Ein Castortransport mit vielen Gesichtern

von Elke Steven
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Im Vorhinein kündigte die Polizei an, dass die Zahl der Demonstrierenden gegen den Transport von hochradioaktivem Müll in das Zwischenlager nach Gorleben abnehmen wird. Gesamteinsatzleiter Reime hoffte, weniger Polizeibeamte und -beamtinnen einsetzen zu können. Gleichzeitig prognostizierte er in der Demonstrationen verbietenden Allgemeinverfügung, einen gewaltbereiten, gar zunehmend gewalttätigen Widerstand. Unrichtige Darstellungen der bisherigen Proteste im Wendland und verfälschende Zitate zu den geplanten Protestaktionen begründeten das erneut weiträumige und zeitlich ausgedehnte Versammlungsverbot. Richtig an all diesen Vermutungen und Prognosen war einzig, dass die Zahl der Demonstrierenden, die aus der Bundesrepublik ins Wendland reisten, im Vergleich zu den Vorjahren und erst recht im Vergleich zu 1997 abgenommen hat. Das hatten auch die den Protest tragenden Organisationen vorausgesagt.

Weniger Polizeikräfte konnten jedoch kaum eingesetzt werden. Verzichtet wurde auf ca. 1.000 BeamtInnen. Gegen die von der Polizei geschätzten 2.000 AtomkraftgegnerInnen - es könnten auch doppelt so viele gewesen sein - wurden nach polizeilichen Angaben 17.600 BeamtInnen des BGS und der Polizei eingesetzt. Alle Prognosen über die Gewalttätigkeit des Protestes waren völlig falsch. Somit war die Grundlage des Demonstrationsverbotes nichtig. Die Bezirksregierung Lüneburg begann jedoch schon während dieses Transportes mit der erneuten Diffamierung und Kriminalisierung des Protestes. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat bisher bei allen Casor-Transporten in das Zwischenlager Demonstrationsbeobachtungen organisiert und war auch diesmal wieder vor Ort. Alle Anwesenden und wir als DemonstrationsbeobachterInnen konnten nur einen breiten friedlichen Protest und Formen gewaltfreien zivilen Ungehorsams beobachten. Einsatzleiter Reime berichtete dagegen von einem "deutlichen Kern an Gewalttätern" bei dem "schwierigsten Transport, den wir zu schützen hatten" (Elbe-Jeetzel-Zeitung, 15.11.2002).

Die Allgemeinverfügung, die jeden Bürger und jede Bürgerin unter Verdacht stellte, bestimmte den Polizeieinsatz. Kontrolle, Überwachung und der ständige Verdacht gegen jeden Bürger, sich "unbotmäßig" verhalten zu wollen, waren leitend für das Verhalten der Polizei.

Auf der Grundlage der völligen Übermacht einer technisch hochaufgerüsteten und zahlenmäßig gewaltigen Polizei konnte diese vor Ort andererseits häufig gelassen und besonnen mit den Protesten umgehen. So waren entgegen der VerbotsverfÜgung immer wieder Proteste auf und entlang der Transportstrecke möglich. Am Sonntag wurden entlang der Straßentransportstrecke Dörfer neugegründet. X-tausendmal-quer konnte am Montag zwar nicht mehr auf der Straßentransportstrecke nach Klein-Gusborn demonstrieren. Über Stunden saßen sie jedoch auf dieser Straße in Groß-Gusborn. Auf dem Feld neben der Straßentransportstrecke vor Splietau fand allabendlich - dank des polizeilichen Flutlichts, das dort die Trecker in Schach und unter Überwachung halten sollte - ein Fußballspiel statt. In Hitzacker versammelten sich tausende BürgerInnen, die von EinwohnerInnen zum Kaffeetrinken eingeladen waren, entlang der Schienentransportstrecke. Zumindest zwei Gruppen (von 100 und von 40 Personen) gelangten auf die Gleise und konnten dort kurzfristig sitzend blockieren. In Laase, auf der Straßentransportstrecke, versammelten sich in der Nacht vor dem Straßentransport 1.000 Demonstrierende und blockierten die Straße für mehrere Stunden. Die weitaus meisten von ihnen wurden fast vorbildlich von der Straße getragen. Ihre Personalien wurden aufgenommen. Sie mussten allerdings auf dem Feld in einer polizeilichen Umzingelung in der Kälte ausharren bis der Transport endlich vorbeifuhr. Von vielen weiteren Aktionen wäre zu berichten. Jedoch ist auch festzuhalten, dass es nichts mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu tun hat, wenn die Polizei dieses Recht nach eigenem Gutdünken - obrigkeitsstaatlich - gewährt.

Dieses freundliche Gesicht der Polizei erfuhren jedoch nicht alle. Immer wieder mussten wir auch bei Aktionen Gewalttaten einzelner Polizisten beobachten. Angesichts gewaltfreier Demonstrierender, die auf Schiene oder Straße zugingen, wurden Schlagstöcke gezogen und wurden einige mit unverhältnismäßiger Gewalt abgewehrt. Denjenigen, die nachher in aller Ruhe aus der Sitzblockade in Laase weggetragen werden konnten, wurde, als sie auf die Straße zukamen, um ihr Recht auf Versammlung auszuüben, mit äußerster Härte begegnet. Einzelne Polizeibeamte rasteten immer wieder aus, zerrten an Demonstrierenden, zogen den Schlagstock selbst in völlig überschaubaren Situationen, zogen gar die Waffe gegen Traktorfahrer. Nach Abschluss des Transportes wurde Jochen Stay noch von Polizeibeamten verprügelt. Journalisten berichten von einer noch nicht erlebten Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. Und auch einem Journalisten wurde gedroht: "Halt`s Maul, das interessiert uns nicht, lauf, sonst gibt`s Prügel" (taz, 15.11.2002).

Es gab weniger Ingewahrsamnahmen als in den letzten Jahren. In die Gefangenensammelstelle in Neu-Tramm wurden nach Angaben des anwaltlichen Notdienstes 267 Personen gebracht. Der Republikanische Anwältinnen und Anwälte Verein (RAV) und der anwaltliche Notdienst beklagten vehement die Art, wie mit diesen Gefangenen umgegangen wurde. Der RAV machte schon im Vorhinein darauf aufmerksam, dass wieder eine menschenunwürdige Unterbringung von Gefangenen droht. In Neu-Tramm stünden "Hafträume" zur Verfügung, die nicht zu belüften wären, da die Fenster nicht zu öffnen seien. Sitz- oder Liegemöglichkeiten stünden in der kahlen Halle nicht zur Verfügung. "Besonders schockierend ist die vorgesehene Unterbringung in einer weiteren alten Fahrzeughalle in Drahtkäfigen. Die Wände und die Decke der Halle weisen Quadratmeter große Schimmelflecken auf. Auf dem immer schmutzigen Zementboden stehen in einer langen Reihe jeweils etwa 15 qm große Drahtkäfige, in denen 3-4 Gefangene eingesperrt werden sollen. ..." Beklagt wurde vom RAV auch die richterliche Untätigkeit im vergangenen Jahr, die den grundgesetzlich vorgeschriebenen Richtervorbehalt für die Masse der Gefangenen ins Leere laufen ließ. Und auch dieses Jahr klagte der anwaltliche Notdienst, dass die richterliche Entscheidung "von der Polizei mutwillig verzögert wurde". "Gefangene wurden drangsaliert durch menschenunwürdige Unterbringung - sie wurden nach Festnahmen zwischen 11 und 14 Uhr bis in den späten Abend in den Gefangenenbussen ´geparkt`. 7 Personen wurden mehr als 4 Stunden in einer Viererzelle im Gefangenentransporter (ca. 1,5 qm) verwahrt. Trotz Kenntnis der Geburtsdaten seit der Festnahme wurden auch Kinder, Jugendliche und Heranwachsende in den engen Transportzellen eingesperrt und ´zwischengelagert`".

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.