Eine gerechte Weltordnung

von George Lakey
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Das Thema einer gerechten Weltordnung, des Ersatzes von Krieg und Gewalt durch Recht fasziniert gerade friedensbewegte Menschen schon sehr lange. Er war auch einer der Grundgedanken, der zuerst der Gründung des Völkerbundes und später der Vereinten Nationen zugrunde lagen. George Lakey aber stellt in dem von ihn und Michael Randle verfassten Buch "Gewaltfreie Revolution" (Oppo-Verlag Berlin, 1988) einige kritische Fragen zu dieser Visionen, die wir im Folgenden dokumentieren wollen:

"Kaum ein Mensch bestreitet, daß wir eine Weltgemeinschaft brauche, die Differenzen beginnen mit der Frage, was darunter zu verstehen ist. Viele AnhängerInnen einer Dezentralisierung stellen sich vor, daß die Weltgemeinschaft aus einer Auflösung der großen Nationalstaaten in vielen kleinen Einheiten und aus einer Verlagerung der Machtbefugnisse auf die lokale Ebene hervorgehen wird. Nach ihrer Auffassung ist der Hang zur Bildung immer größerer politischer Einheiten, der die vergangenen Jahrhunderte geprägt hat, grundlegend anti-demokratisch und menschlichen Werten abträglich.

BefürworterInnen einer Weltregierung hingegen begrüßen den Hang zu immer größeren politischen Gebilden und sehen das Problem nur darin, daß dieser Prozess durch zwischenstaatliche Rivalitäten gehemmt wird. Nach ihrer Auffassung sind Wettrüsten und Kriege ohne den mäßigenden und vermittelnden Einfluss einer internationalen Staatenorganisation unausweichlich. Daher drängen sie auf die Bildung einer Weltregierung, die in der Lage wäre, der Gewalt zwischen den Völkern ein Ende zu setzen.

Die Dezentralistinnen behaupten zu Recht, daß große Nationalstaaten für viele ihrer Entscheidungen einfach nicht zuständig seien, weil Entscheidungen auf die örtlichen Gegebenheiten zugeschnitten sein sollten und weil nun mal keine Gemeinde der anderen gleiche. Andererseits ist, wie die BefürworterInnen einer Weltregierung argumentieren, nicht von der Hand zu weisen, daß es Entscheidungen gibt, die auf die globale Gemeinschaft zugeschnitten sein müssen. Der Umgang mit den Meeresbodenschätzen, die Fragen der Erschließung des Weltraums, die Bewältigung der Umweltverschmutzung, die Umverteilung des Reichtuns an die Armen - all dies sind Probleme von globalem Maßstab und sie verlangen nach Lösungen in globalem Maßstab.

Die DezentralistInnen haben wiederum völlig Recht, wenn sie den Hang zur Zentralisierung und zum Überdimensionalen angreifen, der den Einzelnen zu einem kleinen Rädchen in einer großen Maschine macht, die seine/ihre Begriffe übersteigt. Wenn die BürgerInnen schon heute von ihrer Regierung nicht gehört werden, welche Chancen haben sie dann, von einer Weltregierung gehört zu werden? Oder, um es realistischer ausdrücken (da der Durchschnittsbürger bei Regierungsentscheidung noch niemals viel mitzureden gehabt abt): wenn große soziale Bewegungen es kaum schaffen, einer Regierung über 200 Mio Menschen Veränderungen abzuringen, wie groß sind dann ihre Aussichten, bei einer Regierung über drei Milliarden Menschen Gehör zu finden?

Einer/m BefürworterIn der Weltregierung wäre darum zu tun, diese Frage konkreter zu stellen: Welche Erfolgschancen hat heute eine Bewegung, der es um die Verhinderung eines Atomkriegs geht, der morgen, nächsten Woche oder nächsten Jahr ausbrechen kann? Solange es keine Weltregierung gibt, liegt die wichtigste aller Entscheidungen - die Frage des Überlebens der Menschheit - bei niemanden, sondern wird in den Konfrontationen und Rivalitäten eines atomaren Dschungels entschieden. Gibt es einen undemokratischeren Zustand? ...

Unser zentrales Konzept für demokratische Weltsituationen sieht vor, daß das Volk selbst über die Einhaltung und Durchsetzung der Gesetz wacht. Mit Hilfe der Techniken der gewaltfreien Aktion werden die Menschen imstande sein, aus eigener Kraft den Gesetzen Geltung zu verschaffen, wenn selbstsüchtige Interessen sie zu umgehen trachten."

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George Lakey war über 40 Jahre lang aktiv in der Friedensbewegung tätig. Als Quäker hat er sieben Bücher geschrieben, Soziologie an Universitäten unterrichtet und über 1000 Workshops in über 25 Ländern (inklusive Italien) gehalten. Während der Bürgerrechtsbewegung war er das erste Mal im Gefängnis. Lakey ist ein Hauptmitwirkender bei dem neuen Buch "Globalize Liberation" (City Lights Books, 2004), von David Solnit herausgegeben. Zur Zeit ist er der Direktor von "Training for Change".