IPPNW

Friedens- und Solidaritätsarbeit zur Türkei

von Ernst-Ludwig IskeniusGisela Penteker
Schwerpunkt
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Die Ausgangsbasis: In mehrfacher Hinsicht tragen wir als Deutsche Verantwortung für die Friedens- und Menschenrechtssituation in der Türkei. Zum einen ist die Türkei ein wichtiger Wirtschaftspartner Deutschlands und der EU. Viele Menschen aus der Türkei haben zu unserem eigenen Wirtschaftswachstum beigetragen und umgekehrt werden viele Produkte aus Deutschland dort abgesetzt. In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich die Türkei zu einem beliebten Ziel (Platz 5, Anm. d. Red.) für deutsche Urlauber*innen. Als wichtiger NATO-Vorposten für den Nahen Osten wurde die Türkei mit deutschen Waffen seit den 1980er Jahren systematisch aufgerüstet. Mit diesen Waffen wurde ein massiver Repressionsapparat gegenüber oppositionellen Kräften innerhalb des Landes aufgebaut, ein Krieg im Südosten der Türkei speziell gegen die Autonomiebestrebungen der Kurd*innen geführt und in neuester Zeit wurden diese Waffen zur völkerrechtswidrigen Besatzung in Nordsyrien genutzt.

Umgekehrt wurde besonders von der deutschen Bundesregierung der fatale Türkei-Deal zur Abwehr von Geflüchteten eingefädelt, wodurch die Türkei zu einem der wichtigsten Vorposten für die Mauer rings um die EU geworden ist und die EU dadurch in eine fatale Abhängigkeit von der türkischen Politik geraten ist. Trotzdem hegen viele engagierte Menschen in der Türkei die Hoffnung auf mehr Einfluss Deutschlands zur Wiederherstellung rechtsstaatlicher und demokratischer Verhältnisse, bei denen die Menschenrechte gewahrt bleiben. Das sind viele Gründe für die deutsche Friedensbewegung, mit den innertürkischen Friedens- Antikriegs- und Menschenrechtsgruppen zu kooperieren.Als international ausgerichtete, berufsspezifische Friedensorganisation sind die Verbindungen der IPPNW zu heilberuflich ausgerichteten Personen und Gruppen in der Opposition besonders eng und sehr beständig.

Die wichtigsten Schwerpunkte der friedenspolitischen Aktivitäten der IPPNW in Bezug auf die Türkei:
Delegationsreisen: Seit 23 Jahren besucht eine meist 8 bis10 köpfige Reisegruppe kontinuierlich einmal jährlich den Südosten der Türkei und spricht mit Menschenrechts-, Gewerkschafts-, Gesundheits- und Frauengruppen, besucht Behinderteneinrichtungen, konferiert mit diversen Bürgermeister*innen und politischen Parteigruppierungen in Regierungs- und Oppositionspositionen und beobachtet regelmäßig die Feierlichkeiten des Newrozfestes, das sich zum wichtigsten Widerstandsfest der Kurden gegen die Repression der Zentralregierung in der Türkei  entwickelt hat. Häufig kommen mehrere 100.000 Menschen an diesem Tag in Diyarbakir und anderen Städten im Südosten der Türkei zusammen und drücken damit ihre Sehnsucht nach Frieden, Freiheit und demokratischen Verhältnissen aus. Manchmal werden auch Einzelpersonen oder kleine lokale Initiativen zu ihren politischen Aktivitäten begleitet, um durch Anwesenheit und Zeugenschaft von außen eine Deeskalation einer akuten Repressionssituation zu erreichen. Beeindruckend sind der Mut und die Hartnäckigkeit vieler Einzelpersönlichkeiten, die trotz Drohung mit Verurteilungen und langen Haftstrafen nicht nachlassen, für Versöhnung und Ausgleich  zwischen den ethnischen Gruppen zu arbeiten. Umgekehrt werden diese Besuche von den Menschen hoch geschätzt, geben sie ihnen doch häufig das Gefühl, nicht vergessen zu sein, nach all den Enttäuschungen über die offizielle Politik der Bundesregierung. Alle Gespräche werden dokumentiert und in einem Report zusammengefasst, neuerdings auch als Blog auf der IPPNW Website während der Reise , um aktuelle Aufmerksamkeit zu erlangen. Dieser wird sowohl deutschen Regierungsstellen wie auch an Initiativen und Einzelpersonen , die zur Türkei arbeiten, zur Verfügung gestellt. Dadurch hoffen wir, den unterdrückten Kräften zumindest eine Stimme zu geben und die Sensibilität für die hochdramatische Situation der oppositionellen Kräfte in der deutschen Öffentlichkeit zu erhöhen. An diesen Delegationsreisen beteiligen sich auch interessierte Personen außerhalb der IPPNW.

Prozessbeobachtungen:Wegen der Zunahme von Verhaftungen und rechtsstaatlich bedenklichen Prozesse auch gegen Heilberufler*innen reisen einzelne IPPNW-Mitglieder regelmäßig zu den Verhandlungen, um eine internationale Beobachtung sicher zu stellen. Auch wenn diese meist  nur sehr kurz und ständig weiter verschoben werden, machen diese Beobachtungen den Betroffenen und ihrem persönlichen und politischen Umfeld Mut und stellen Öffentlichkeit her, die manchmal mildernd auf die Entscheidung und Urteilsfällung wirkt. Begleitet werden meist diese Prozesse mit regelmäßigen Briefkampagnen an die verantwortlichen türkischen und an deutsche Behörden sowie Pressemitteilungen, die an verschiedene Medien versendet werden. So konnte z.B. erreicht werden, dass das Urteil gegen den Arzt Serdar Küni, in dem er zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er seiner ärztlichen Pflicht nach Behandlung von verwundeten Kämpfern während der Belagerung und Zerstörung seiner Heimatstadt Cizre durch türkisches Militär nachgegangen war, in der nächst höheren Instanz wegen gravierenden Fehlern wieder aufgehoben und zur Neuverhandlung erneut an das Bezirksgericht verwiesen wurde. Im Herbst steht dieser Prozess wieder an, es wird versucht, eine Gruppe von Beobachter*innen dort hinzuschicken.

Zu- und Mitarbeit in deutschen Solidaritätsgruppen und kurdisch-türkischen Exilorganisationen: Hier sind insbesondere der von Andreas Buro gegründete Dialog-Kreis mit seinem monatlich erscheinenden Rundbrief, lokale Initiativen  und die Kontakte zur HDP in Deutschland zu nennen. In Vorträgen und Informationsabenden werden aktuelle Entwicklungen immer wieder geschildert. Wichtig und zeitaufwändig ist auch die Vernetzungsarbeit mit relevanten Friedens- und Antimilitarismusinitiativen wie Aktion Aufschrei (Rüstungsexporte), Connection e.V. oder Hilfsorganisationen wie Medico International in Frankfurt. IPPNW ist Mitglied der Kampagne zur Aufhebung des PKK-Verbots, durch das politisch aktive Kurden in Deutschland kriminalisiert werden.

Viele IPPNW-Mitglieder sind  in der ehren- und hauptamtlichen Flüchtlingsarbeit tätig. Dabei werden sie regelmäßig  mit aus der Türkei Geflüchteten konfrontiert und begleiten sie auf ihrem oft langwierigen und schwierigen Weg des Asyl und der Integration. In einigen Fällen wird der Kontakt zu wieder Abgeschobenen gehalten, sie nachuntersucht oder sie einfach besucht. In einigen Fällen konnte durch die eigenen Erfahrungen Einfluss auf die Entscheidungen beim Verwaltungsgericht genommen werden. Auf den Reisen wird auch regelmäßig die schwierige rechtliche und soziale Situation von Geflüchteten, insbesondere durch den Türkei-Deal der EU, untersucht und entsprechende Anwälte kontaktiert. Manchmal halfen auch die Kontakte zu Ärzt*innen, Heilberufler*innen oder Behandlungszentren für Folteropfer, um die durch Abschiebung unterbrochene Behandlung wieder aufzunehmen.

Fazit:
Wir sind nur eine kleine Gruppe innerhalb der IPPNW, die sich speziell um die Türkei kümmert. Dementsprechend sind die personellen und zeitlichen Kapazitäten und damit auch die sichtbaren Erfolge begrenzt. Trotzdem lohnt sich diese Arbeit, erleben wir doch immer wieder tiefe Dankbarkeit und Anerkennung, insbesondere von den oft mutigen  Aktivist*innen.  Sie sind uns selbst häufig ein Vorbild in Durchhaltevermögen, Mut  und Hoffnung säen, trotz häufig aussichtslos erscheinender Situation. Gerne können weitere Personen hinzukommen. Meist durch sporadische Telefonkonferenzen halten wir untereinander Kontakt.

Wer mehr über die Türkeiarbeit  der IPPNW wissen möchte, wende sich an die Autor*innen, Ernst-Ludwig Iskenius, iskenius [at] ippnw [dot] de oder Dr. med. Gisela Penteker g [dot] penteker [at] gmail [dot] com
Dr. med Penteker und Ernst-Ludwig Iskenius sind in der IPPNW engagierte Ärzt*innen.

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Ernst-Ludwig Iskenius ist Mitglied in der IPPNW.
Dr. med Pentekerist eine in der IPPNW engagierte Ärztin.