Europäische Zukunft der Atomenergie

Euratom und kein Ende?

von Dirk Seifert

Die zivil-militärische Nutzung der Atomenergie hat in Europa ein starkes Fundament, an dem auch die Bundesrepublik weiter festhält: Der Euratom-Vertrag. Er ist aktuell wie eh und je: Nicht zuletzt sein Förderauftrag für die Atomenergie-Nutzung ist die Grundlage für den jüngsten Beschluss der EU-Kommission, mit dem es der britischen Regierung Ende letzten Jahres ausdrücklich erlaubt wurde, den Neubau eines Atomreaktors in Hinkley-Point mit Steuergeldern massiv zu unterstützen. Es geht um Milliarden, nicht nur in Großbritannien. (1) Auf Basis des Euratom-Vertrag wird in Europa weiter an der Zukunft der Atomenergie gestrickt.

Die “Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen, welche die Energieerzeugung erweitert, die Technik modernisiert und auf zahlreichen anderen Gebieten zum Wohlstand ihrer Völker beiträgt“. So steht es – Tschernobyl hin, Fukushima her – immer noch im Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom, der am 25. März 1957 in Rom unterzeichnet wurde und auf dessen Grundlage weiterhin Milliarden in die weitere Forschung und Nutzung der Atomenergie gesteckt werden. 

Der Vertrag atmet aus seiner Entstehungszeit einen Geist, der nicht nur auf die Atomenergie als Energieversorgung zielt. „Mächtig“ und „auf zahlreichen Gebieten“ bedeutet nicht nur in der Entstehungsphase, dass damit auch immer die nicht davon lösbare militärische Dimension der Atomenergie gemeint ist. Der Vertrag entstand in den 1950er Jahren, als nicht nur Frankreich und England auf dem Weg zur Atombombe waren. Auch die junge Bundesrepublik unter Adenauer und Strauß strebte nach einer atomaren Bewaffnung. Mindestens eine Teilhabe sollte erreicht werden. So hatte vor allem die Bundesrepublik mit jahrelangen Auseinandersetzungen dafür gesorgt, dass der Atomwaffensperrvertrag vergleichsweise löchrig wurde. (2) Schon seit Mitte der 50er Jahre verhandelte der damalige Atom- und dann Verteidigungsminister F.J. Strauß im Geheimen mit Frankreich und Italien über gemeinsame Urananreicherungsanlagen und Raketenforschung.

Mit dem jahrzehntelangen Streben nach einem „geschlossenen Brennstoffkreislauf“ für die „friedliche Kernenergienutzung“ bestehend aus den Anlagen zur Urananreicherung (der URENCO in Gronau), der Plutoniumverarbeitung (für Brennelemente in Hanau), der Wiederaufarbeitung (im oberpfälzischen Wackersdorf) sowie die Schnellen (Plutonium-)Brüter (in Kalkar) meldete die Bundesrepublik als „Atommacht auf Abruf“ internationale Machtansprüche an. Die Plutoniumanlagen in Hanau und die fertiggestellten Anlagen in Wackersdorf und Kalkar sind Geschichte. Mit Blick auf die Urananreicherung in Gronau sagte jüngst Michael Sailer, Chef des Öko-Instituts und der Entsorgungskommission, einem Berater-Gremium der Bundesregierung: „Die Urananreicherung ist der kürzeste Weg zur Atombombe.“ (3)

Euratom – eine mächtige Behörde
Euratom ist der atomare Grundlagenvertrag, aus dem heraus sich die gemeinsamen Aktivitäten der EU im Atombereich ableiten bzw. begründen. Auf seiner Basis ist eine mächtige Behörde entstanden, die nicht zuletzt auch gegenüber der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO) europäische Interessen schützt und gemeinsame Aufgaben der EU-Staaten betreibt. So ist z.B. die Überwachung von Atomanlagen auch mit Blick auf Proliferationsrisiken Sache von Euratom, mit der die IAEO zusammenarbeiten muss.

Die EURATOM ist seit dem Bestehen des Vertrages von Lissabon strukturell aus der EU ausgegliedert und blieb als eigenständige Gemeinschaft mit einem eigenen Grundlagenvertrag und mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit bestehen. Die institutionelle und finanzielle Verflechtung zwischen der EURATOM und der EU wurde jedoch nicht aufgehoben. Die Finanzierung der EURATOM erfolgt nicht über individuelle Beiträge der Mitgliedstaaten, sondern über den allgemeinen Haushalt der EU. Die Mitgliedstaaten unterzeichnen mit dem Beitritt zur EU jeweils auch den EURATOM- Vertrag.

Die EU setzt weiter auf Atomkraft
Bis heute ist dieser Euratom-Vertrag die Grundlage für erhebliche Atom-Fördermaßnahmen in der EU. Aber auch neue Reaktor-Linien, insbesondere „Schnelle Brüter“ (Generation-4-Reaktoren, „Astrid“ in Frankreich beschlossen), und die Kernfusion (Versuchsreaktor ITER in Cadarache/Frankreich) sollen das Atomzeitalter zementieren, weit in die Zukunft hinein. Beide Reaktorprogramme werden durch das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung mit Milliarden Euro gestützt und beinhalten auch militärische Optionen. Darauf verweist auch eine aktuelle Initiative für die Kündigung des Euratom-Vertrages, die von der Österreichischen Anti-Atom-Plattform PLAGE initiiert wurde. (4) 

Wer nach Fukushima erwarten würde, dass sich die Bundesregierung zumindest dafür einsetzen würde, dass es zu Reformen im Euratom-Vertrag kommt oder mindestens der Fördercharakter endlich gestrichen wird, wird enttäuscht. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Linken Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel teilte sie jüngst mit, dass der Vertrag zwar mit den energiepolitischen Zielen der Bundesregierung nicht in Einklang stehe, er sie aber bei der Umsetzung ihrer Energiepolitik auch nicht hindere. (5) Da gibt es noch einiges zu tun, um die Atomenergie und ihre zivil-militärischen Risiken aus der Welt zu schaffen.

 

Anmerkungen
1 Gegen den EU-Beschluss haben inzwischen über 70.000 Menschen eine Beschwerde von Öko-Strom-Unternehmen, Umwelt-Verbänden und Anti-Atom-Initiativen unterzeichnet. Österreich und Luxemburg wollen gegen den Beschluss notfalls klagen. Grüne und Linke haben im Bundestag Anträge eingebracht, die die Bundesregierung auffordern, ebenfalls gegen den Beschluss aktiv zu werden. I did it – Keine EU-Subventionen für neue Atomkraftwerke! Online beschweren! Und http://www.hubertus-zdebel.de/tag/hinkley-point/

2 http://umweltfairaendern.de/bundesrepublik-und-atomwaffen-finger-am-abzug-spurensuche-zur-geschichte-der-urananreicherung/ und auch: Spurensuche: „Hitlers Bombe“ – Nazi-Forschung und Entwicklung an einer militärischen Nutzung der Atomenergie und ein Ausblick auf die Debatte um die Atombewaffnung in der jungen Bundesrepublik Deutschland der 50er Jahre.

3 Die Urananreicherung in Gronau (URENCO) ist ebenso wie die Brennelemente-Herstellung in Lingen (AREVA) vom Atomausstieg ausgenommen, und beide verfügen weiterhin über unbefristete Betriebsgenehmigungen. Die Urananreicherung in Gronau ist höchst brisant und eine der sensibelsten DUAL-USE-Anlagen: In ihr wird Uran für den Einsatz in Atomkraftwerken hergestellt. Technisch aber ist es dort möglich, auch hochangereichertes Uran für den Einsatz in Atomwaffen herzustellen. Die deutschen Anteilseigner E.on und RWE wollen ihre Anteile verkaufen: Der deutsche Finger am Abzug: Atombomben-Technologie vor dem Ausverkauf

4 Aufruf zur Kündigung des Euratom-Vertrages siehe: http://umweltfairaendern.de/unterstuetzung-gesucht-manifest-fuer-die-kuendigung-des-euratom-vertrages/, außerdem zu Euratom eine Broschüre der Linken im Europäischen Parlament: http://umweltfairaendern.de/euratom-vertrag-und-atomenergie-noch-mehr-ge...

5 Dabei hat es auch in den letzten Jahren nicht an Vorschlägen für eine Reform (SPD) oder Abschaffung des Euratom-Vertrages im Bundestag gefehlt (Linke, Grüne). Zur Kleinen Anfrage des Abgeordneten Hubertus Zdebel siehe auch: http://umweltfairaendern.de/die-bundesregierung-und-die-entwicklung-einer-maechtigen-kernindustrie-euratom-stoert-nicht/

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