Enthüllungsbuch mit aktuellem Bezug

Hitler war kein Betriebsunfall

von Ulrich Sander
Hintergrund
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Der Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag und in alle Landtage ist  erkennbar ein sichtbares Zeichen für die politische Rechtsentwicklung in unserem Land. Die Steigerung des Rüstungsetats von 32 Mrd. Euro 2014 auf 50 Mrd. Euro in diesem Jahr weist auf das Näherrücken militärischer Auseinandersetzungen hin. Rheinmetall meldet „die Rüstungsbranche als krisensicher", ungeachtet Corona. Ohne falsche Analogien zu ziehen, gewinnt vor diesem Hintergrund die historische Erinnerung an die Jahre 1932/33 neue Aktualität.

Wo Antworten auf Fragen zur Vorgeschichte und Etablierung der faschistischen Herrschaft und der Militarisierung bis hin zum Krieg gesucht werden, da bieten sich die Schriften von Emil Carlebach (1914-2001) an. Sie sind wieder hochaktuell.

Das Gedenken an die Opfer muss verbunden sein mit der Erinnerung daran, wer die Täter waren. Das heißt: Benennung der Schuldigen und der Nutznießer an der Errichtung der nazistischen Herrschaft in Deutschland und an der Entfesselung des Krieges.

Anders als viele Medien, die von einer „Machtergreifung Hitlers“ am 30. Januar 1933 sprechen, hat schon vor vielen Jahren der Überlebende des KZ Buchenwald Emil Carlebach den Slogan propagiert „Hitler war kein Betriebsunfall“. Und in seinem Sinne gilt es, diejenigen gesellschaftlichen Kräfte, die ein Interesse an der Errichtung und Etablierung der faschistischen militaristischen Herrschaft hatten, zu benennen. Das geschieht mit dem Carlebach-Buch zu diesem Slogan, das nun in achter Auflage erschienen ist.

Emil Carlebach, der kommunistische Politiker und Journalist aus Frankfurt am Main, war Widerstandskämpfer und engagiertester Aktivist der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten. Carlebachs Geniestreiche waren Enthüllungen wie die der Memoiren des ehemaligen Reichskanzlers Heinrich Brüning (1885-1970), die erst nach dem Tod des Zentrumspolitikers bekannt wurden und deren Sprengstoff durch minimierte gesteuerte Verbreitung möglichst entschärft werden sollte – man hatte jedoch die Rechnung ohne Carlebach gemacht. Und zweitens die Rede vor den Mitgliedern der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, wo er dem geheimen Generalstab vorhielt, dass ihr Militarismus seit Napoleons Zeiten nie irgendetwas Gutes bewirkt hat und es besser für die Menschheit gewesen wäre, die Deutschen wären seitdem nie bewaffnet gewesen. Nun, das schluckten die Herren, aber nicht die Bemerkung, dass ihr Generalinspekteur ausgeplaudert hat, die Bundeswehr habe vor allem die Aufgabe, Zünder zu sein für den großen Krieg: „Nicht Landesverteidigung darf der Programmpunkt unserer Sicherheit heißen. Der einzige militärische Auftrag, den sie zu erfüllen vermag, (sei) Zünder zu sein für die große Explosion” (Generalinspekteur de Maiziere in der FAZ am 24. Oktober 1964). Carlebach: „In jedem guten Zeitungsarchiv nachprüfbar.“

Weder seine Entfernung aus der Reaktion der Frankfurter Rundschau noch sein Redeverbot z.B. an der Uni Münster – auf Antrag von Neonazis! – haben ihn zum Schweigen bringen können. Er war Chefredakteur der legendären Zeitung der VVN „Die Tat“. Er wusste sich publizistischen Einfluss zu verschaffen und wurde führendes Mitglied der Journalistengewerkschaft, der Deutschen Journalistenunion.

Es erinnert an den Niedergang der SPD heute, wenn wir bei Carlebach erfahren, wie die Konspiration Brünings mit Hitler sich entwickelte, um die SPD aus der Reichsregierung zu verdrängen, sie zu „verbrauchen“ und dann fallen zu lassen. Die Verabredung, die soziale Krise immer tiefer werden zu lassen und die Massen immer mehr zum verzweifelten Drängen nach rechts zu bewegen. Die Rolle als Redenschreiber für Hitler, als dieser nach der „Machtergreifung“ international sich als Friedensstifter darstellen wollte, um das besorgte Ausland zu beruhigen. Franz von Papen, Nachfolger Brünings und wie dieser ein rechter Zentrumspolitiker, der ebenfalls den Eindruck vermittelte, mit Hindenburg Hitler verhindern zu wollen, hatte geholfen, den Naziführer an die Macht zu schieben und sich ihm als Vizekanzler anzudienen. Von Papen war jedoch als politischer Tölpel aufgefallen. Er hatte eine kriegerische Rede gehalten, mit der  er ungewollt den Kanzler Hitler bloßstellte. Brüning eilte zu Hitler, um diesem bei der Abfassung einer „Friedensrede“ Hilfestellung zu geben und ihm zu versprechen, dafür zu sorgen, dass auch die SPD von der Friedfertigkeit des neuen Deutschlands faseln werde, was auch gelang.

Brüning war kein Nazi, er war Mann der Konzerne, Monarchist – und vor allem Militarist. Als er mit Hitler keinen neuen Kaiser bekam, war es ihm auch recht, Hauptsache da kam einer, der die Revancheforderungen militärisch erfüllen wollte. Krieg war wichtiger als die Krone.

1932/33 war es dringend notwendig, dass die außerparlamentarische und demokratische Opposition gewachsen wäre und einheitlich handelte. Das wurde nicht erreicht. Heute muss es gelingen. Da ist es notwendig, Emil Carlebachs Erfahrungen zu nutzen. Der faschistische Aufschwung und die gefährliche Hochrüstung sind nie ein Betriebsunfall, aber er ist vermeidbar. Kluge Wachsamkeit ist gefordert.

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Ulrich Sander ist Bundessprecher der VVN-BdA.