Buchbesprechung, S. Schiedermair

"Der internationale Frieden und das Grundgesetz"

Anfang 2006 ist in der Nomos-Reihe „Völkerrecht und Außenpolitik" Band 68 mit dem Titel „Der internationale Frieden und das Grundgesetz" von Stephanie Schiedermair erschienen. Das 246 Seiten starke Buch ist zugleich die Dissertation der Autorin von 2004 an der Uni Mainz. Entsprechend wissenschaftlich ist das Buch verfasst, was sich z.B. in den 1047 Anmerkungen niederschlägt. Trotzdem ist die Arbeit auch für friedenspolitisch interessierte juristische Laien gut lesbar und verständlich geschrieben.

Das Buch widmet sich den zentralen friedensrelevanten Normen des Grundgesetzes (GG), wozu die Autorin folgende rechnet: Die GG-Präambel; Art. 26 Abs. 1; Art. 1 Abs. 2; Art. 24 Abs.· 2. Diese GG-Normen, die zugleich verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland bilden, werden im einzelnen ausführlich untersucht, im Kontext ihrer internationalen völkerrechtlichen Relevanz diskutiert und die dazugehörigen aktuellen Kontroversen dargestellt. Hier sollen ganz kurz die zentralen Ergebnisse der Arbeit referiert und eine kurze Kritik aus friedenspolitischer Sicht angehängt werden.
Ein kurzer geistesgeschichtlicher Überblick zur Entwicklung der Friedensidee eröffnet das Buch. Es geht vor allem um die Diskussion der Alternativen Staatenbund oder Weltstaat. Mit der Gründung der Vereinten Nationen schließlich sei die Friedensfrage von der staatlichen Souveränität weitestgehend ins internationale Völkerrecht überführt worden. Die Bestimmungen des Grundgesetzes werden als prinzipiell „völkerrechtsfreundlich“ gewertet.
In der Präambel („…dem Frieden der Welt zu dienen ...") werde der Friedensbegriff als unbestimmter Rechtbegriff, jedoch als rechtsverbindliche Staatszielbestimmung, allerdings mit großem politischen Gestaltungsraum eingeführt. Wenn damit eine klare Absage an jede Gewaltpolitik erteilt wird, bedeute dies aber kein Bekenntnis zum Pazifismus.
Art. 26 GG kennzeichnet Handlungen, ,,die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten", als verfassungswidrig und fordert, diese „unter Strafe zu sieden".
Art. 26 wird im Kontext von Art. 25 diskutiert, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ausdrücklich als Bestandteil des Bundesrechts definiert. Insofern geht Art. 26 substantiell nur in der Strafförderung über Art. 25 hinaus. Art. 25 und 26 sind bezogen auf das Völkerrecht zu interpretieren und machen damit das Gewaltverbot der UN-Charta zum zentralen Bezugspunkt. Der in Art. 26 angesprochene Angriffskrieg kann nur im Kontext der UN-Aggressionsdefinition von 1974 interpretiert werden, wobei diese nicht unumstritten ist. Die aktuelle Präventiv-kriegsdiskussion weise - so die Autorin. - auf Gefahren einer Rückentwicklung des Völkerrechts hin. Die Autorin kritisiert zu Recht, dass die Strafforderung aus Art. 26 vom Gesetzgeber bislang nur unvollständig umgesetzt worden ist. Die §§ 80, 80a des Strafgesetzbuches sind unzureichend, da sie nur einen kleinen Ausschnitt der denkbaren friedensstörenden Handlungen unter Strafe stellen (vgl. hierzu FF 1/06, S. 3f: Generalbundesanwalt hält nur die Vorbereitung,nicht das Führen von Angriffskriegen für strafbar). Die Autorin sieht dies als klares „Versäumnis des einfachen Gesetzgebers", der aufgerufen sei, ,,die strafrechtliche Lücke zu schließen". (S. 140, Anm. 711)
Art. 1 Abs. 2 GG (Bekenntnis zu den Menschenrechten als Grundlage von Frieden und Gerechtigkeit) verweist darauf, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die UN-Menschenrechtspakte Grundlagen des internationalen Friedens sein müssen. Allerdings vertritt die Autorin die Auffassung, dass die kollektiven Menschenrechte wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die „Menschenrechte der 3. Generation" (u.a. Recht auf Frieden, Entwicklung, Umwelt) nicht vom grundgesetzlichen
Menschenrechtsbegriff erfasst würden. Damit wird dem westlich geprägten Menschenrechtsbegriff gefolgt.
Art. 24 Abs. 2 GG - ,,Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen ... " - verweist auf die internationale Zusammenarbeit als mögliches Mittel der Friedenssicherung und verknüpft am stärksten bundesdeutsches Verfassungsrecht mit dem Völkerrecht. Zugleich bildet dieser Artikel Anlass zu heftigen Kontroversen in der Interpretation. Immerhin ist dieser Artikel die Grundlage, mit der sämtliche out-of-area-Einsätze der Bundeswehr begründet werden, da das Grundgesetz ansonsten Bundeswehr-Einsatze auf den reinen Verteidigungsfall beschränkt (Art. 87a GG). Nach Interpretation der Autorin lässt Art. 24 BW-Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen zu, da diese ein System kollektiver Sicherheit bilden. Im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht, das mit seinem 94er „Out-of-area-Urteil" auch die NATO zu einem System kollektiver Sicherheit hochstilisierte (obwohl sie nur ein kollektives Verteidigungsbündnis ist), wird diese Auslegung hier bestritten: ,,Der völkerrechtliche Begriff der kollektiven Sicherheit ... passt auf das Verteidigungsbündnis NATO nicht." (S. 205). Die Zweckbindung in Art. 24 „zur Wahrung des Friedens" bedeute, dass Maßnahmen kollektiver Systeme, die nicht dem Frieden dienen, verfassungswidrig sind und nicht mitgetragen werden dürfen. Mit dem verfassungsrechtlichen und dem völkerrechtlichen Friedensbegriff, die in der Praxis nicht immer deckungsgleich sein müssen, wird jedem potentiellen Militäreinsatz eine doppelte Schranke auferlegt: ,,Verstößt eine Maß-nahme gegen die völkerrechtlichen Friedensgebote, wie man dies etwa für den Kosovo-Einsatz der NATO annehmen kann, ist sie stets zugleich auch verfassungswidrig." (S. 210)
Aus friedenspolitischer Sicht handelt es sich bei dem vorliegenden Buch um eine hoch interessante Arbeit. Allerdings hätte man sich gewünscht, dass die konkreten aktuellen friedenspolitisch umstrittenen Fragen noch ausführlicher diskutiert worden wären. Zwar werden die letzten Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr.- Afghanistan, Angriffskrieg gegen Jugoslawien, Unterstützung des Irak Krieges - angesprochen, aber nur ansatzhaft diskutiert und bewertet. Die Behauptung der Autorin - ,,Gegen die neue Strategie der NATO insgesamt ist allerdings aus allgemeiner völkerrechtlicher Sicht nichts einzuwenden" (S. 192) - wird z. B: in keiner Weise anhand der einzelnen Elemente der Strategie durch dekliniert (z.B. Präemptions-/Präventionseinsätze; Atomwaffenbesitz und -Einsatzvorbehalt: keine absolute UN-Bindung u.a.m.).
Immerhin wird der Jugoslawienkrieg der NATO - irrtümlich als NATO-Einsatz im Kosovo bezeichnet - als völkerrechtswidrig gekennzeichnet. Allerdings muss die in Art. 26 (Angriffskrieg) enthaltene Absichts-Formulierung (s.o. zu Art. 26) dazu herhalten, diesen Krieg nicht als ver-fassungswidrig zu werten (S. 142, Anm. 729), obwohl an anderer Stelle diskutiert wird, dass die „Absicht" auch dann erfüllt sein könnte, wenn der Handelnde um die Konsequenz der Friedensstörung zumindest weiß (S. 131f.). Zum Afghanistan Krieg wird einfach behauptet, dass die Anschläge von 9/11 einem Staat „zugeordnet werden mussten", weil das Völkerrecht angeblich unfähig sei, von Individuen begangene terroristische Akte ef-fektiv zu bekämpfen (S. 144, Anm. 741). Dabei wird übersehen, welche vielfältigen Möglichkeiten im Völkerrecht zur Terrorismusbekämpfung unterhalb von Kriegsführung entwickelt worden sind. Der erstmals in der Geschichte der NATO in diesem Kontext ausgerufene Bündnisfall (unbefristet und bis heute in Kraft!) miltiärisch umgesetzt in „enduring freedom" - hätte eine ausführlichere völkerrechtliche Diskussion verdient.
Allerdings greift die Autorin das Bundesverfassungsgericht deutlich an, dessen Qualifizierung der NATO als kollektives Sicherheitssystem als einzige - verfassungswidrige - Grundlage für alle jüngeren Kriege der Bundeswehr herhalten muss. Dennoch hätte man sich eine klarere Verurteilung der Kriegs-Politik der Bundesregierung (Afghanistan, Jugoslawien, Irak) aus völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen gewünscht, wie es zuletzt z.B. hinsichtlich des Irak-Krieges im Bundesverwaltungsgerichtsurteil zur Gehorsamsverweigerung des Major Pfaffs geschehen ist. Trotz dieser kritischen Anmerkungen kann die Arbeit von Stefanie Schiedermair allen völker- und verfassungsrechtlich Interessierten aus der Friedensbewegung zur Lektüre sehr empfohlen werden. Vielfältige Anregungen - auch hinsichtlich der absehbaren Debatte über eine Grundgesetzänderung zum Auftrag der Bundeswehr gibt das Buch allemal.

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