Friedensbildung in Deutschland

Große Herausforderungen, große Chancen

von Benno Malte Fuchs

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Militarisierung ein zunehmender Trend ist. Die Bundeswehr hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer Angriffsarmee gewandelt.

Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Gleichzeitig einigt man sich in den Sondierungsgesprächen über eine Obergrenze für die dadurch entstehenden Flüchtlinge. Bei der Legitimation von Wirtschaftskriegen darf das Wort Verantwortung dann aber wieder in den Mund genommen werden.
Das alles hat einen deutlichen Einfluss auf junge Menschen. Es ist ein Vorurteil, dass diese sich nicht für Politik interessieren. Sie haben sogar ein größeres Potenzial, die komplexen Zusammenhänge internationaler Beziehungen zu verstehen, als Erwachsene. Bei jungen Menschen ist der Prozess der Verdrängung und der Abstumpfung noch nicht so weit vorgedrungen, um Blindheit gegenüber Ungerechtigkeit vortäuschen zu können. Sie sind weitaus besser darin, zu verstehen, was Konflikte wirklich sind: Ein Widerspruch in der Beziehung zwischen mehreren Parteien. Das zu verstehen, ist eine Grundlage dafür, um Konflikte nachhaltig transformieren zu können. Das Erwachsenen beizubringen, die immer auf das Verhalten von einzelnen Akteuren achten, ist sehr schwierig. Kinder können kreativer darin sein, neue Realitäten zu entdecken, als viele Erwachsene. Internationale Politik sollte von Kindern bestimmt werden.

Stattdessen nimmt die Militarisierung der Jugend ihren Lauf, insbesondere gefördert durch die Castenow-Werbeagentur, welche mit ihrer Werbung für das Militär insbesondere auf junge Menschen abzielt.
Große Herausforderungen, vor denen FriedenspädagogInnen in Deutschland stehen. Aber auch riesige Chancen.

Kritik der Praxis der Friedensbildung
Doch wo setzt gegenwärtig die Praxis der Friedensbildung in Deutschland an? Lobbyismus und Schulen. Zentrale Akteure der Friedensbildung in Deutschland setzen ihre volle Kraft an genau den Stellen ein, an denen sie am wenigsten bewirken können. Das Schulsystem wird durch den Militärapparat geprägt: In acht Bundesländern gibt es Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Bildungsministerien. Um dem Legitimität zu verleihen, wird versucht, Friedensbildung zu instrumentalisieren. Noch immer scheint es eine Diskussion darüber zu geben, ob gemeinsame Auftritte mit JugendoffizierInnen an Schulen sinnvoll seien. Nach über zehn Jahren wäre es an der Zeit, zu dem Schluss zu kommen, dass diese Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit nur zur Legitimation der Bundeswehr als Akteur des Schul- und Bildungskontextes beiträgt. Und oftmals kalkulieren JugendoffizierInnen einen Gegenpart mit ein und schaffen es trotzdem, ihr Ziel zu erreichen, gut bei den SchülerInnen anzukommen. Dabei bedienen sie sich der Sprache der Friedenswissenschaft und verzerren ihre Bedeutung nach dem Orwellschen Prinzip zum Gegenteil.

Auch die Bildungsministerien profitieren, da eine Zusammenarbeit mit der Friedensbildung ihnen die Möglichkeit gibt, Vorwürfe gegen die Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr abzumildern. Zugeständnisse wie die Servicestelle Friedensbildung Baden-Württemberg sind ein Feigenblatt. Sie fördern die Militarisierung unseres Bildungssystems, da sie zur Vortäuschung einer Ausgewogenheit zwischen Bundeswehr und Friedensbildung beitragen und so eine Beendigung der Kooperation mit der Bundeswehr verhindern.

Weshalb unterstützen FriedenspädagogInnen Militarismus, während es so viele konstruktive Themen gibt, an denen gearbeitet werden müsste? Ist es Selbst-Zensur, die Angst, das Militär nicht infrage stellen zu dürfen? Oder liegt es daran, dass eine große Mehrheit der FriedenspädagogInnen in Deutschland bei Trägern (Kirche oder Staat) angestellt sind, die keinen Antimilitarismus zulassen? Und das gerade bei einem Thema, wo es darum gehen muss Militär kritisch zu hinterfragen.

Doch was ist ein Kompass für erfolgreiche Friedensbildung?
Ein in der gegenwärtigen Praxis der Friedensbildung unterbewertetes Feld ist der außerschulische Bildungsbereich. Oftmals können hier junge Menschen freiwillig entscheiden, zu partizipieren. Es gibt dann eine intrinsische, d.h. von innen her kommende, Motivation für den Lernprozess. Und eine größere Offenheit dafür, etwas Neues auszuprobieren, da es keine Lehrpläne gibt, die bestimmte Themen vorschreiben. Es kann dort auch besser auf unterschiedliche Jugendkulturen und ihren jeweiligen Bezug zu Frieden eingegangen werden.

Ein großes Feld der außerschulischen Bildung ist die Sportpädagogik. Es gibt bereits ein paar Ansatzpunkte zwischen Sport und Frieden, zum Beispiel Fußballprojekte oder Friedensläufe. Aber das Thema ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Es kommen dann auch schnell Bezüge zur Motopädie auf. Dabei geht es um die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche. Erkenntnisse aus der Mototherapie könnten spannende Einflüsse auf die Arbeit mit Kriegstraumata haben.

Ein weiteres Thema, das zu stark von FriedenspädagogInnen außer Acht gelassen wird, sind Direkte Gewaltfreie Aktionen. Werden diese praktiziert, ergibt sich die Möglichkeit, direkt zu sehen, was sich durch die eigene Aktivität verändert hat oder zu reflektieren, weshalb etwas nicht funktioniert hat. Das ist ein wichtiger erster Meilenstein, wenn es darum geht, zu erkennen, wie Frieden geschaffen werden kann. In sehr langen Zeiträumen  zu denken, Samen zu säen, Denkweisen, die FriedensarbeiterInnen tief verinnerlicht haben, können gleichzeitig abschreckend sein, wenn man sich das erste Mal mit Frieden beschäftigt. Friedensbildung für junge Menschen muss konkreter sein. Deshalb stellen Direkte Gewaltfreie Aktionen eine gute Brücke dar, um an das Thema heranzuführen und die Effektivität von Gewaltfreiheit bewusst zu machen.

Eine weitere Möglichkeit, um Frieden direkter zu thematisieren, ist antimilitaristische Bildung. Sie trägt dazu bei, anhand der Zusammenhänge zwischen Krieg und Militär zu erlernen, kritisch zu reflektieren. Auch das Rebellieren gegen Militarismus an sich ist in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Umständen gelebter Widerstand und damit ein Grundentwicklungsziel für Akteure der Friedensbildung. Wenn das Thema Militarismus ausgeblendet ist, kann es sich nur um ein abgeschwächtes Falsifikat von Friedensbildung handeln.

Und zu guter Letzt ist Spaß und Humor ein zentrales Element von Lernerfahrung, das viel zu oft unterschlagen wird. Ohne Humor ist es schwierig, in einen kreativen Modus zu kommen, der es ermöglicht, Lösungen zu finden. Gleichzeitig bleiben uns Erinnerungen, die uns zum Lachen gebracht haben, am längsten erhalten. Das Thema Frieden wird oft zu steif und ernst behandelt. Genau das Gegenteil würde zu größerem Erfolg von Friedensbildung beitragen.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund