Büchel, Nörvenich und andere Orte

Büchel, Nörvenich und andere Orte

von Marian LosseLeah Engel
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Ständig reden und hören wir vom Bonner Hofgarten, Mutlangen, Nörvenich, Büchel, … Das sind Orte, mit denen wir Unterschiedliches verbinden: Eine vergangene goldene Zeit? Erfolge und Freundschaften? Unrecht und Gewalt? Mehr als bloße Orte sind es Namen und Symbole, die uns in der Friedensbewegung etwas bedeuten. Denen wir nacheifern. Deren Geschichten wir weitererzählen. Deren Lehren wir zu erkennen glauben.

Doch was bedeuten sie heute? Jeder Ort hat eine Geschichte, es werden plötzlich hunderte, wenn wir mehr Menschen fragen. Wir können den Teil einer Geschichte eines Ortes erzählen: Büchel. Oder doch Nörvenich? Aus der Perspektive zweier junger Menschen, die all das vorher gar nicht miterlebt haben. Aber das jetzt.

Knappe 20 Jahre (oder so) gibt es schon Protestcamps in Büchel, wo die letzten Atomwaffen in Deutschland lagern. Mutige, kreative und schlaue Menschen treffen sich jedes Jahr, um dagegen zu protestieren. Direkt am Zaun, das Militär und die Bomben hinter einem dünnen Draht. Alle mit ihren eigenen Gründen und Mitteln, und doch alle zusammen. Manchmal auch eher neben- oder nacheinander. So genau lässt sich das von außen gar nicht erkennen. Und von innen auch nicht.

Wir waren jedenfalls dieses Jahr beim Klimacamp gegen Atomwaffen. Eigentlich ist es das Büchel-Camp, nur seit zwei Jahren eben woanders. Büchel wurde uns nämlich vom Staat geklaut. Wir finden keine Flächen mehr. Also Büchel ist noch da. Nur wir halt nicht. Aber die Pilot*inen wegen der Aufrüstung ihrer Basis auch nicht. Deswegen sind wir einfach hinterher nach Nörvenich.

Was ist jetzt anders? Der Name: Klimacamp gegen Atomwaffen. Warum eigentlich? Reicht es nicht, gegen Atomwaffen zu sein, weil sie kacke sind? Muss da jetzt das Klima mit rein?

Ja, denn beides bedroht unsere Lebensgrundlagen. Ein Klimacamp ist auch ein Protestcamp. Menschen treffen sich, kochen füreinander, bilden sich weiter, denken sich witzige Aktionen aus, machen Pressearbeit. So Zeug halt. Und wir campen, das ist manchmal ungemütlich und nicht für alle einfach.

Funktioniert das? Campen gegen Atomwaffen, campen für das Klima?

Naja. Geht so. Die Klimakrise ist immer noch da und Atomwaffen auch.

Aber wir brauchen ja unsere Orte. Welche Geschichten sollen wir denn sonst erzählen? Die von glorreichen Zoom-Meetings und Hunderttausenden, die Hand in Hand eine Kette, äh Petition gebildet haben? Sollen wir etwa Bücher lesen, anstatt uns geistreiche Vorträge anzuhören und in Plena die immergleichen Fragen zu stellen? Zu Hause in die Steckdose fassen, wenn der Nervenkitzel fehlt?

Büchel bleibt wichtig. Und Nörvenich. Und auch ohne wichtig bleiben sie. Alle Dörfer bleiben! Zumindest bis sie von einer Atombombe oder genauso netten Kohlekonzernen in einen Baggersee verwandelt werden.

Aber bleiben wir auch wichtig? Mit der Regelmäßigkeit eines durchaus netten Klassentreffens sehen wir uns jährlich wieder, tauschen Neuigkeiten und Ideen aus. Mit dem Wissen, dass es nächstes Jahr so weiter geht. Unser Stammlokal ist schon reserviert, das Personal per Du. Jedes Jahr kommen ein paar weniger Menschen, bis nur noch Geschichten erzählt werden. Dabei gibt es doch jedes Jahr einen neuen Abschlussjahrgang. Machen die ihre Klassentreffen woanders?

Ja. Wir (junge Menschen) sind nicht faul und schon gar nicht unpolitisch. Wir sind im Hambi, Lützi, Danni, Dieti, Heibo, Tümpeltown, den Häfen von Rotterdam und Hamburg, auf Borkum, Lampedusa oder Rügen, auf der COP, der CBD, der CSW, oder sonst irgendwo.* Meistens im Plenum. Hier könnt ihr uns finden. In einer Welt voller verschiedener Krisen haben nur wenige Menschen die Kraft, sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren. Wir werden überall gebraucht. Und ihr ja auch. Deswegen gibt es ja eigentlich nur ein Wir.

Das hat auch die letzten Jahre in Nörvenich und Büchel eigentlich gut geklappt. Tolle und verschiedene Menschen kamen zusammen, brachten sich Dinge bei und stellten sich der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen in den Weg. Das muss weitergehen. Dafür brauchen wir Orte, Räume. Das Camp muss weiterleben. Um Austausch zu ermöglichen. Um neue Menschen zu bilden. Um bereits aktive zu motivieren. Um Samen durch die Dürre zu bringen. Um alte Geschichten zu erzählen. Und um neue zu schreiben.

Doch wie? Isomatte einpacken, Kettenbrief abschicken und fertig? Für ein Klassentreffen reicht das. Für ein Camp nicht. Das wissen wir (im Orgateam). Deswegen stellen wir uns weiter jedes Jahr Fragen. Auf manche finden wir Antworten, auf andere nicht:

Wenn der Staat uns die Räume nimmt, wo finden wir neue?

Wenn uns niemensch hört, haben wir vergessen, das Mikro einzuschalten?

Wenn die ganze Welt schreit und schmerzt, müssen wir noch lauter schreien?

Wen übertönen wir damit?

Wann müssen wir die Klappe halten und selber zuhören?

Wenn der Berg nicht zu uns kommt, müssen wir doch zum Berg?

Und wenn uns niemensch hinterherläuft, wo sind wir falsch abgebogen?

Unsere Orte hören zwar erst auf, zu existieren, wenn wir keine Geschichten mehr erzählen. Aber ohne die physischen Räume können auch keine neuen geschrieben werden. Es lohnt sich darum zu kämpfen.

 

Marian Losse und Leah Engel. Zwei junge und naive Menschen, die dieses Jahr in Nörvenich waren. Und nächstes Jahr wiederkommen. Eine Person von uns war schon vier Mal dabei und dieses Jahr in der Orga-Crew. Für die andere war es das erste Mal. Beide sind bei ICAN aktiv. Mehr braucht ihr im Moment nicht über uns wissen.

 

* Anmerkung der Redaktion:
Hambi, Lützi, Danni, Dieti, Heibo, Tümpeltown sind: Hambacher Forst, Lützerath, Dannenröder Forst, Freiburg-Dietenbach, Dresdner Heidebogen, Waldstück bei Hannover.
COP, der CBD, der CSW: COP sind die Treffen zum Pariser Abkommen, CBD steht für die UN-Konferenz zu Biodiversität und CSW ist die Kommission zum Status von Frauen und meint auch deren UN Staatenkonferenz für Gleichberechtigung und Empowerment.

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Marian Losse studiert Friedens- & Konfliktforschung in Marburg und versucht klimagerechtigkeits- und antimilitaristischem Aktivismus durch feministische Ideen zu verbinden.