6x jährlich erscheint unsere Zeitschrift "FriedensForum" und informiert über Neuigkeiten aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeheft zu!
„Wer A(ufrüstung) sagt, muss auch K(rieg) sagen/einkalkulieren“
Eine „paradoxe Intervention“ der FI Nottuln
vonEine „paradoxe Intervention“ der FI Nottuln
„Wer A(ufrüstung) sagt, muss auch K(rieg) sagen/einkalkulieren“
Robert Hülsbusch
„Sicherheitspolitik muss vom Ende her gedacht werden“ (Prof. Dr. Varwick)
Im Oktober 2023 lasen die Nottulner Bürger*nnen folgenden Bericht in ihrer Lokalzeitung „Westfälische Nachrichten“ (WN):
„Nottuln. Auch Nottuln muss und sollte sich auf einen atomar geführten Krieg vorbereiten. Mit einer Bürgeranregung wendet sich nun die Friedensinitiative Nottuln (FI) an den Gemeinderat und absolviert damit eine Kehrtwende ihrer bisherigen Politik. Wenn es nach der FI geht, beschließt der Rat, dass die Verwaltung beauftragt wird, für die Gemeinde Nottuln und ihre BürgerInnen ein Notfallkonzept für den Fall einer atomaren militärischen Auseinanderansetzung auszuarbeiten und dem Rat vorzustellen.“ Zum Hintergrund der Bürger*innenanregung wies die FI auf die momentane Verteidigungspolitik der Bundesregierung hin sowie auf die veränderte Stimmung in der deutschen Bevölkerung: Die atomare Aufrüstung schreite ungebremst voran. Die NATO und die Bundeswehr wollten wieder den Atomkrieg und bereiteten sich auf diesen vor. Diese Politik finde wieder mehr Zustimmung in der Bevölkerung – sicher auch in Nottuln. Die Bundeswehr habe Mitte Oktober 2023 im Rahmen des NATO-Manövers Steadfast Noon erneut geübt, wie man Atombomben an Tornado-Kampfjets anbringt und diese Bomben im Einsatzziel abwirft. Und die FI zitierte aus der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung vom 14. Juni 2023: „Wir müssen im transatlantischen Bündnis in der Lage und entschlossen sein, allen militärischen Bedrohungen entgegentreten zu können – nuklear, konventionell ...“
Vielfältige Ideen einer neuen Sicherheitspolitik auch für Nottuln schlug die FI vor: So die Wiederinbetriebnahme des Atombunkers unter der ehemaligen Hauptschule Nottuln, das Suchen weiterer geeigneter Schutzräume für die Bürgerinnen und Bürger für den Fall einer atomaren Auseinandersetzung und konkrete Übungen im Krankenhaus, bei der Feuerwehr und auch für die Bevölkerung. Darüber hinaus schlug die FI vor, dass die Gemeinde sich nicht weiter für die Abschaffung aller Atomwaffen engagiert. Der Bürgermeister solle das Städtebündnis „Bürgermeister für den Frieden“ verlassen. Auch das seit 40 Jahren stattfindende Hiroshima-Gedenken solle nicht mehr durchgeführt werden. Die FI: „All diese Maßnahmen haben keinen Erfolg gehabt. Im Gegenteil: Die atomare Aufrüstung und die atomare Bedrohung haben zugenommen. Und der Anteil der deutschen Bevölkerung, der dieser Politik zustimmt, wächst. Sicher auch in Nottuln. Hinzu kommt, dass diese Aktionen kaum Resonanz in der Nottulner Bevölkerung gefunden hat. Der Sinn dieser Aktionen ist nicht mehr vermittelbar.“
Der Antrag löste vielfältige Reaktionen aus – vom ungläubigen Kopfschütteln bis hin zur euphorischen Zustimmung. Und eine Flut von Lesendenbriefen wurden in den WN veröffentlicht, die grundsätzlich die Sicherheitspolitik der Bundesregierung und des Westens kontrovers diskutierten. Der Antrag wurde schließlich im Gemeinderat beraten. Die Verwaltung empfahl: Der Antrag wird wegen „Nichtzuständigkeit“ abgelehnt. Zivilschutzpläne seien Aufgabe des Landes, nicht der Kommunalpolitik.
Dennoch wurde der Antrag von den Kommunalpolitiker*innen wohlwollend aufgenommen. Beschlossen wurde, eine Bürger*innenversammlung – mit dem Bürgermeister an der Spitze - einzuberufen, um über Sicherheitspolitik und deren Folgen – auch für Nottuln – zu beraten.
Die Bürger*innenversammlung bereitete die FI gut vor. Letztlich mit der Strategie: Sicherheitspolitik vom Ende her denken. Das heißt: Was passiert, wenn militärisch verteidigt wird, wenn wir dafür kriegstüchtig sind, wenn es Krieg in Deutschland und Europa gibt. Ein Blick in die Ukraine zeigt, auf was wir uns dann einstellen müssen. Ist das eine Verteidigung, die wir wollen? Wie werden die Menschen in Nottuln und anderswo geschützt? Wer will das? Letztlich geht es um die Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben?
Nicht alles läuft immer glatt. Das musste die FI auch bei dieser Aktion erfahren. Die Bürger*innenversammlung bog erst einmal vom Pfad ab. Dargestellt wurde in einem Workshop, zu dem alle Bürger*innen eingeladen waren, was Nottuln alles an Friedensarbeit in ihrer Gemeinde leistet und was noch zu tun wäre. Beschlossen wurde auch, kurz vor den EU-Wahlen gemeinsam ein großes „Fest für Frieden und Demokratie“ zu feiern. Beide Veranstaltungen waren gut besucht – über alle Partei- und Politikgrenzen hinweg.
Die Intention, eine große Debatte – zunächst schon mal in Nottuln – über Kriegstüchtigkeit und Friedensfertigkeit anzustoßen, gibt die FI nicht auf. Ein nächster Antrag ist formuliert, in dem es um den Zivilschutz in Nottuln gehen wird. Welche Kenntnisse liegen der Gemeindeverwaltung diesbezüglich vor? Was kann die Verwaltung – wenn sie denn will – in Erfahrung bringen? Als mündige Bürger*innen der Gemeinde Nottuln wollen wir darüber informiert sein. Und diskutieren!
Die Anträge stehen auf der Seite der FI Nottuln: https://fi-nottuln.dfg-vk.de/