenaktion Solidarität zu zeigen (siehe den Aufruf in diesem Heft).

Mitmachen bei AKTION AUFSCHREI!
Ansatzpunkte zur Gegenwehr gegen Rüstungsexporte gibt es in diesem Jahr genug: Vom Mitmachen bei den konzernbezogenen Kampagnen „Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Rüstungsexporte!“ und der „Stoppt das G36-Gewehr von Heckler & Koch!“ bis hin zur neuen Kampagne „AKTION AUFSCHREI - Rüstungsexporte ächten, Opfer entschädigen!“ Diese Kampagne wird im Herbst 2010 starten und den Handlungsdruck auf die politisch Verantwortlichen massiv erhöhen. Nur so kann es gelingen, die Politik zur Umkehr zu bewegen und die Rahmenbedingungen zur Rüstungskonversion, also zur Umstellung auf eine sinnvolle zivile Fertigung, zu schaffen. Hierzu bedarf es eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses der Friedens- und Menschenrechtsbewegung, von Kirchen, Gewerkschaften und Vertretern politischer Parteien. Interessierte sind gerne zur aktiven Mitarbeit aufgerufen (Kontakt über j [dot] graesslin [at] gmx [dot] de).

Weitere Informationen siehe www.rib-ev.de, www.dfg-vk.de und www.juergengraesslin.com

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Hintergrund
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).